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Katalonien strebt nach Unabhängigkeit. Umfragen zufolge wird es für das separatistische Lager schwierig, bei den Regionalwahlen am 21. Dezember seine Mehrheit zu verteidigen.

Foto: ap/Emilio Morenatti

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Botschaft mit versteckter Botschaft: König Felipe VI. pochte nach dem Referendum auf die "verfassungsmäßige Ordnung" Spaniens. Im Hintergrund: Karl III. von Spanien, kein Freund der Katalanen.

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Am 21. Dezember wird in Katalonien neu gewählt. Mal wieder. Die letzten Wahlen vor zwei Jahren brachten den Unabhängigkeitsbefürwortern eine knappe Mehrheit von 72 aus 135 Abgeordneten ein. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, ein Referendum mit Madrid auszuhandeln, ging die Koalition aus Liberalen (PDeCAT) und Sozialdemokraten (ERC), mit punktueller Unterstützung der Kommunisten (CUP), ihren eigenen Weg. Die abgehaltene Abstimmung am 1. Oktober dieses Jahres, die aufgrund des Einschreitens der National- und Militärpolizei keinen demokratischen Standards standhalten konnte, war der Anfang vom Ende dieser Legislaturperiode.

Der Höhepunkt dieses politischen Suizids war die Unabhängigkeitserklärung am 27. Oktober. Das furiose Ende der parlamentarischen Aktivität begleitete das Inkrafttreten des Artikels 155 der spanischen Verfassung, der die Autonomierechte der Region aussetzte und diese unter Zwangsverwaltung der Zentralregierung stellte. Das Paradoxon hier ist sicherlich, dass die in Spanien regierende Volkspartei (PP) in den katalanischen Regionalwahlen nicht einmal neun Prozent der Stimmen erhielt.

Internationalisierte Debatte

Ein Teil der katalanischen Regierung, mit dem nach dem Referendum abgesetzten Präsidenten Carles Puigdemont an der Spitze, setzte sich nach Brüssel ab, um sich einerseits der spanischen Justiz zu entziehen und anderseits sein Anliegen zu internationalisieren. Im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten scheint diese Idee zu fruchten: Die "katalanische Frage" wurde von nahezu allen Medien aufgegriffen, plötzlich meinte jeder, eine Meinung haben zu können.

Das ist durchaus positiv zu bewerten, denn der spanische Staat allein scheint keinen Rahmen zur Schlichtung des Konfliktes zu bieten. Allerdings hat man von rechts nach links schlecht recherchierte Beiträge lesen können, die vor allem durch Halbwissen glänzten und, in Ermangelung von Sachkenntnis, mit Totschlagargumenten aufwarteten. Dass es bereits genug Grenzen gibt, würde quasi jedem kleineren Staat sein Existenzrecht absprechen. Dass man sich nicht noch mehr Staaten leisten kann, ist vollkommen konträr zum Geschichtsverlauf der letzten 200 Jahre. Dass ein unabhängiges Katalonien nicht überlebensfähig wäre, scheint ebenfalls ein eher dystopisches Szenario zu sein.

Ein Territorium mit mehr als sieben Millionen Einwohnern und einer soliden Wirtschaft würde politische Turbulenzen einer solchen Größenordnung zwar deutlich zu spüren bekommen, aber nicht an ihnen zugrunde gehen. Wären diese Parameter tatsächlich wahr, sollte Dänemark besser der Bundesrepublik Deutschland angeschlossen werden.

Die Zentrifugalkraft des Autoritarismus

Der Autoritarismus Spaniens, der ohne den Segen der spanischen Sozialdemokraten (PSOE) sich nicht hätte entfalten können, hat der Demokratie eher geschadet als geholfen. Zu oft habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten von verschiedenen Bekannten gehört, dass man absolut sprachlos und perplex sei. Menschen, die an eine föderale Lösung des Konflikts glaubten – und damit an ein anderes Spanien – haben diese Vorstellung mittlerweile ad acta gelegt.

Ein Staat, der die verschiedenen Sprachen und Mentalitäten achtet und beschützt, schien mit dem Emporkommen der Partei Podemos, die Prinzipien der europäischen Sozialdemokratie der 1950er- und 1960er-Jahre verfolgt, durchaus möglich. Nun aber scheint die Sensibilität, die Podemos bezüglich der verschiedenen nationalen Identitäten innerhalb Spaniens an den Tag legt, in Gesamtspanien nicht mehrheitsfähig. Die Unbeweglichkeit und vor allem das Unverständnis der Mehrheit gegenüber den Minderheiten hat nun einige, vor allem junge und gemäßigte Wähler in Katalonien der Befürwortung der Unabhängigkeit in die Arme getrieben.

