Wien – Ein leeres Klassenzimmer mit 13 Schultafeln, auf denen Zeichnungen, Gedichte, Tagebücher und Spiele illustriert sind, findet sich seit Mittwoch im Wiener Nestroyhof. Die Tafeln sollen den Eindruck erwecken, als würden Kinder, die hier lernen, wiederkommen. Betrachtet man die grünen Platten genauer, erfährt man über das Leben von Kindern im Holocaust.

Tafeln zeigen "Überlebensstrategien" von Kindern im Holocaust. Sophie Asscher illustrierte Geschichten mit Märchenfiguren.

Noch bis 31. Jänner ist die Wanderausstellung "Ein Denkmal guter Taten" in den Räumen des Theaters Nestroyhof Hamakom zu sehen. "Kinder im Holocaust haben Unmenschliches erlebt. Einige Geschichten werden erzählt", sagt Milli Segal, Organisatorin der Ausstellung in Österreich. Die Ausstellung wurde von Yehudit Inbar kuriert, der früheren Chefkuratorin der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Erstmals wurde sie 2012 im Uno-Hauptquartier in New York gezeigt.

Geschichten und Bilder

Die Hinterlassenschaften der Kinder sollen ihre Hoffnungen und Träume widerspiegeln. Die Besucher sollen dadurch erfahren, wie Kinder mit Angst, Hunger und Tod umgegangen sind. Außerdem werden "Überlebensstrategien" skizziert, zu denen es gehörte, Heldengeschichten nachzuzeichnen, Tagebücher zu verfassen und Spiele zu erfinden.

So erzählt eine Tafel die Kurzgeschichte "Der Glücksfall", eine Art Aschenputtelmärchen: Ein Mädchen mit einer bösen Stiefmutter lief von zu Hause weg und fand eine neue Bleibe bei einer Prinzessin, wo sie bis ans Ende ihrer Tage glücklich lebte. Geschrieben wurde der Text von Nelly Toll, die 1935 in Lemberg, damals in Polen, geboren wurde. Als die Deutschen 1941 die Stadt besetzten, wurde Toll mit ihrer Familie in das Ghetto eingewiesen. 1943 versuchte das Mädchen nach Ungarn zu fliehen, was jedoch fehlschlug. Einige Zeit später wurde den beiden von einer christlichen Familie in Lemberg Unterschlupf gewährt. Während der 13 Monate, in denen Toll im Haus der Familie versteckt war, begann sie Kurzgeschichten zu schreiben.

Den "Glücksfall" illustrierte die damals Achtjährige mit selbstgezeichneten Bildern. In ihren Illustrationen kombinierte sie Märchenfiguren mit ihren Erinnerungen an die Vorkriegszeit. "Die Möbel, das Piano, die französischen Türen und der blaue Raum wurden aus der Erinnerung an unser Appartement in Lemberg gezeichnet", steht neben einem der Bilder auf der Tafel.

Kindlicher Einfallsreichtum

Auf einer anderen grünen Fläche findet man ein Gebetbuch aus Versandformularen für Munition, die Gefangene des Arbeitslagers Sömmerda in Deutschland eigentlich auf Kisten kleben mussten. Dita Kurschner, die 1930 in Wien geboren wurde und 1944 mit ihrer Mutter in das Lager kam, hatte die Zettel in der Fabrik gestohlen und zu einem Büchlein gebunden. Die notierten Gebete hörte Kurschner von einer Mitgefangenen, die "Tag und Nacht" auf Hebräisch sprach, wie Kurschner notierte. Da die 14-Jährige die Sprache nicht beherrschte, schrieb sie in lateinischen Buchstaben mit. Ihre Überlegung zu den Notizen: "Wenn wir alle sterben, wird man zumindest wissen, dass hier Juden gelebt haben", steht auf ihrer Tafel.

Das Kinderheim in Izieu, Frankreich, wurde im April 1943 auf
einem Bauernhof in der von Italien besetzten Zone gegründet. Es sollte ein Zufluchtsort für jüdische Kinder sein.

Die Kinder von damals – sofern sie nicht zu den rund eineinhalb Millionen Kindern gehörten, die im Holocaust ermordet wurden – sind heute alt geworden. "Bald wird es auch diese erste Generation, die so viel Schreckliches erlebt hat, nicht mehr geben", sagt Segal.

Der Ort, der für den Österreich-Stopp gewählt wurde, ist ebenfalls einer mit Geschichte. Der Nestroyhof wurde 1898 von dem jüdischen Wiener Architekten Oskar Marmorek erbaut. Marmorek war ein Wegbegleiter Theodor Herzls, eines der Begründer des politischen Zionismus. 1938 wurde das Theater von der Gestapo geschlossen und 1940 arisiert. (Oona Kroisleitner, 13.12.2017)

Die Ausstellung "Ein Denkmal guter Tat" und Zeitzeugin Lucia Heilman stehen im Mittelpunkt eines "Mittag in Österreich"-Beitrages des ORF.
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