Die zivilisatorische Reife einer Gesellschaft lässt sich an ihrem Umgang mit jenen Gruppen ablesen, die machtlos am Rande stehen. Dies sollte man angesichts des gerade wieder erhobenen Schlachtrufs nach einer härteren Gangart im Strafvollzug in Erinnerung rufen. Strafvollzug in Österreich ist – wie in vielen anderen mehr oder weniger zivilisierten Ländern auch – in erster Linie Mangelvollzug. Im Strafvollzug lassen sich die Folgen gescheiterter Politik betrachten.

Störungen und Drogen

Das heißt dann etwa, dass die Anzahl der Insassen mit massiven psychischen Störungen, mit Drogenabhängigkeit, mit Migrationshintergrund in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Der gute alte einheimische Kriminelle, der, wegen einer Straftat verurteilt, "in den Häfen geht, um seine Strafe abzusitzen", ist zur Minderheit geworden. Der Strafvollzug ist nicht nur das Stiefkind der Rechtspolitik, sondern zugleich das Opfer einer Ironie der Rechtsentwicklung.

Die verschiedenen Strafrechtsreformen haben dazu geführt, dass immer häufiger alternative Sanktionen, von der Geldstrafe über den Täter-Opfer-Ausgleich, die sogenannte elektronische Fußfessel bis hin zur bedingten Haftstrafe zum Einsatz kommen. In den Genuss dieser Reformen kommen aber nicht alle. Betrachtet man nur die einheimische Klientel des Kriminaljustizsystems, man hätte in den vergangenen Jahren die eine oder andere Justizanstalt schließen können. Aufgefüllt wurde der Vollzug, auch und gerade im Bereich der Untersuchungshaft, mit einer Population, für die er nicht geschaffen wurde: Menschen aus fremden Kulturen, ohne soziale Bindungen vor Ort, oft mit massiven, im Vollzug nicht zu behandelnden Suchtproblemen, die wiederum schwerwiegende psychische Störungen nach sich ziehen können.

Überforderung

Das Personal des Vollzugs ist damit notwendigerweise überfordert. Das zeigt sich nicht zuletzt am Krankenstand. Jeder Anlauf zur Reform des Vollzugs sieht sich zudem der wohlfeilen und billigen Kritik ausgesetzt, denen da drin gehe es ohnehin zu gut. Schnell sind da die Vorurteile vom Hotelvollzug oder von den undankbaren, aggressiven und vor allen Dingen fremdländischen Kriminellen hervorgekramt.

Justizvollzug als Mangelverwaltung ist in Anbetracht der Folgekosten teurer als die kurzfristige Ersparnis an notwendigen Investitionen in sinnvolle (bauliche, personelle, organisatorische) Reformen. Die Mitarbeiter – so sie noch nicht an der chronischen Berufskrankheit des Zynismus leiden – tun ihr Bestes. Aber unter den gegebenen Bedingungen kann persönlicher Einsatz strukturelle Mängel im Einzelfall zwar lindern, nicht aber das System verändern.

Hier verstärken sich dann die negativen Wirkungen: Ungenügende Möglichkeiten der Betreuung fördern die Aggression der Insassen, dadurch erhöht sich die Belastung des Personals, was wiederum die Aggression der Insassen fördert. Diese Abwärtsspirale zu durchbrechen erfordert den politischen Willen, der in der derzeitigen Situation wohl eher nicht vorhanden ist. Damit lässt man die Verantwortlichen auf allen Ebenen im Regen stehen und macht sie zugleich zu Sündenböcken. Denn der Strafvollzug ist – trotz hoher Mauern und geringen Wissens über die Situation vor Ort – immer gut für einen Skandal, den man dann für politische Zwecke ausschlachten kann.

Schuldzuweisungen

Anstelle der bekannten Schuldzuschreibungen sollte man alle Beteiligten daran erinnern, dass es weniger das Verhalten als die Verhältnisse sind, die Missstände hervorbringen, und die Verantwortung für eine den Zielen moderner Kriminalpolitik verpflichteten Veränderung dieser Verhältnisse liegt bei der Politik, auch wenn diese sie aus nur allzu durchsichtigen Gründen gerne von sich weist. (Reinhard Kreissl, 12.12.2017)