Der neue Kanzler Sebastian Kurz zieht die EU-Agenden vom Außenministerium an sich und baut sich so ein europapolitisches Machtzentrum. Ehe er noch als Kanzler angelobt ist, ehe noch überhaupt eine neue Regierung steht, kündigte Sebastian Kurz einen massiven EU-politischen Schwenk an. Österreich wird sich in der Flüchtlingsfrage weg von der Mitte – Merkel und Macron – nach rechts bewegen: hin zu den sogenannten Visegrád-Staaten, also Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei.

Auslöser war der Vorstoß des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, der erklärte die Aufteilungspolitik der EU in Sachen Flüchtlinge – jeder Staat nimmt verpflichtend eine bestimmte Quote – praktisch für gescheitert.

Das ist eine richtige Beschreibung, vor allem, weil sich die von Nationalisten regierten osteuropäischen Staaten wider jede Solidarität hartnäckig weigern, auch nur eine bescheidene Anzahl von Flüchtlingen zu übernehmen. So wenig sie sonst mit dem liberalen Tusk gemein haben, dessen Einschätzung stimmten sie freudig zu.

Am freudigsten allerdings Sebastian Kurz. Er unterstütze Tusk, sagte er, und überhaupt brauche die EU-Flüchtlingspolitik einen "Systemwechsel": "Tusk hat recht, wenn er sagt, dass verpflichtende Flüchtlingsquoten in der EU nicht funktioniert haben. Ich werde daher dafür eintreten, dass diese falsche Flüchtlingspolitik geändert wird."

Der Systemwechsel soll laut Kurz darin bestehen, dass die "illegale Migration nur durch einen ordentlichen Außengrenzschutz" in den Griff zu bekommen sei. Vereinfacht gesagt bestünde der Systemwechsel darin, dass man nicht mehr zur Unterbringung der Flüchtlinge Mittel zur Verfügung stellt, sondern zu ihrer Abhaltung an den EU-Außengrenzen. Das ist in etwa das, was Kurz als "Schließung der Mittelmeerroute" einen ganzen Wahlkampf hindurch gepredigt hat.

Ein kleiner Realitätscheck ergibt aber: Die Mittelmeerroute ist seit längerem praktisch geschlossen. Der "Systemwechsel" ist bereits erfolgt.

Dies wurde – ganz ohne Zutun von Kurz – durch die EU und Italien erreicht. Wieder vereinfacht gesagt: Die EU und Italien haben in Libyen diverse bewaffnete Banden bestochen, dass sie die Flüchtlinge nicht mehr von der Küste weglassen (z. T. wurden frühere Schlepper "umgedreht"). Der Effekt ist, dass nun Hunderttausende aus Afrika in "wilden" Lagern sitzen, wo sie auf entsetzliche Weise ausgebeutet und misshandelt werden (siehe dazu den Amnesty-Bericht).

Aber es kommen kaum mehr Migranten aus Libyen. Ähnlich, nur humaner ist es in der Ostägäis, wo die EU (=Merkel) den türkischen Diktator Erdogan bestochen hat, dass er keine Boote mehr weglässt.

Diese Form des "Außengrenzschutzes" funktioniert also. Kurz scheint das zu ignorieren, wenn er – gegen Merkel – die Visegrád-Staaten bei ihrer Weigerung unterstützt, sich konstruktiv an der Lösung des Problems zu beteiligen. Er macht daher in dieser Frage praktisch gemeinsame Sache mit Orbán & Co. Man wird sehen, ob und wo er das weiterhin tut. (Hans Rauscher, 15.12.2017)