Auf der anderen Seite hat sich im Windschatten der Volkspartei die rechtsliberale Bürgerpartei Ciudadanos (C’s) zu unbekannten Höhenflügen aufgemacht. Als strikte Befürworter der Beschneidung der Autonomierechte, und im Gegensatz zu den Konservativen noch ohne nennenswerte Korruptionsskandale, könnte C’s am 21. Dezember die meistgewählte Partei werden. Mit beachtlichem Erfolg versucht man sowohl den Sozialdemokraten als auch den Konservativen Stimmen streitig zu machen. Die Ignoranz der katalanischen Parteien gegenüber der spanischsprachigen Bevölkerung würde demnach zu einem hohen Preis kommen.

(Um-)Brüche der politischen Allianzen

Die beiden bislang regierenden Parteien treten diesmal nicht als Koalition an. Auch wenn man einen Nichtangriffspakt geschlossen hat, ist offensichtlich, dass die Koalition an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangt ist. Die offizielle Version ist jedoch, dass man versucht, mit zwei Listen zwei verschiedene Wählerschaften abzugreifen. PDeCAT versucht Stimmen von rechts mitzunehmen, während ERC in kommunistischen und sozialistischen Gewässern fischt.

Dass die erzwungenen Wahlen fernab jeder Normalität sind, verdeutlicht der Listenplatz eins beider Parteien. Für die Liberalen tritt der nach Belgien geflüchtete Puigdemont an. Derzeit wird in den Zeitungen heiß diskutiert, ob dieser im Falle der Wiedereinreise sofort festgenommen werden könnte. Schlimmer hat es die katalanische Sozialdemokratie getroffen. Der Vorsitzende der Republikanischen Linken (ERC), Oriol Junqueras, ist seit über einem Monat in Haft.

Das Ausschalten politischer Rivalen mittels deren Inhaftierung hat in Spanien Tradition. Inwiefern sich Puigemont, Junqueras und Konsorten über geltendes Recht hinweggesetzt haben, ist mit Sicherheit einer reflektierten Analyse würdig. Inwiefern es jedoch sinnvoll ist, politische Auseinandersetzungen über Gerichte zu führen, sollte gleichsam einer Nachbetrachtung unterworfen sein. Die Lossagung eines Landesteils vom Zentralstaat sieht in der Regel keine Verfassung vor und verstößt daher per Defekt gegen das Gesetz. Die Judikative kann somit nicht das geeignete Diskussionsforum sein und sollte auch nicht als solches missbraucht werden.

Verlautbarungen statt Diskurs

Hätte man in Madrid zeitig, durchdacht und generös gehandelt, wäre es womöglich gar nicht zur gegenwärtigen Situation gekommen. Leider fällt Spaniens Präsident Mariano Rajoy eher durch wirre Verlautbarungen ("ein Glas ist ein Glas") auf als durch einen markanten Diskurs. Als Puigdemont noch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verfügung hatte, schien er in seinen Ansprachen der Situation gewachsener zu sein als der Präsident des Königreiches.

Vom König wiederum ist seit seiner letzten Emission nicht mehr viel zu hören gewesen. Im Vorhinein machten sich viele noch Hoffnungen, er könne als nominales Staatsoberhaupt zur Schlichtung beitragen, doch zerschlugen sich auch diese Erwartungen alsbald. In Erinnerung bleibt vor allem das Bild Karls III., der, mit einem Knüppel in der Hand und in Öl gemalt, aus dem Hintergrund grüßte. Kurioserweise war es ebendieser Herrscher, der vor knapp 300 Jahren die katalanische Sprache aus dem Verwaltungswesen und den Schulen verbannte.

Wählen, bis es passt

Andererseits hat Madrids harte Hand nicht nur dem spanischen Nationalismus Auftrieb gegeben, sondern auch wieder die Semantik der Sieger über die Besiegten aufleben lassen. Das Gefängnis und die Drohung, den Artikel 155 wieder anzuwenden, sollten die "Falschen" gewinnen, lassen durchschimmern, wer am längeren Hebel sitzt.

Die Umfragen deuten bislang auf eine erneute Pattsituation hin. Die "katalanische Frage" wird sich voraussichtlich auch nach dem 21. Dezember nicht substanziell ändern. In Katalonien stehen sich zwei Wählerschaften gegenüber, die nationale Belange über soziale und ökonomische stellen. Das Ergebnis wird denkbar knapp ausfallen. Sollte sich keine Mehrheit finden, würden sich Neuwahlen anbieten. Mal wieder. (Moritz Groß, 20.12.2017)