In Wirklichkeit ist es ja nicht schwer: Um eine Laufgruppe anführen zu können, muss man im Grunde nur zwei Dinge können: laufen und auf die Uhr schauen. Optimalerweise sollte man das Tempo oder das Tempowechselprogramm, das man sich und der Mann- und Frauschaft verordnet, durchhalten können – und Reserven haben. Nur damit man, falls irgendwas Unerwartetes passiert, sich zumindest darüber keine Gedanken machen muss. Und (eh klar) man sollte sich vorher überlegen, ob sich die Route im geplanten Tempo im vereinbarten Zeitfenster ausgehen wird. In etwa zumindest.

Foto: Daniel Harari

All das zu beherzigen ist nicht Rocket-Science. Sind die Hausaufgaben einmal gemacht, ist es keine Hexerei, eine Gruppe so zu führen, dass unterwegs und am Schluss alle mit einem zufriedenen Grinser im Gesicht die Stopptaste ihrer Uhren oder Tracker drücken und sich drüber freuen, mit netten Leuten eine nette Zeit verbracht zu haben.

Wenn man Glück hat, dann hat auch noch das Wetter gepasst und die Strecke hatte zumindest für einige mehr zu bieten – oder verlief anderswo, als es die meisten in ihrer täglichen Laufroutine erleben.

Kurz: So schwer ist es nicht, eine Laufgruppe zu dirigieren. Aber man kann trotzdem was falsch machen.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber der Reihe nach. Laufgruppen und Lauftreffs gibt es viele. Unzählige. Mit unterschiedlichen Tempi und Leistungsniveaus, auf ganz unterschiedlichen Böden und mit sehr verschiedenen Zielen, Ansprüchen oder Hintergründen. Sie alle beschreiben zu wollen würde jeden Rahmen sprengen. Hin und wieder kommt aber der eine oder andere Lauftreff hier vor. Ohne Gegenleistung: Ich laufe gern in Gruppen, gern auch mit Leuten, die ich zu Beginn der Runde zumindest nicht kenne. Gemeinsam laufen ist wie gemeinsam kochen. Oder gemeinsam klettern, grillen, Rad fahren oder (vermutlich) Fingernägel lackieren. Das Schlüsselwort lautet "gemeinsam". Und auch wenn jeder und jede jeden Schritt selbst machen muss, wird Schönes eben mehr, wenn man es teilt. Und selbst wenn man sich in einer Gruppe nicht matcht oder gegeneinander antritt, ist auch das nichtkompetitive Miteinander-Schritt-halten-Wollen motivierend.

Foto: Thomas Rottenberg

Oder, typabhängig, auch disziplinierend. Menschen funktionieren so: Einmal Teil eines Rudels, will man dazugehören. Mitspielen. Beitragen. Das ist mit ein Teil des evolutionären Erfolgs- und Überlebensrezeptes von Spezies, Art und Gattung – und per se ja auch nichts Schlimmes, Schlechtes oder Böses. Es kommt drauf an, was man draus macht – und wo man hinwill. Im Stechschritt gegen irgendeinen Feind, in der Fankurve beim Einklatschen der Rapidviertelstunde, beim weihnachtlichen Großfamilientreffen oder beim Longjog: Das Grundprinzip ist immer das gleiche und lautet "wir" – weil wir über Jahrtausende gelernt haben, dass wir in der Gruppe erfolgreicher, wettbewerbs- und überlebensfähiger sind. Wird die Frage der Aufgaben- und Kompetenzverteilung dann auch noch vor dem Antreten der eigentlichen Herausforderung gelöst und außer Streit gestellt, haben alle was davon – ungeachtet der Frage, ob das Ziel nun gut oder böse ist.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich gehe jetzt einmal von einem Grundkonsens aus: Laufen ist gut. Oder jedenfalls nicht böse. Und in einer Gruppe zu laufen bringt allen auch losgelöst vom Gruppenerlebnis viel – immer vorausgesetzt, sie tun es gern und freiwillig. Die, die eigentlich schneller und stärker sind, können in einem für sie ruhigen und nichtfordernden Anstrengungsbereich entspannt und locker traben. Das bringt viel. Sehr viel. Grob vereinfacht gesagt fühlt sich langsames, sehr langsames Laufen zwar nicht "anstrengend" an, lehrt den Körper aber dennoch, mit einer dauerhaften Belastung souverän und entspannt umzugehen – und Kraft- und Ausdauerreserven in der Regenerationsphase danach so anzulegen, dass man beim nächsten, übernächsten oder überübernächsten Mal die Dosis dann problemlos erhöhen kann. Egal ob Tempo, Distanz oder Dauer.

