Polizei und Bundesheer übten im Frühjahr 2016 gemeinsam an der Grenze zu Slowenien; bei Verfassungsschutz und Abwehramt herrschte jedoch keine Harmonie.

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Bislang unveröffentlichte Akten zur Schändung einer Moschee in Graz werfen demokratiepolitisch brisante Fragen auf. So steht der Verdacht im Raum, dass der steirische Verfassungsschutz (LVT) dem militärischen Abwehramt absichtlich geschadet hat. Die zwei Behörden genießen besondere Rechte, die etwa über die Befugnisse der Polizei hinausgehen. Dazu kommen parteipolitische Intrigen und Vernetzungen in rechtsextreme Kreise.

Was ist bislang über die Moscheeschändung bekannt?

Am 5. Mai 2016 sollen zwei Verdächtige die Moschee in Graz mit einem Schweinekopf und Schweineblut geschändet haben. Für einen öffentlichen Aufschrei sorgte, dass es sich bei einer der Personen um eine Quelle des Heeresabwehramts handelte – also um einen Milizsoldaten, der in der rechtsextremen Szene vernetzt war und diese Kontakte für den Inlandsnachrichtendienst des Heeres nutzte.

Wer war außer der Quelle des Abwehramts dabei?

Die zweite Person war Thomas Kirschner, Chef der rechtsextremen "Partei des Volkes" (PDV). Kirschner wurde sofort verhaftet, Abwehramtsquelle B. am nächsten Tag. Kirschner gab später in der ORF-Sendung "Am Schauplatz" an, er habe mit seiner Teilnahme "ein Zeichen" setzen wollen. In der bisherigen medialen Darstellung hieß es, dass die Quelle des Abwehramts die Moscheeschändung provoziert habe. Das wird in den bislang unveröffentlichten Akten aber von B. vehement bestritten – und es gibt starke Indizien, die für seine Version der Geschichte sprechen.

Welche neuen Informationen stellen die bisherige Darstellung infrage?

B. gab etwa an, dass Kirschner nach der Tat "wie eine Salzsäule dastand" und "keine Anstalten machte, den Tatort zu verlassen"; ja, sogar "von sich aus auf die Polizisten zuging", die vom Abwehramt alarmiert wurden. B. konnte währenddessen einfach davonspazieren, er wurde erst am nächsten Tag ausgeforscht. Auf eine Anfrage des STANDARD antwortet Kirschner, er habe "kein Interesse zu plaudern", da DER STANDARD "nur Lügen vertreibt".

Tatsächlich schweben über diesem Tathergang sehr viele Fragezeichen. DER STANDARD erhielt aus dem Umfeld der PDV Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zugespielt, die bislang nicht öffentlich waren. Daraus geht hervor, dass Abwehramtsquelle B. seine Vorgesetzten rechtzeitig über die geplante Aktion informierte, aber bis zuletzt nicht sicher war, ob diese wirklich stattfinden sollte. Er hoffte außerdem, dass mehrere Personen erscheinen würden, damit er sich nicht aktiv daran beteiligen musste. Als nur PDV-Chef Kirschner auftauchte, wollte B. die Tat hinauszögern, um die Polizei alarmieren zu können. Das Abwehramt informierte unterdessen den steirischen LVT-Chef per Telefon, doch dieser riet ihnen, den Notruf zu wählen, falls etwas passiert.

Welche Rolle spielt das Landesamt für Verfassungsschutz?

Peter Pilz, dem interne Berichte zur Causa zugespielt worden waren, sagte schon im Juli 2016, dass Verfassungsschutz und Abwehramt in der Steiermark "heillos zerstritten" seien und das LVT außerdem "auf dem rechten Auge nicht besonders gut sieht". Tatsächlich wurden nach der Moscheeschändung auch Anzeigen gegen Abwehramtsmitarbeiter durch das LVT eingebracht, wobei sich unter den insgesamt zwölf Beschuldigten auch ein LVT-Mitarbeiter befinden soll, der familiäre Beziehungen zu einem Abwehramtsmitarbeiter hat.

Gab es merkwürdige Vorfälle bei den Ermittlungen?

Auch bei den Ermittlungen des LVT gibt es fragwürdige Vorgänge: Wie aus den Akten hervorgeht, wurde das Smartphone von Abwehramtsquelle B. im Zusammenhang mit der Tat durchsucht – erfolglos. Das Gerät von PDV-Chef Kirschner wurde gemäß den Informationen, die dem STANDARD vorliegen, hingegen nicht durchsucht. Kirschner hat offen davon gesprochen, gute Kontakte in den steirischen Sicherheitsapparat zu haben. Dazu kommt, dass auf der Facebook-Seite der "Partei des Volkes" legitime Asylbescheide veröffentlicht worden sind. Woher diese stammen, ist unklar.

