Das christliche Kirchenjahr ist die Lebensgrundlage des mittelalterlichen Menschen. Eine feste Abfolge von Fest- und Fastenzeiten ist vorgeschrieben. Noch heute kennen wir alle – ob praktizierende Christen oder nicht – etliche solcher Fixpunkte im Jahresablauf: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und so weiter. Im Mittelalter ist das Christentum aber omnipräsent und prägt das Alltagsleben jedes einzelnen in einem Maß, das für uns heute kaum mehr nachzuvollziehen ist. Nach den kirchlichen Geboten sind im Mittelalter die Weihnachts- und Osterfestkreise wie auch die "normalen" Zeiten des Jahres dazwischen in Normal-, Fest- und Fastentage unterteilt:

Zu den festgelegten mehrtägigen Fastenzeiten zählten im Mittelalter der gesamte Advent als Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn und die Quadragesima, also die 40-tägige vorösterliche Fastenzeit. Dazu kamen die so genannten Quatemberzeiten als mehrtägige Fastenzeiten – jeweils von Mittwoch bis Samstag – vier Mal im Jahr – immer ungefähr zu Beginn einer neuen Jahreszeit. Die erste Quartember findet nach Invocabit (1. Fastensonntag, Quatember in der Fastenzeit) statt; die zweite nach Pfingsten (Pfingstquatember beziehungsweise Sommerquatember); die dritte nach Kreuzerhöhung (14. September; Quatember im Herbst); die vierte nach Lucia (13. Dezember; Quatember vor Weihnachten).

Neben Fastenperioden gibt es regelmäßige Fastentage

Dazu kamen dann noch einzelne Fastentage: Das waren im Mittelalter alle Freitage sowie die Vigilien, also die Vortage von Sonn- und Festtagen. Somit zählten auch alle Samstage zu den Fastentagen. Zusätzlich wurde auch der Mittwoch als Wochentag innerhalb einer mehrtägigen Periode von Normal-Tagen oft als Fastentag gewertet. Zu diesen "offiziellen" Fastentagen konnten aber zusätzlich noch persönliche Fasten- und Bußtage hinzukommen. Summa summarum können wir davon ausgehen, dass im Mittelalter in der Regel mehr als die Hälfte der Tage im Jahreslauf als Fastentage galten. Nur Kinder unter zwölf und Kranke waren von diesen Regeln explizit ausgenommen.

Die Quellen zeigen uns, dass sowohl im weltlichen als auch im geistlichen Lebensraum dieser "Fastenkalender" bis zur Reformation fixer Bestandteil der täglichen Lebenspraxis war – selbstverständlich mit regionalen Unterschieden und immer wieder offenbar gelockert und aufgeweicht und dann in einer Reformbewegung wieder zu den strengen Geboten zurückgeführt.

Duccio di Buoninsegna: Die Geburt Christi (circa 1308-1311).
Foto: Public Domain

Fasten versus hungern

"Fasten" und "hungern" werden heute in unserer Alltagssprache oft fälschlicherweise gleichgesetzt oder zumindest nicht genau genug differenziert: Man hungert durch äußere Umstände erzwungen, also unfreiwillig. Das Fasten ist aber ein freiwilliger Nahrungsverzicht, der sich auch auf mentaler Ebene auswirkt. Das Fasten ist Bestandteil jeder Kultur und Religion und hat eine lange Tradition:

Man fastet, um zur inneren Einkehr zu kommen, um die persönlichen Sichtweisen zu erweitern, um Reinigungsprozesse auf allen Ebenen in Gang zu setzen – mit dem übergeordneten Ziel, sich zu stärken, sowohl mental als auch körperlich. Das Fasten kann auch ein Ausdruck der allgemeinen Buße oder eine Übung des bewussten Maßhaltens sein, mit der man seinen eigenen Körper und seine Begierden zu beherrschen versucht, zum Beispiel durch religiöse Übung in den Klöstern. Die körperliche Kasteiung ist beim Fasten also nicht als Selbstzweck zu sehen. Heute ist das Fasten ein Ausdruck der Askese, der nicht unbedingt nur auf Nahrung beschränkt sein muss: Man denke zum Beispiel an das Autofasten.

Fastengebote

Im Mittelalter war das tägliche Leben hart und forderte von allen Menschen sehr viel Energie und körperliche Kraft. Damit die tägliche Arbeit trotz der großen Zahl an Fastentagen erledigt werden konnte, wurde Fasten im Mittelalter in der Regel nicht automatisch mit entbehrungsreicher Askese gleichgesetzt.

Die Einschränkung der Menge der Nahrungsmittel beziehungsweise der Anzahl der Mahlzeiten war ein Weg, es gab aber noch weitere, weitreichendere Richtlinien: An Fasttagen durften kein Fleisch und keine Produkte vierfüßiger oder warmblütiger Tiere verzehrt werden. Das schließt auf alle Fälle die Laktizinien, also die Milchprodukte, mit ein. Und je nach Auslegung der Vorschriften war auch der Konsum von Eiern verboten. Erlaubt war an Fastentagen aber der Verzehr von Fisch. Dieser blieb aber weitgehend der "Herrentafel" vorbehalten. Im Normalfall kamen an Fastentagen Hülsenfrüchte, Gemüse und Getreidebreie sowie Brot auf den Tisch.