Der Haken (wieder grob vereinfacht): Je langsamer man da läuft, umso besser. Nur: Dann wird Laufen langweilig. Stinklangweilig. Das Antidot zum Ennui heißt Gruppe.

Foto: Thomas Rottenberg

Umgekehrt ist es aber für langsamere oder ungeübtere Läuferinnen und Läufer auch wichtig, sich über Zeiten und Distanzen drüberzutrauen oder sich an diese heranzutasten, die zu Beginn einer Laufkarriere oft nicht einmal als Fernziel am oder hinter dem Horizont zu sehen oder zu spüren sind. Egal, ob als Wettkampf- oder Einfach-nur-so-Ziel. Egal, ob die Vorgabe zwei oder fünf, 21 oder 42 Kilometer oder einmal rund um die Welt heißt: Reinhold Messner sagte mir einmal, dass Extremsport für ihn dort beginnt, wo "jemand einen Schritt weiter geht, als er es sich gestern zugetraut hätte". Die einzige wirklich relevante Benchmark ist die im eigenen Kopf. Beim sich an diese Grenzen und Ziele Herantasten stößt jeder und jede aber auf Hindernisse, Zweifel und Schwellen, die im Alleingang furchteinflößend, komplex oder demotivierend wirken. Zwei Stunden laufen? "Schaffe ich nie!" Oder aber man hängt sich an einen Pacer mit dem richtigen Tempo und lässt sich ziehen. Das funktioniert und hat nix mit Windschatten zu tun: Das ist die Gruppe.

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich hat es auch handfeste wirtschaftliche Gründe, wenn dann Hersteller, Vereine oder Händler zu Gruppenläufen (oder Radausfahrten oder Kochevents oder was weiß denn ich) einladen. Eben weil die Verknüpfung eines positiven Erlebnisses mit dem Namen, dem Label oder dem Produkt… und so weiter.

Aber ganz ehrlich? Damit kann ich leben. Insbesondere dann, wenn das Engagement für mich authentisch ist: Der – sagen wir mal – Junkfood- oder Tabakkonzern, der sein Logo auf einen Sportevent pickt, ist für mich was anderes als ein Laufschuhhändler, der seine Kompetenz mit einem authentischen Erlebnis glaubwürdig demonstriert. Womit wir endlich bei Michael Wernbacher und dem "Weekly Long Run" seines Wemove Runningstore angekommen wären.

Foto: Thomas Rottenberg

Wernbachers Laden ist einer der vier Wiener Laufshops, die hier zu erwähnen und zu empfehlen ich keine Sekunde Skrupel habe. Egal ob Hans Blutschs Laufsport Blutsch in Mariahilf, Michael Buchleitners Run Inc in der Innenstadt, Ed und Elisa Kramers Traildog Running in Wien-Liesing oder eben Wernbachers We Move in der Landstraßer Mall: Natürlich ist Laufen in diesen Läden ebenso ein Geschäft wie anderswo – aber eben nicht nur. Den Unterschied zu beschreiben ist müßig: Entweder man spürt und honoriert ihn – oder eben nicht.

Nebenbei: Das gerade von einem Wiener Bogensporthändler hochgekochte Thema der "Beratungspauschale gegen Servicediebstahl" kennt und spielt man in all diesen Shops seit Jahren – weiß aber auch eines: Kunden, die Qualität suchen, wissen, dass Kompetenz und Beratung einen Wert und einen Preis haben – die anderen kommen ohnehin kein zweites Mal. Oder man merkt sie sich.

Relevanter ist der Druck der Megastores: Dass etwa Nike und Asics dieser Tage in Wien Flagshipstores in Premiumlage aufsperren und dort mehr als einfach nur Schuhe im Regal anbieten werden, ist nicht der einzige, aber eben doch ein weiterer Grund, sich als More-than-just-a-shop-Shops zu platzieren. Lauftreffs sind da ein ganz brauchbares Imagebildungstool.

