Regelmäßig patrouillieren Polizisten im mehrheitlich von muslimischen Uiguren bewohnten Kashgar in der Provinz Xinjiang.

Foto: APA/AFP/JOHANNES EISELE

Strikte Kontrollen prägen den Alltag.

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Xinjiang liegt im äußersten Nordwesten von China.

"Physicals for all", also Untersuchungen für alle, heißt das Programm der chinesischen Regierung in Xinjiang, das in den vergangenen Monaten die gesamte Bevölkerung der Unruheprovinz im äußersten Nordwesten zum Gesundheitstest bringen sollte. Mehr als 18 Millionen Menschen wurden dabei untersucht. Was viele von ihnen offensichtlich nicht wussten: Ihnen wurden dabei DNA-Proben entnommen, die nun zentral von der Polizei gespeichert werden.

Das berichtet zumindest die NGO Human Rights Watch in einem Bericht, der sich auf offizielle Verordnungen der Provinz Xinjiang stützt. Dort leben etwa 20 Millionen Menschen, die Hälfte davon sind Uiguren. Die mehrheitlich muslimischen Uiguren fühlen sich dem chinesischen Staat tendenziell nicht zugehörig, ähnlich wie in Tibet gibt es auch in hier Unabhängigkeitsbestrebungen oder zumindest den Wunsch nach mehr religiöser und kultureller Freiheit. In den vergangenen Jahren kam es häufig zu gewalttätigen Aufständen und Angriffen, sowohl in Xinjiang als auch in Peking. China reagierte darauf mit immer repressiveren Sicherheitsmaßnahmen.

Gesundheitstests zur Datensammlung

Wie nun ausführlich dokumentiert, wurden Fingerabdrücke, Augenscans sowie Blutgruppen- und DNA-Proben von allen Zwölf- bis 65-jährigen Einwohnern genommen. Die von HRW veröffentlichte Verordnung zeigt, dass örtliche Gesundheitsbüros Blutgruppen- und DNA-Proben sammelten und die Daten dann an die regionalen Polizeistationen weiterleiteten. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die vollständige Erfassung der Bevölkerung gelegt werden: Beamte sollten sicherstellen, dass in jedem Dorf jede Person in jedem Haushalt erfasst wird.

Die Gesundheitstests fanden nicht immer freiwillig statt, berichteten Augenzeugen gegenüber HRW. Auf die Bevölkerung sei starker Druck ausgeübt worden, tatsächlich die Tests aufzusuchen.

Sammlung von DNA-Daten als Chance und Gefahr

Während DNA-Analysen in der Kriminologie und bei der Diagnose von Krankheiten große Erfolge erzielen, gibt es im Bezug auf Sicherheitsfragen zunehmend Bedenken. Aufgrund der weltweit starken Zunahme nationaler DNA-Datenbanken warnte die Uno bereits 2016 vor der missbräuchlichen Verwendung solcher Daten: "Kriminaltechnische DNA-Datenbanken können eine wichtige Rolle bei der Verbrechensaufklärung spielen, aber sie können auch Anlass für menschenrechtliche Bedenken sein." Dazu zählt die Uno Überwachung durch Regierungen, vor allem von Verwandten. Denn die Analyse der menschlichen DNA lässt nicht nur die eindeutige Identifizierung von Personen zu, sondern auch Rückschlüsse auf deren Angehörige.

Außerdem verstößt die polizeiliche Registrierung unbescholtener Bürger gegen Grundsätze des Datenschutzes. Das könnte beispielsweise zu einer gezielten Überwachung von religiösen Minderheiten oder Regierungskritikern genutzt werden.

"Speicherung von Biodaten grobe Verletzung"

HRW übt heftige Kritik an dem Vorgehen. "Die Speicherung der Biodaten einer ganzen Population, einschließlich DNA, ist eine grobe Verletzung internationaler Menschenrechtsnormen", sagt Sophie Richardson, die China-Direktorin der Organisation. Das Vorgehen der chinesischen Behörden widerspreche internationalen Menschenrechtsstandards, wonach medizinische Untersuchungen freiwillig und nach informierter Zustimmung stattfinden müssen.

"Die chinesischen Behörden scheinen zu glauben, dass sie 'soziale Stabilität‘ erhalten, indem sie Menschen unter ein Mikroskop legen. Aber diese missbräuchlichen Programme werden wohl eher die Feindseligkeiten gegenüber der Regierung vertiefen", sagt Richardson.

China als DNA-Supermacht

China hat sich in den vergangenen Jahren zur DNA-"Supermacht" entwickelt, wie das Wissenschaftsmagazin "Nature" berichtete. Chinesische Firmen spielen in der ersten Liga der DNA-Sequenzierung mit, eine landesweite Polizeidatenbank beinhaltet laut HRW mittlerweile 40 Millionen Datensätze mit biotechnischen Daten.

HRW-Recherchen ergaben außerdem, dass die Ausstattung für das Projekt in Xinjiang das weltweit führende US-Biotechnologieunternehmen Thermo Fisher Scientific bereitgestellt hat. Auf Anfrage von HRW erklärte sie, nicht alle Anwendungen ihrer Produkte weltweit kontrollieren zu können. (saw, 14.12.2017)