Die Liste der meistzitierten Forscher soll die aktuell einflussreichsten Forscher identifizieren. Bei näherer Betrachtung trübt sich der Blick.

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Alle Jahre wieder wird die Liste der so genannten "highly cited researchers" publiziert, und vielleicht mehr denn je hat sie dieses Jahr in österreichischen Medien Widerhall gefunden. Auf einen Blick zu sehen, wer angeblich die aktuell einflussreichsten Forscher in Österreich sind, mag eine wohltuende Abwechslung sein zu den eher deprimierenden Rankings über österreichische Unis. In einer kleinen Serie möchte ich mich mit drei Fragen beschäftigen, die diese Liste etwas näher beleuchtet. Konkret: Was sagt sie aus? Wie kommt sie zustande? Und warum wird sie eigentlich so wichtig genommen?

Die Höchstzitierten-Liste basiert auf der vermutlich ältesten, jedenfalls einflussreichsten Datenbank in der Wissenschaftspolitik: Heute bekannt als "Web of Science", wurde sie ab Anfang der 1960er Jahre vom Institute for Scientific Information (ISI) aufgebaut, welches in den 1990ern vom kanadischen Medienkonzern Thomson Reuter geschluckt wurde; dessen Wissenschafts- und Informationsabteilung wiederum wurde 2016 als Clarivate Analytics ausgegründet. Gleich unter welcher Marketinghülle, die Bedeutung der Datenbank kann man kaum unterschätzen: Zumindest in den letzten 20 Jahren wird kaum noch eine größere wissenschaftspolitische Entscheidung weltweit gefällt, ohne das "Web of Science" oder eines der daraus resultierenden Produkte zumindest zu konsultieren.

Die "Österreicher"-Liste

In diesem Beitrag möchte ich darauf eingehen, was die Liste eigentlich aussagt bzw. wie sie medial verwertet (oder interpretiert) wird. Die Liste selbst besteht im Wesentlichen aus knapp 3.400 Namen, denen jeweils mindestens eine Institution zugeordnet ist sowie wenigstens eines von 21 Wissenschaftsfeldern, innerhalb derer die Zitationsanalyse durchgeführt wird. Das Vademecum gibt ein paar Hinweise, was wir aus der Liste herausfinden können sollen; insbesondere wird damit geworben, dass die aktuell führenden Forscher weltweit identifiziert werden und dabei besonders auch Jüngere ("mid-career") erfasst sind. Funktioniert das?

Ich habe zu dem kleinen Sample der 21 "Österreicher", die auch in den Medien genannt wurden, ein paar kleinere Zusatzrecherchen angestellt. Zunächst habe ich die CVs durchgesehen, sofern online verfügbar (bei zweien war meine Suche erfolglos). Rund die Hälfte ist demnach seit 16 oder mehr Jahren in einer unbefristeten Position (in der Regel als Professoren). Der akademisch "jüngste" Vertreter in dieser Liste ist seit drei Jahren entfristet, der Abstand zum Nächsten beträgt vier Jahre. Vielleicht nicht unbedingt aufstrebend, aber das Ergebnis verwundert nicht, immerhin braucht es selbst in den schnelllebigen Lebenswissenschaften Zeit, bis ein Artikel rezipiert ist – gelesen ist, in einem neuen Artikel zitiert wird, und der neue Artikel die entsprechende Qualitätsprüfung (peer review) durchlaufen hat und publiziert wird.

In anderen Wissenschaftsfeldern ist sowohl die Zeitspanne zwischen Ergebnis und Publikation als auch zwischen Publikation und Rezeption (immer gemessen an Zitationen) noch viel länger. Insbesondere in den Sozialwissenschaften ist das der Fall. Aus diesem Feld ist niemand auf der "Österreicher"-Liste, aber zufällig bin ich in der Gesamtliste über den Namen Elinor Ostrom gestolpert, und das fand ich bemerkenswert: Ostrom, immerhin 2009 als erste Frau mit dem Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften gewürdigt, ist 2012 verstorben.

Wer draufsteht und wer nicht

Für heimische Medien besteht ein Reiz der kleinen "Österreicher"-Liste darin, sich auf die "Stars" zu konzentrieren. Wer ist drauf, wer nicht? Medial präsente Personen wie Josef Penninger, Giulio Superti-Furga oder Anton Zeilinger sind nicht (mehr) unter den "Besten". Bedeutet das einen Leistungsabfall? Die Recherche im "Web of Science" ergibt, dass die drei Genannten im Untersuchungszeitraum schon sehr produktiv waren; sie wurden auch im ungefähr gleichen Ausmaß zitiert wie jene ihrer Fachkollegen, die es auf die Liste geschafft haben. Allerdings ist das Eingangskriterium für die Listenerstellung die Zahl der höchstzitierten Artikel im Untersuchungszeitraum, und diese Hürde haben sie für die 2017er Liste nicht genommen.

