Angeblich ein zu bewahrendes Kulturgut: Rauchen soll in Cafés nun doch weiterhin möglich sein – zum Ärger von Ärzten.

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Wien – Erster gröberer Gegenwind für die werdende Regierung: Auf großen Protest stößt die Entscheidung von ÖVP und FPÖ, entgegen einem bestehenden Gesetzesbeschluss mit Mai 2018 doch kein generelles Rauchverbot in Lokalen einzuführen. Der künftige Kanzler Sebastian Kurz habe "den Gesundheitsschutz auf dem Altar der Tabakindustrie geopfert", kritisiert die Initiative "Ärzte gegen Raucherschäden". Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer, konstatiert: "Das ist schlecht für die Gesundheit der Österreicher. Es ist nachgewiesen, dass nach generellen Rauchverboten in der Gastronomie zum Beispiel die Häufigkeit von Herzinfarkten zurückgegangen ist."

Die Absage des Rauchverbots macht Experten fassungslos ("ZiB 9").
ORF

Rauchen wie in Berlin

Konkret hat die Koalition in spe angekündigt, statt des Verbots das "Berliner Modell" umzusetzen. Für Österreich bedeutet das, dass in Lokalen – wie schon seit 2010 Gesetz – nach wie vor in abgetrennten Zimmern geraucht werden darf. Ebenso bleiben soll demnach die Wahlfreiheit für sehr kleine Gaststätten, ob sie vollständige Raucher- oder Nichtraucherlokale sein wollen. Soll die Praxis in der deutschen Hauptstadt tatsächlich Vorbild sein, dann würde es hier sogar eine Lockerung geben: In Österreich liegt die Grenze für Kleinlokale bei 50 Quadratmetern, in Berlin bei 70.

Im Gegenzug will die künftige Koalition das Alterslimit für das generelle Rauchverbot von 16 auf 18 Jahre anheben – für Minderjährige sollen die Raucherzonen also tabu bleiben. Wirte sollen Ausweiskontrollen durchführen und die Bereiche deutlicher kennzeichnen.

Jugendschutz als Feigenblatt

Wie es aus Verhandlerkreisen heißt, scheint es einen Abtausch gegeben zu haben: Die FPÖ dürfte ihren Widerstand gegen die Ratifizierung des Ceta-Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada aufgegeben haben.

Letztlich habe Kurz dem "nikotinsüchtigen Strache" in allen Punkten nachgegeben, ärgern sich die "Ärzte gegen Raucherschäden", denn die Anhebung des Schutzalters sei nicht mehr als ein "Feigenblatt". Worauf die Aktivisten damit anspielen: Die für diese Frage zuständigen Länder haben sich längst darauf geeinigt, Jugendlichen unter 18 Jahren ab Mitte 2018 das Rauchen flächendeckend zu verbieten. Die entsprechenden Landesgesetze sind in Vorbereitung; weil noch an begleitenden Präventionspaketen gebastelt wird, dauert die Umsetzung noch.

Kritik aus der ÖVP schwillt an

Aus einem Bundesland kommt auch eine erste kritische ÖVP-Stimme. Der steirische Gesundheitslandesrat Christopher Drexler beurteilt das Abgehen vom ursprünglichen Plan eines Verbots als eine "aus gesundheitspolitischer Sicht falsche Entscheidung", er bedaure diese Entwicklung "außerordentlich". "Man tut den Wirten nichts Gutes, man tut Österreichs Reputation nichts Gutes, man tut den Beschäftigten in der Gastronomie nichts Gutes, und man tut letztlich auch den Rauchern nichts Gutes", erklärte Drexler auf STANDARD-Anfrage. Allerdings müsse er akzeptieren, "dass sich in Verhandlungen manchmal der eine und manchmal der andere Partner durchsetzt".

Die für den Jugendschutz zuständige Tiroler Landesrätin Beate Palfrader (ÖVP) begrüßte zwar die vorgesehenen Jugendschutz-Verschärfungen beim Rauchen, zeigte sich aber gleichzeitig nicht zufrieden mit dem Kippen des totalen Rauchverbots in der Gastronomie: "Das ist nicht ganz schlüssig, nicht konsequent."