Foto: ©www.wemove.at

Darum lädt Wernbacher so wie einige der Mitbewerber auch zu regelmäßigen Lauftreffs. Bei ihm sind es Longjogs, die jeden Sonntag und bei jedem Wetter stattfinden. Gelaufen wird in drei unterschiedlichen Tempogruppen. Treff- und Endpunkt ist der Shop in der Mall. Nicht um da irgendwas zu verkaufen (das Sonntagsöffnungsthema reißt der Händler sicher nicht an), sondern um Taschen oder trockenes Zeug zu bunkern – und nach dem Lauf noch kurz im Warmen abzuhängen: Die Teilnahme an den Läufen ist kostenlos, der Mehrwert für den Händler ist ein anderer.

Foto: Thomas Rottenberg

Noch einmal: Mit dieser Form von PR und Werbung habe ich kein Problem. Auch nicht damit, dass mein Coach und damit der Verein, in dem ich trainiere und laufe, mit Wemove kooperiert: Harald Fritz hält hier, aber eben auch anderswo regelmäßig Vorträge und Seminare. Und beim "Weekly Long Run" pact er eine der Gruppen. In der Regel die mittelgemütliche. Also jene Partie, die mit etwa sechs Minuten pro Kilometer unterwegs ist.

Für in Lauf-Pace-Rechnereien Ungeübte: Das sind etwa zehn Stundenkilometer. In zwei Stunden kommt man da also auf, bingo, ziemlich genau 20 Kilometer.

Jetzt, im Winter, ist die ideale Zeit, um an der Grundlage, der Ausdauer, zu arbeiten: Insbesondere wer daran denkt, im Frühjahr einen halben oder ganzen Marathon zu laufen, tut gut daran, schon jetzt jenes Fundament zu legen, auf dem dann in aller Ruhe an Tempo und "Tempohärte" gearbeitet werden kann.

Foto: Thomas Rottenberg

Vor zwei Wochen lief ich einfach mal mit. Nicht in der schnellen Gruppe: Dass ich, wenn nix Blödes dazwischenkommt, zwei Stunden mit einer Fünfer-Pace schaffe, weiß ich mittlerweile. Das muss ich weder mir noch sonst wem beweisen. Die Frage lautet aber, siehe ganz oben, was ich tue, um dieses oder ein schnelleres Tempo über solche Distanzen auch dann abzurufen, wenn ich mich selbst unter Druck setze: Das Arbeiten an der eigenen Grundlage gehört zum Läuferleben ebenso dazu wie Lauftechnik.

Und auch wenn ich zwei Stunden in einer Sechser-Pace (derzeit) eben als Spazierlauf erlebe: Weder ich noch irgendeiner der anderen "starken" Läufer in der Gruppe sahen auch nur eine Sekunde abschätzig auf jene herab, für die das eine echte Herausforderung darstellte.

Nicht nur weil das hier kein Wettkampf war, sondern auch weil jedem klar war, wie grotesk ein derartiges Wettbewerbsdenken unter Hobbyläufern ist. Ganz abgesehen davon, wie unsympathisch und billig es wäre, sich selbst im Mittelfeld einzureihen, um dort dann einen auf dicke Hose zu machen und "Erster" zu brüllen. Warum ich das eigens erwähne? Nun: Weil es das auch gibt. Alles schon erlebt, aber zum Glück nicht hier.

Foto: Thomas Rottenberg

Vergangenen Sonntag konnte Harald dann aber nicht selbst mitlaufen: In Samorin betreute er unter anderen seinen Schützling Lemawork Ketema bei der Cross-EM. Weil ich ohnehin einen lockeren Zweistünder im Plan stehen hatte (ob das wirklich ein Zufall war, lasse ich jetzt einmal dahingestellt), fragte mich mein Coach, ob nicht ich an seiner statt die Gruppe pacen könnte: Die Strecke könne ich frei wählen, Tempo und Zeit wie gehabt. Und Karmapunkte gäbe es obendrein, ganz abgesehen von netten Menschen und frischer Luft.

Der einzige Haken: Gelaufen würde bei jedem Wetter. Und während "normale" Mitläufer beim frühmorgendlichen Blick auf nasskaltgraupelschauriges Herbststurmwetter immer noch die Wahl zwischen Weiterschlafen oder Laufmasochismus hätten, sei das als Guide eben anders.

Foto: Daniel Harari

Ich, wir hatten aber Glück. Eigentlich mehr als nur Glück: Der eisige Wind vom Freitag und Samstag hatte den Himmel über Wien am Sonntagmorgen wolkenlos gefegt. Im Schatten biss die Kälte zwar noch kräftig, aber beim Laufen selbst würde sich das subjektiv wohl rasch ändern.

