In einem Punkt ist den Brexit-Verhandlern auf der politischen Topebene am Freitag ein echter Überraschungscoup gelungen: dem Zeitpunkt. Noch Mitte der Woche hatte kaum jemand damit gerechnet, dass es der britischen Premierministerin Theresa May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rasch gelingen könnte, im Streit um den künftigen Status der Grenzen in Irland einen tragfähigen Kompromiss zu finden.

So wie May dazu am Montag im ersten Anlauf in Brüssel gescheitert war, sah es eher nach einem zähen Ringen bis kurz vor dem entscheidenden EU-Gipfel nächste Woche aus. Das EU-Parlament zeigte volle Härte, bestand ultimativ darauf, dass es zwischen der Republik Irland und Nordirland nach 2019 keine "harte Grenze" geben darf.

Aber dann ging es plötzlich doch ganz schnell. Kurz nach sieben Uhr früh vermeldeten Junckers Mitarbeiter den "Durchbruch". May war zu nachtschlafender Zeit in der EU-Zentrale aufgetaucht und besiegelte einen Deal.

Von der Inszenierung her war das zweifellos ein überzeugender Erfolg, für beide Seiten. Die in ihren eigenen Reihen umstrittene May demonstrierte Handlungsfähigkeit. Die Übereinkunft mit "Brüssel" verschafft ihr den dringend nötigen Zeitgewinn ins nächste Jahr hinein. Die inzwischen nervöse britische Wirtschaft darf darauf hoffen, dass es nun doch bald zu inhaltsreichen Gesprächen über die Handelsbeziehungen kommt – bis hin zum Verbleib im Binnenmarkt.

Die Hoffnung lebt also wieder, dass ein Desaster nach einem ungeregelten "harten Brexit" vermieden werden kann. Juncker, der im Auftrag der nunmehr 27 Staats- und Regierungschefs Gespräche führt und deren Vorgaben umsetzen muss, zeigte sich neben May als geschickter und kompromissfähiger Teamleader.

Die EU-27 treten gegenüber London mit einer Geschlossenheit auf, wie man sie bei anderen wichtigen politischen Problemen der Union sonst fast nie sieht. Umso mehr stellt sich nach der Präsentation des 15-Seiten-Zwischenberichts zum Stand der Brexit-Verhandlungen, der von beiden Seiten unterschrieben ist, die Frage, was das Papier von der Substanz her wert ist; ob es in den drei wichtigsten und heikelsten politischen Fragen in Zusammenhang mit dem EU-Austritt der Briten tatsächlich schon jene "ausreichenden Fortschritte" gibt, die den Weg frei machen für Gespräche über einen Freihandelsvertrag bzw. über eine Brexit-Übergangsperiode.

Da zeigt sich rasch, dass man vor allem Formelkompromisse gefunden hat, die konkrete Lösungen nach wie vor offenlassen. Im Fall der finanziellen EU-Verpflichtungen hat May zwar zugesagt, dass London unterschriebene Zusagen auch einhalten werde. Das tat sie auch schon früher. Nach einer fixen Zahl sucht man vergebens.

Was das irische Grenzregime betrifft, bestätigte May, dass ihre Regierung keine robusten Grenzkontrollen einführen, das irische Friedensabkommen respektieren, aber auch keine "neuen regulatorischen Barrieren" in Nordirland einführen wolle. Das bedeutet nichts anderes, als dass Nordirland als Teil von Großbritannien nach dem EU-Austritt weiter im EU-Binnenmarkt verbleiben dürfte, mit entsprechenden Zollkontrollen. Es würde zu einer Art wirtschaftlicher Sonderzone, mit allen Vorteilen Richtung EU. Das verspricht weiter Spannungen mit anderen Teilen Großbritanniens. Wie man dieses Rätsel einer offenen Grenze zwischen der EU und einem Drittland löst, das wurde auf 2018 verschoben. (Thomas Mayer, 8.12.2017)