In Österreich verfallen Urlaubsansprüche nach spätestens drei Jahren. Dem schiebt der EuGH für Fälle, in denen bezahlter Urlaub nicht ermöglicht wird, einen Riegel vor.

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Wien – Im Urteil vom 29. 11. 2017 (C-214/16 – King) hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Fall eines "Scheinselbstständigen" zu beurteilen, der nach Beendigung seines Vertragsverhältnisses den gesamten Urlaub für insgesamt mehr als 13 Jahre abgegolten haben wollte.

Wie sich nämlich später herausstellte, war der Brite – entgegen der Bezeichnung des mit ihm abgeschlossenen Vertrages – nicht "selbstständig", sondern Arbeitnehmer. Sein Arbeitgeber hätte ihm daher auch jährlich einen bezahlten Urlaub gewähren müssen, was aber nicht geschehen ist. Unter Berufung auf Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 47 der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) gab ihm der EuGH recht.

Wenn ein Arbeitnehmer deshalb keinen Urlaub konsumiert hat, weil ihm der Arbeitgeber diesen nicht vergüten wollte, muss er – so der EuGH sinngemäß – die Möglichkeit haben, diese Urlaubsansprüche bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses anzusammeln.

Fälle wie der von Herrn King sind auch in Österreich häufig: Jemand wird als "Werkvertragsnehmer", "Selbstständiger" oder "freier Mitarbeiter" eingestellt, und nach Jahren wird festgestellt, dass es sich um ein ganz "normales" Arbeitsverhältnis gehandelt hat.

Die Rückabwicklung kann dann den Arbeitgeber sehr teuer kommen: Zwingende kollektivvertragliche Ansprüche wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder eine Differenz zum Mindestgehalt sowie Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern sind nachzuzahlen. Auch der offene Urlaub, der üblicherweise nur einem Arbeitnehmer gewährt wird, ist abzugelten.

Gesamter Urlaubsanspruch

Das alles ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass bei der Abgeltung des Urlaubes grundsätzlich sehr weit zurückzurechnen ist. Nimmt man den EuGH beim Wort, muss man in derartigen Fällen nämlich auch bei einem jahre- oder vielleicht sogar jahrzehntelangen Dienstverhältnis den gesamten ab dem ersten Tag entstandenen Urlaub auszahlen – jedenfalls soweit der in der Arbeitszeit-RL vorgesehene Mindesturlaub von vier Wochen betroffen ist.

In § 4 Abs. 5 des österreichischen Urlaubsgesetzes (UrlG) ist nun aber vorgesehen, dass nicht verbrauchter Urlaub nach einer Frist von zwei Jahren ab Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verjährt. Bei Beendigung eines Dienstverhältnisses ist dann gemäß § 10 UrlG nur der noch nicht verjährte Resturlaub abzugelten.

Dies steht dann im Widerspruch zu den Aussagen des EuGH, wenn der Urlaub aus Gründen, die beim Arbeitgeber liegen, nicht konsumiert wurde – eben wenn dieser etwa einem Arbeitnehmer wegen dessen scheinbarer "Selbstständigkeit" keinen Urlaub (im Sinne einer bezahlten Freistellung) gewähren wollte.

Nationaler Handlungsbedarf

Klar ist, dass jeder Mitgliedstaat der EU den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu entsprechen hat. Soweit dies möglich ist, sind innerstaatliche Normen so auszulegen, dass sie dem Gemeinschaftsrecht entsprechen; widersprechen diese dem Primärrecht – insbesondere den Gründungsverträgen und der Grundrechtecharta -, sind sie insoweit nicht anzuwenden. Erforderlichenfalls muss der innerstaatliche Gesetzgeber seine Normen entsprechend abändern.

Im konkreten Fall könnte sowohl eine Verdrängung der Einschränkungen im österreichischen Urlaubsrecht durch europäisches Primärrecht (nämlich Art. 31 und 47 GRC) als auch eine mögliche richtlinienkonforme Interpretation des österreichischen Urlaubsrechts argumentiert werden – beides wurde in ähnlichen Fällen schon in der deutschen Rechtsprechung diskutiert.

Eine "richtlinienkonforme Interpretation" könnte entweder darin bestehen, die §§ 4 und 10 UrlG in derartigen Fällen entgegen deren überschießendem Wortlaut einschränkend auszulegen oder die Berufung auf Verjährung durch den jeweiligen Arbeitgeber als Rechtsmissbrauch anzusehen.

Im Zweifel wird der österreichische Gesetzgeber aber gut beraten sein, eine entsprechende Anpassung vorzunehmen, um nicht in die Gefahr einer Staatshaftung gegenüber Arbeitnehmern, die wegen fehlerhafter Umsetzung von Gemeinschaftsrecht ihre Ansprüche nicht verfolgen können, zu gelangen. Dies hat die SPÖ auch bereits verlangt. Jedem Unternehmer ist jedenfalls zu empfehlen, nicht den Verlockungen der "Scheinselbstständigkeit" zu erliegen. Diese kann teuer werden. (Thomas Majoros, 12.12.2017)