Eventuell, überlegte ich, würde ich einen Rucksack mitnehmen – nur falls unterwegs doch jemandem kalt werden sollte. Oder aber ich passte die Route an.

Foto: Daniel Harari

Ursprünglich wollte ich nämlich zum Kraftwerk Freudenau und zurück laufen. Das wären dann zwar deutlich mehr als 20 Kilometer (23 in etwa), aber wenn man das vorher bespricht, ist so was kein Thema. Andererseits bietet der Weg in die Freudenau ab der Tangentenbrücke kaum mehr "Ausstiegsoptionen": Wenn man die Gruppe nicht kennt, kann das ein Problem werden. Außerdem stehen im Prater angeblich Bäume – und gerade im Herbst zählt jede Sonnenminute. Die sonnige Route aber wäre genau am Donauufer – und angesagt war starker Wind.

Foto: Thomas Rottenberg

Also Plan B: den Donaukanal entlang und um die Alte Donau. Ein wunderschöner Lauf, der abgesehen von den U-Bahn-Ausstiegsoptionen noch zwei immense Vorteile hat: Beide Richtungen sind beinahe gleich fein, also kann man sich aussuchen, ob es zuerst oder am Schluss gegen den Wind geht: Für Sonntag waren um die 20 Stundenkilometer donauaufwärts angesagt.

Aber da der Wind in Wien oft ein Spätaufsteher ist, beschloss ich, die Runde im Uhrzeigersinn anzulegen. Den Donaukanal entlang hätten wir dann Sonne – und an der Alten Donau würden wir dem Glitzern im und auf dem Wasser fast die ganze Zeit über entgegenlaufen: In der lichtarmen Jahreszeit ist das nicht unwesentlich. Für mich zumindest.

Foto: Daniel Harari

Die Gruppe war super. Freundliche und nette Leute. Ein bunter Mix, aber doch homogen: Die ersten zehn Kilometer steckten sie weg wie nix – und das beständige Plappern und Lachen hinter und neben mir machte die Frage, ob die Pace passe, obsolet: Die einen konnten das gut – und die anderen wurden locker und ohne zu leiden mitgezogen. Alles gut, dachte ich – und zog ein bisserl, ganz leicht nur, an. Immer noch gut.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber dann machte ich einen Fehler: An der oberen Alten Donau kam dann doch ein bisserl Wind. Gegenwind. Kurz nur. Wir hielten dennoch das Tempo – und ich vergaß, in dem Moment, als der Wind wieder abflaute, den Druck rauszunehmen und sah auch nicht auf die Uhr. Vermutlich weil ich mit irgendwem quatschte und es eh fein floss: Drei Kilometer, die man pro Kilometer um gut 30 Sekunden schneller als angesagt läuft, sind für Leute, die sowohl was Dauer als auch Tempo anbelangt in ihrem oberen Leistungsbereich sind, nicht nix. Anfangs spürt man das nicht, weil man einfach mitfliegt. Aber nach 13 (subjektiv) zügigen dann drei schnelle Kilometer hinzulegen, kann wehtun. Aber: Würden Sie in einer Gruppe, in der Sie sich bis jetzt wohl und geborgen gefühlt haben, sofort laut sagen, dass da jetzt was nicht stimmt? Eher nicht. Außerdem: Der da vorn wird ja wohl wissen, was er tut. Hat er bisher ja auch.

Foto: Thomas Rottenberg

Wenn man dieses "zu schnell" dann artikuliert, ist es meist schon spät. Manchmal auch zu spät. Immerhin: So schlimm war es bei uns nicht. Aber die "Schwächeren" zahlten jetzt für meinen Fehler. Nicht leiwand.

Trotzdem: Alle kamen durch – und als wir schon fast "daheim" waren, war allen klar, dass sie nicht nur den 20er, sondern den Halbmarathon-21er auf dem Tracker haben wollen würden. In Wirklichkeit ist es vollkommen wurscht, ob da 20,8 oder 21,1 steht – aber das Signal ans Ich ist trotzdem wichtig: Ich kann das – weil ich es will.

Also liefen wir zum Erstaunen mancher Passanten vor der Mall noch eine oder zwei Ehrenrunden, bevor meine Uhr "passt" sagte – und wir kollektiv den Stecker zogen: Rauf zum Shop nahmen wir die Rolltreppe. Und ließen uns oben feiern: Irgendwer hatte eine Sachertorte mitgebracht. Aber das ist eine andere Geschichte. (Thomas Rottenberg, 13.12.2017)


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Foto: Thomas Rottenberg