Wie sollte man messen, dass Schüler ihren eigenen Standpunkt vertreten?

Foto: apa/harald schneider

Das Bildungssystem scheint unsteuerbar zu sein. Groß und unüberblickbar kommt es daher, wie ein Ungetüm, das scheinbar unendliche Ressourcen verschlingt. Offenbar ist wieder die Zeit gekommen, dass alle irgendwie mitspielen und mitreden: Politiker sowieso, Bildungsexperten, Wissenschaftler und Praktiker aus den Schulen leider viel zu selten, Eltern und Schüler und schließlich die Medien.

Alle wollen sie recht haben. Und das ist auch schon das Problem. Sie verdächtigen den Anderen des Nichtwissens und des Nichtkönnens. Die Richtigkeit der eigenen Standpunkte wird vertreten, uneinsichtig und konsequent. Nach Letztwahrheiten und Überzeugungen wird gesucht. Die Schule sei reformierbar, wenn es wieder Noten gäbe, Leistung im Vordergrund stehe, wenn outputorientiert gelehrt werde, die Strafe als "großzügiger" Lehrmeister fungiere und die Klassen ordentlich getrennt geführt seien.

Gelungen – misslungen?

Das Bizarre an diesen Diskussionen ist das Ausblenden des Erfolgten. So als ob in der Vergangenheit nichts geglückt wäre. Als ob Schule ein reduzierter Ort der gelungenen oder der misslungenen Wissensvermittlung sei. Auf Basis dieser Vorstellung darf es nicht verwundern, wenn sich manch Bildungspolitiker empirische Nachweise wünscht. Aber wie sollte man messen, dass Schüler ihren eigenen Standpunkt vertreten, andere achten, sich in andere Mitschüler einfühlen können und den Mut haben, eigene Gefühle zu äußern? Wie sollte man mit Notengebung erheben, dass Schüler widerständig und beharrlich argumentieren, sich der eigenen Grenzen bewusst sind und sich der öffentlichen Täuschung widersetzen? Vielleicht sind es gerade diese nicht messbaren und nicht beurteilbaren Kompetenzen, die Schule als den multifunktionalen Ort einer modernen und inklusiven Gesellschaft definieren, der interessante Menschen auf ihre künftigen sozialen Kompetenzen vorbereitet; neben den erworbenen Grund- und Fachkompetenzen.

Die Pointe, zu der die öffentliche Diskussion kaum durchdringt: Viele erfolgreiche Projekte wurden ja in den vergangenen Jahren umgesetzt. Ein neues Studium für angehende Pädagogen, umfangreiche Weiterbildungsprogramme mit aktuellen thematischen Schwerpunkten im Bereich digitaler Kompetenz und sprachlicher Bildung. Kompetenzorientierter Unterricht und die begleitenden Maßnahmen zur kompetenzorientierten Leistungsbeurteilung. Die neue Reifeprüfung, die neue Oberstufe mit der Verankerung von bedarfsgerechten Fördermaßnahmen und individuellen Lernbegleitungen, um nur einige zu nennen.

Geteiltes Unbezweifeltes

Engagierte Pädagogen, die über Jahrzehnte ihre Arbeit verrichten, werden nun wieder einmal öffentlich – häufig durch Medien unterstützt – zu ihrem Professionsverständnis beurteilt. Einfach so. Und irgendwie könnte man in dieser Diskussion doch auch einmal die Frage stellen: Was muss unbedingt in unseren Schulen so bleiben wie es ist? Das geteilte Unbezweifelte!

Zweifellos – im Anschluss an diese Frage darf auch der Blick nach vorne gerichtet werden. Es gibt noch viel zu tun. Große Aufgaben warten. Operativer Aktionismus im Bildungssystem ist nicht angesagt. Aber: Die Bildungspolitik wird in Zukunft ganz sicher auch daran gemessen werden, wie das geteilte Unbezweifelte, unbezweifelt gesehen wird. (Josef Oberneder, 12.12.2017)