Auch in der Wiener ÖVP gibt es Unmut. Veronika Mickl, Bezirksvorsteherin der Josefstadt, versprach am Dienstag mittels Facebook-Posting: "Wir bleiben rauchfrei." Sie fordert weitere Verhandlungen: "Es sollten sich alle mit den Experten an einen Tisch setzen und darüber diskutieren, ob die Entscheidung eine gute war", sagte Mickl. Denn Politik solle "faktenorientiert" vorgehen – und außerdem verlässlich sein. Wirte, die ihren Raucherbereich in Hinblick auf das kommende Verbot abgebaut hätten, würden nun nämlich erneut mit einer neuen Regelung konfrontiert.

Gegenargument am Prüfstand

Rauchverbote würden zu einem Rückgang des Rauchens sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch im kritischen Jugendalter führen, weniger Menschen begännen zu rauchen, und mehr Menschen gäben ihre Sucht auf, sagt Peter Schenk, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie: "Dadurch entstehen weniger Lungenkrebs- und COPD-Neuerkrankungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen." Dass alle Warnungen der Wissenschaft "in den Wind geschlagen wurden", sei überdies aus Sicht der Menschen, die in der Gastronomie arbeiten, zutiefst zu bedauern, ergänzt Schenk: "Die Arbeitnehmerinnen und -nehmer in der Gastronomie sind weiterhin schutzlos dem Passivrauch ausgesetzt."

Einem der zentralen Argumente gegen das Verbot – befürchtete Umsatzeinbrüche – hält der Kardiologe und kalifornische Anti-Rauch-Papst Stanton Glantz Erkenntnisse aus seiner Heimat entgegen. Beverly Hills war die erste kalifornische Gemeinde, die ein generelles Rauchverbot verhängte, doch dieses wurde auf Betreiben der Gegner wieder aufgehoben. "Wir hatten dadurch zwei direkt vergleichbare Zeitperioden", erläutert Glantz. Laut der These der Gegner hätte es nach der Rücknahme des generellen Verbots in Beverly Hills einen Anstieg der Umsätze geben müssen: "Das war nicht der Fall."

Krebshilfe setzt Petition auf

Eine Petition hat die österreichische Krebshilfe aufgesetzt: "Wir fordern ÖVP und FPÖ auf: Das Nichtrauchergesetz muss bleiben!" Innerhalb eines Tages ist der Aufruf bereits über 30.000-mal unterstützt worden.

Als "vergebene Chance" bezeichnete Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer die Pläne von ÖVP und FPÖ. "Das halte ich für einen schweren gesundheitspolitischen Fehler." Es sei nicht nachvollziehbar, warum etwas, das in zahlreichen europäischen Ländern tadellos funktioniere, in Österreich nicht möglich sein sollte. Kritik kam auch von der Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie: "Wir geben Milliarden für die Gesundheitsversorgung von Patienten aus. Darunter sind viele, die durch präventive Maßnahmen gar nicht krank geworden wären", erinnerte Pharmig-Präsident Martin Munte. "Eine Präventionsmaßnahme, wie sie das generelle Rauchverbot dargestellt hätte, zu kippen ist schlicht unverantwortlich."

Wirtschaftskammer jubelt

"Ja, natürlich freuen wir uns", sagte hingegen Mario Pulker, Obmann des Fachverbands Gastronomie der Wirtschaftskammer, im Ö1-Interview: Die Gastronomiebetriebe seien nicht dafür da, "den Nichtraucherschutz oder die Gesundheit der Menschen in den Vordergrund zu stellen", sondern "den Menschen einen gemütlichen Abend zu verschaffen" und ihnen "ein bisschen Freiheit zu gewähren". Kein Gast müsse in den Raucherbereich gehen, und es gebe auch genügend Nichtraucherbetriebe.

Harte Kritik äußern die politischen Konkurrenten. Noch-Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wanger (SPÖ) sprach von einem "enormen gesundheitspolitischen Rückschritt" und meinte: "Damit zeigt Schwarz-Blau, dass ihnen die Gesundheit der Menschen nichts wert ist." Neos-Chef Matthias Strolz verwies auf die jüngste Statistik, wonach das Rauchen in allen OECD-Staaten zurückgeht – außer in zwei: der Slowakei und Österreich.

Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) kündigte in der "Presse" an: "Wir werden versuchen, das rechtlich auszuhebeln." Wie genau, führte sie nicht aus. Es gehe aber um die Rechtssicherheit der Gastronomen, die sich seit drei Jahren auf das Verbot ab Mai 2018 eingestellt hätten. (Walter Müller, APA, 12.12.2017)