Michael Schuster dagegen schon. Schuster, Bioinformatiker der Biomedical Sequencing Facility, die am CEMM angesiedelt ist, ist bisher nicht als Star in Erscheinung getreten. Sein aktuelles Tätigkeitsprofil – einen CV konnte ich leider nicht finden, und ich hoffe explizit ihm nicht unrecht zu tun – scheint am ehesten dem eines Staff Scientist zu entsprechen. Auf die Liste hat er es geschafft, weil er bis 2013 einer von mehr als 50 Autoren eines jährlich publizierten Datensatzes ist, der für die Genomforschung von großer Bedeutung ist und entsprechend viel zitiert wird.

Ist Schusters Aufscheinen in der Liste ein Versehen? Nein, weil Staff Scientists eine wichtige Rolle in den Wissenschaften erfüllen, die im allgemeinen Starrummel leicht untergeht, und weil "inkrementelle" Forschung wie der Genom-Datensatz ein wesentlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts ist. Und doch auch ja, ein Versehen, weil die Höchstzitierten-Liste offensichtlich darauf abzielt, unsere Wahrnehmung von Wissenschaft auf die aktuellen (und künftigen) Stars zu lenken. Dass es für neue wissenschaftliche Erkenntnis mehr braucht als starke Persönlichkeiten, nämlich weltweite Kollaboration, organisierte Langmut und inkrementellen Fortschritt, wird damit zumindest in den Hintergrund gedrängt.

Wie "österreichisch" sind wissenschaftliche Karrieren?

Ich habe Bezüge zu "Österreich" hier immer unter Anführungszeichen gesetzt, denn ein weiteres (wenig überraschendes) Ergebnis ist, wie international (oder: wie wenig "österreichisch") die Personen sind. Damit meine ich nicht die Staatsbürgerschaft, die nur schwer festzustellen wäre, sondern die akademische Sozialisation, unterschieden nach Ländern, in denen vor und nach dem Doktorat geforscht wurde. Sieben der Wissenschafter verbrachten den Großteil ihrer Zeit bis zum Doktorat an einer wissenschaftlichen Einrichtung in Österreich, zwei weitere teilweise in Österreich, teilweise in Deutschland. Vier weitere verbrachten diese Zeit vornehmlich in Deutschland, zwei weitere geteilt in Deutschland und einem anderen Land (Tschechien bzw. Schweiz). Von den vier verbleibenden Forscher sozialisierten zwei in Frankreich, einer in Polen, und einer geteilt in Ungarn und den USA.

Ähnlich sieht es für die Post-Doc Phase aus: elf Wissenschafter waren an Instituten in Österreich, zwei davon zusätzlich auch ausführlich in den USA; fünf in Deutschland, wovon aber ebenfalls wieder zwei zusätzlich in den USA waren; von den verbleibenden drei war einer in Polen, einer in Belgien und sodann in Großbritannien, und einer zum großen Teil nur in den USA. Das stärkt nur die lang bekannte Tatsache, dass internationaler Austausch entscheidend für das Forschungsprofil von vielen Wissenschaftern ist.

Fehlende Frauen

Die deutlichste Aussage bezüglich sozialer Merkmale der in der Liste angeführten Personen betrifft das Geschlecht. Die kleine Liste der "Österreicher" besteht ausschließlich aus Männern. Das dürfte auch in der Gesamtliste nur wenig ändern. Ich habe ein (zugegeben nicht-repräsentativ erstelltes) Sample von 200 Namen aus der Gesamtliste genommen und nach Geschlecht kodiert. Der Frauenanteil beträgt hier nur bescheidene zehn Prozent. Wohlgemerkt: Unter den höchstgestellten Wissenschaftern in Europa – in der Regel sind das unbefristete Professuren und gleichartigen Stellen – sind derzeit gemäß SHE-Figures von 2015 rund 21 Prozent Frauen. Allein die Diskrepanz ist frappierend – und ebenso, dass sie, soweit ich erkennen kann, gar nicht thematisiert wird. (Thomas König, 15.12.2017)