Mit Peter Bosz verabschiedet sich der niederländische Fußball endgültig von der großen Bühne.

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Vitesse Arnheim (im Bild: Thomas Bruns) war der einzige niederländische Vertreter in der Gruppenphase der Europa League. Im Pool K blieb für die Gelb-Schwarzen am Ende der letzte Platz hinter Lazio, Nizza und Zulte Waregem.

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Wien/Amsterdam – Sie war der letzte Nagel im Sarg des einst stolzen niederländischen Fußballs: die Entlassung von Peter Bosz als Trainer von Borussia Dortmund am letzten Samstag. Mit dem Aus jenes Mannes, der in der Vorsaison noch Ajax Amsterdam ins Finale der Europa League gecoacht hat, ist zum ersten Mal seit 21 Jahren kein Übungsleiter aus dem Land des "Totalen Fußballs" mehr in einer der großen Ligen Europas engagiert. Denn Frank de Boer (Crystal Palace), Ronald Koeman (Everton) und Andries Jonker (Wolfsburg) hatte der Blaue Brief noch früher ereilt als Bosz.

Während früher die Fußballwelt nach der niederländischen Manier gierte, scheint mit dem Scheitern seiner Übungsleiter die Zeit endgültig über Oranje hinweggegangen. Die Nationalmannschaft, noch 2014 unter Louis van Gaal WM-Dritter, wird nach der verpassten Qualifikation für die Europameisterschaft auch an der WM in Russland nicht teilnehmen. Van Gaal, man erinnert sich, war seinerzeit für den Konterfußball, den er seinem Team verordnete, trotz des Erfolgs zum Teil heftig kritisiert worden.

In den Europapokal-Bewerben überstand in der laufenden Saison erstmals seit 19 Jahren kein einziger Verein aus der Eredivisie den Herbst, was dazu führte, dass der Fixplatz in der Gruppenphase der Champions League verloren ging. In der Fünfjahres-Wertung der Uefa zog zuletzt Österreich (Platz elf) am Königlich Niederländischen Fußballverband (KNVB) vorbei, dessen Vertreter immerhin elf europäische Titel gewinnen konnten. Zuletzt gelang dies Feyenoord Rotterdam 2002 mit dem Sieg im Uefa-Cup.

"Wir hinken furchtbar hinterher"

Der niederländische Fußball hat seinen Nimbus verloren. Simon Kuper, ein im Land aufgewachsener Brite und Kenner der Materie, sagte der Zeitung NRC Handelsblad: "Unser Gedankengut ist nicht mehr führend, wir hinken furchtbar hinterher. Bosz ist beeinflusst vom modernen deutschen Fußball, dem Pressingfußball. Er hatte seine Chance, aber wenn es nicht gut läuft, hast du wenig Kredit. Denn du bist eben nur ein holländischer Trainer."

Ausländische Klubs, so Kuper, der unter anderem eine Geschichte Ajax Amsterdams verfasst hat ("Ajax. The Dutch, The War"), weiter, würden nicht mehr daran glauben, mit der Verpflichtung eines Niederländers auch progressives Fußballwissen einzukaufen. Im eigenen Land hat man sich dieser schmerzlichen Einsicht allerdings lange verschlossen.

Ex-Trainer Aad de Mos, 1988 mit dem belgischen KV Mechelen Gewinner des Pokals der Pokalsieger, kritisierte, ebenfalls im Handelsblad, einen verengten Blick niederländischer Coaches. "Sie schauen nur darauf, wie die eigene Mannschaft spielen soll." Die Analyse des Gegners bleibe jedoch unterbelichtet, ebenso wie in der Folge die Fähigkeit, auf dessen Spielweise entsprechend reagieren zu können. Nicht zuletzt das dürfte auch Bosz zum Verhängnis geworden sein, der in Dortmund sein Offensivkonzept um jeden Preis umsetzen wollte. Als während eines Spiels sichtbar wurde, dass seine Elf in Probleme kam, wirkte der 54-Jährige an der Seitenline oft passiv – unfähig oder unwillig, eine Reaktion zu setzen.

Im eigenen Saft

Ein Grund für den Rückfall der Niederlande im internationalen Vergleich dürfte neben Selbstüberschätzung auch in zunehmender Selbstbezogenheit zu suchen sein. Neue Entwicklungen wurden verschlafen, die Weltoffenheit, für die sich das Land sonst selbst rühmt, ist im Fußballbetrieb offenbar verloren gegangen. Die Niederländer, konstatiert Kuper, schmoren im eigenen Saft. Statt ausländische Expertise anzuzapfen, vertraue man auf die Immergleichen. "Der niederländische Fußball ist in der Hand eines Altherrenklubs von Ex-Profis, die gar kein Interesse daran haben, mit den besten ausländischen Experten mitzuhalten", schreibt Kuper im Spiegel.

Nur ein Beispiel von vielen ist der Fall Dick Advocaat. Der 70-Jährige sollte, als bereits alles verloren schien, das Nationalteam als Retter doch noch zur WM coachen – es war seine fünfte Amtszeit beim KNVB. An der Etablierung der Freunderlwirtschaft war, so Kuper, auch die absolute Ikone des niederländischen Kicks mitbeteiligt: Johan Cruyff. Er sei es schließlich gewesen, der bei seinem Stammklub Ajax ab 2011 durchsetzte, dass in erster Linie Ex-Spieler für Posten in Frage kommen sollten. Diese Strategie sollte den Abwärtstrend beim Rekordmeister stoppen – rückblickend dürfte sie mehr Schaden als Nutzen gebracht haben. (Michael Robausch, 12.12.2017)