Nur Wochen vor der Infiltration durch das Abwehramt hatten FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der steirische FPÖ-Vorsitzende Mario Kunasek Vertreter sowohl der PDV als auch der Identitären getroffen, wie DER STANDARD enthüllt hat.

Wurde die Abwehramtsquelle unter Druck gesetzt?

Abwehramtsquelle B. gab außerdem an, bei seiner ersten Vernehmung von den steirischen Beamten unter Druck gesetzt worden zu sein, was zu Falschaussagen geführt habe. Im ersten Revisionsbericht des Verteidigungsministeriums ist davon die Rede, dass eine "offensichtlich damals existierende Missstimmung zwischen Organen des BMI und des BMLVS" in die "Preisgabe der Identität" eines Abwehramtsmitarbeiters mündete. Weder das Verteidigungsministerium noch das LVT Steiermark wollten wegen laufender Ermittlungen Fragen des STANDARD beantworten.

Was hat das Abwehramt überhaupt mit einer Moscheeschändung zu tun?

Die Beobachtung von rechtsextremen Gruppen fällt primär dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und den entsprechenden neun Landesämtern zu. Allerdings hat auch das Abwehramt ein durchaus berechtigtes Interesse an rechtsradikalen Bewegungen. Es soll verhindern, dass sich Soldaten rechtsextrem engagieren – das Gleiche gilt für den Bereich des Jihadismus. Durch das Abwehramt sind die rechtsextreme Identitäre Bewegung und die Partei des Volkes infiltriert worden, die beide auch Präsenzdiener und Berufssoldaten anziehen.

Informationen der Abwehramtsquelle konnten etwa verhindern, dass die Identitäre Bewegung schon im April 2016 die Moschee in Graz besetzte – stattdessen entrollten die Rechtsextremen ein Transparent auf dem Dach der grünen Parteizentrale. Mit dabei war auch ein damaliger Funktionär der FPÖ. "Legt euch eine Waffe zu", hatten Aktivisten der PDV zuvor auf Demos Zuhörer aufgefordert. In Deutschland hatte ein Rechtsextremer, der Berufssoldat war, etwa Waffen aus dem Bestand der Bundeswehr gestohlen. Daher müssen sich auch militärische Nachrichtendienste mit der Szene beschäftigen.

Gibt es zusätzlich interne Intrigen im Abwehramt, und welche Rolle spielt die FPÖ?

Streitigkeiten in oder zwischen einzelnen Abwehramtsabteilungen haben eine lange Tradition. So warfen sich Mitarbeiter gegenseitig Amtsmissbrauch oder Spionage für die DDR-Stasi vor. Aktuell dürften die Abteilungen A und B aneinanderkrachen. Abteilung A wird von einem Mitarbeiter geleitet, der 2013 und 2017 bei der Nationalratswahl für die FPÖ kandidiert hat. Abteilung B wird von Ewald Iby geführt, der bis 2016 interimistischer Chef des gesamten Abwehramts war. Für die Infiltration von rechtsextremen Gruppen war Abteilung B zuständig. Die FPÖ attackierte öffentlich mehrfach deren Mitarbeiter, in einer OTS hieß es etwa, es sei "verwunderlich", dass der Abteilungsleiter noch aktiv sei. Das könnte passiert sein, um ihrem Parteifreund eine bessere Stellung im Abwehramt zu ermöglichen.

Warum ist die Causa demokratiepolitisch brisant?

Abwehramt und Verfassungsschutz haben beide Rechte, die die sich von den Befugnissen der regulären Polizei wesentlich unterscheiden. Es handelt sich um Einrichtungen, die deshalb mit besonderer Sensibilität vorgehen müssen – und parteipolitisch neutral sein sollten. Die Geschehnisse rund um die Grazer Moscheeschändung werfen jedoch Fragen darüber auf, ob nicht ein Amt dem anderen absichtlich schaden wollte.

Das LVT outete bei Ermittlungen Mitarbeiter des Abwehramts vor Rechtsextremen und erstattete Anzeige gegen diese. Darüber schwebt der Verdacht, dass Rechtsextreme bereits über eine Quelle des Abwehramts informiert waren und diese in eine Falle laufen ließen.

Auch die späteren Geschehnisse in der Causa sind besorgniserregend: Interna aus dem Abwehramt drangen nach außen, etwa an die FPÖ; interne Revisionsberichte sollen neu geschrieben worden sein. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft samt Erledigung des Vorhabensberichts durch das Justizministerium dauern punktgenau so lange, dass ein möglicher Prozess unter einer neuen türkis-blauen Regierung beginnt. (Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, Markus Sulzbacher, 13.12.2017)