Georg Pfau ist Sexualmediziner und Allgemeinarzt in Linz. Sein Spezialgebiet: sexuelle Störungen bei Männern und Paaren. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin in Berlin und hat die Österreichische Akademie für Sexualmedizin in Salzburg mitgegründet.

Foto: Herbert Richter

STANDARD: Leiden Exhibitionisten unter dem Drang, sich vor anderen entblößen zu wollen?

Pfau: Nicht unbedingt, meistens spielen sich die Erregungsmuster nur in den Gedanken ab, also in Masturbations- oder Sexualfantasien. Tatsächlich setzt am Ende nur ein kleiner Prozentsatz von Exhibitionisten seine Vorstellung auch in die Tat um.

STANDARD: Warum lassen manche Exhibitionisten sich dann von Sexualmedizinern behandeln?

Pfau: Weil sie sich vor ihren eigenen Gedanken erschrecken und schon unter ihrer Neigung leiden. In der Therapie geht es daher viel um Selbstakzeptanz.

STANDARD: Der Exhibitionist soll lernen, dass sein Verhalten in Ordnung ist?

Pfau: Nein, keineswegs. Gelebter Exhibitionismus ist natürlich nicht in Ordnung, weil er das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Opfers verletzt. In der Therapie lernen die Betroffenen daher, nicht nur die Neigung zu akzeptieren, sondern auch die Täterschaft zu verhindern – etwa indem sie herausfinden, welche Situationen sie dazu verleiten, sich vor anderen entblößen zu wollen.

STANDARD: Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Pfau: Einen meiner Patienten überkam der Drang zum Exhibitionismus immer, wenn er sich von seiner Freundin zurückgewiesen fühlte. In der Therapie arbeiteten wir daran, solche Risikosituationen zu erkennen und Strategien zu entwickeln, um Täterschaft zu verhindern – etwa indem er mit seiner Freundin über seine Gefühle spricht.

STANDARD: Der Filmproduzent Harvey Weinstein soll vor den Augen der Journalistin Lauren Sivan masturbiert haben. Auch dem Komiker Louis C.K. wird vorgeworfen, in dieser Form sexuell übergriffig geworden zu sein – ist das noch Exhibitionismus?

Pfau: Da ich die beiden Herren nicht kenne, kann ich ihr Verhalten nicht beurteilen. Ziel des Exhibitionisten ist es, sein meist fremdes Gegenüber zu erschrecken. Die Tat an sich, die Angst oder vielmehr der Schock des Opfers bereiten ihm sexuelle Befriedigung. Der Täter repariert damit quasi sein meist angeschlagenes Ego. Die Motive der Herren Weinsteins oder Louis C.K. kenne ich nicht. Daher kann und will ich zu den Fällen auch nicht mehr sagen.

STANDARD: Was ist, wenn ein Chef seine Angestellte fragt, ob er vor ihr masturbieren darf?

Pfau: Sexualität zwischen Chef und Angestellter ist grundsätzlich verboten. Denn in Sachen Sexualität geht es immer um Einvernehmlichkeit – diese ist allerdings nur gegeben, wenn beide die "Fähigkeit zur Einvernehmlichkeit" besitzen.

STANDARD: Und ein Abhängigkeitsverhältnis schließt diese "Fähigkeit zur Einvernehmlichkeit" grundsätzlich aus?

Pfau: Richtig. Sex zwischen einem Vorgesetzten und seiner Mitarbeiterin ist daher weder moralisch noch juristisch in Ordnung – ebenso wie zwischen Lehrer und Schüler oder zwischen einem Filmproduzenten und einer Schauspielerin. Sind die Sexualpartner hingegen gleich stark und stehen in keinem Abhängigkeitsverhältnis zueinander, ist das Voreinander-Entblößen natürlich erlaubt und auch ein gängiges Initialisierungsritual für Sexualität.

STANDARD: Ein Fall, der in den Medien ebenfalls Aufsehen erregte, war der des Ex-Kongressabgeordneten Anthony Weiner in New York. Er soll Minderjährigen übers Internet ungefragt Bilder seines Penis geschickt haben. Was steckt hinter so einem Verhalten?

Pfau: Zu konkreten Fällen kann ich wie gesagt nichts sagen. Wenn sich der Tatbestand tatsächlich so zugetragen hat – solange ein Mensch nicht verurteilt ist, gilt immer noch die Unschuldsvermutung -, wäre dieses Verhalten allerdings besonders verwerflich, da das Opfer noch minderjährig wäre. Das nicht einvernehmliche Versenden von Genitalfotos kann eine plumpe Anmache sein, vielleicht handelt es sich aber auch um eine moderne Form des Exhibitionismus. Denn das Mädchen muss sich – ob sie will oder nicht – die übermittelten Bilder ansehen. Ihr vermutetes Erschrecken könnte den Täter damit bereits im Vorfeld befriedigen. Solche Handlungen wären damit auf mehrere Weise nicht akzeptabel. (Stella Marie Hombach, 18.12.2017)