Aus dem mittelalterlichen Alltag

Wie stark die tägliche Lebenspraxis von den Fastenzeiten und -tagen geprägt war, dokumentiert das Wirtschaftsbuch des Benediktinerklosters Tegernsee aus dem späten 15. Jahrhundert: Im dritten Teil dieses Wirtschaftsbuchs, dem sogenannten Speisenbuch, ist registriert, was der Küchenmeister des Klosters der Küchenmannschaft zur Verfügung stellen musste, damit diese, dem Jahreslauf entsprechend, die richtigen Speisen zubereiten konnte. Hier gibt es präzise Unterscheidungen zwischen Fasten- und Nichtfastenzeiten. Die Listen von Speisen sind im Tegernseer Wirtschaftsbuch explizit in zwei Gruppen geteilt, nämlich in Speisen für Fastentage und Speisen für Tage, wenn man mit Milch und Eiern kocht, also jene Tage, die nicht als Fastentage gewertet werden. Auf fol. 51v und fol. 66v findet sich der Eintrag: "Auf 40 Person zuo den suppen wan man von milch und ayren kocht."

Das Speisenbuch folgt der Gliederung des Kirchenjahres und beginnt dem zufolge mit dem Advent: "Vermerckt das essen, so man das Jahr gibt dem Konvent in das Refectori ze Tegernsee Jn Adventu domini." Dann folgt ein Wochenspeiseplan von Sonntag bis Samstag mit Speisen für die Hauptmahlzeit und am Sonntag auch für eine Abendmahlzeit:

"Domenica ad prandium: Kässuppen, Semmelmueß, Kraut / pachens vel pisces darauff. Ad cenam: arbeis oder zizersuppen, pät semel darein; brochen gersten oder epfl mueß / pachen darauff" (Z. 4-8)

Am Sonntag zum Frühmahl: Käsesuppe, Semmelmus, Kraut mit Gebackenen oder Fischen darauf. Zum Abentmahl: Erbsen- oder Kichererbsensuppe, gebähte Semmeln hinein; Rollgerste oder Apfelmus, Gebackenes darauf

Im adventlichen Fasten gibt es also im Kloster Tegernsee nur am Sonntag zwei Mahlzeiten. Da wird neben dem prandium, dem Frühmahl, so gegen 10 Uhr, auch ein Abendmahl – cena, so gegen 17 Uhr – eingenommen. Den Regeln des Heiligen Benedikt gehorchend ernährten sich die Benediktiner des Klosters Tegernsee während des gesamten Jahres fleischlos, so galt es, das Fasten durch Einschränkung der Nahrungsaufnahme und Einschränkung der Ingredienzien auszudrücken.

Fisch – die Fastenspeise par excellence

An Fastentagen und in Fastenzeiten gab es also –  auch in den weltlichen und weltgeistlichen Elitehaushalten – kein Fleisch, aber Fische und Krebse kam sehr wohl auf den Tisch. Fischspeisen waren aber Fastengerichte der Oberschicht. Die Fischereirechte lagen im Mittelalter, wie das Jagdrecht, als Herrenrecht in den Händen der Adelselite. Das hatte sich bis zum Beginn des Hochmittelalters (12. Jahrhundert) herausgebildet, als es darum ging, die gesellschaftliche Hierarchie zu fixieren und vor allem den Adel von den anderen Gruppen abzugrenzen. Die Klöster beschäftigten sich mit der Fischerei in fließenden und stehenden Gewässern, darüber hinaus aber auch mit der Fischzucht – durchaus auch zu kommerziellen Zwecken. Und man hielt die Erkenntnisse schriftlich fest. Dem "Tegernseer Wirtschaftsbuch" ist beispielsweise das sogenannte "Tegernseer Fischereibuch" beigebunden, das sich detailliert mit der Köderherstellung und der Köderfischerei beschäftigt.  

Neben den Süßwasserfischen kannte man im Spätmittelalter im mitteleuropäischen Raum aber auch Meeresfische, die in konservierter Form als wichtige Handelsware aus dem Norden Europas kamen: vor allem Stockfisch (getrocknet) und Hering (eingesalzen).

Verkauf von Fischen, Fröschen und Schnecken, Konstanzer Richental Chronik (circa 1464).
Foto: Public Domain

Bei der Zubereitung von Fisch zeigen die Quellen Kreativität und einen Hauch Luxus: Im Kochbuch des Wiener Dorotheenklosters werden 19 Fischarten unterschieden, darunter durchaus feine und seltene, wie der Hecht oder das Neunauge. Ein Rezept für Fischsuppe aus dem "Tegernseer Speisenbuch" lautet folgendermaßen:

Soviel gibt man auf 40 personen gen kuchl […]
zu der vischsuppen
3 maß wein, 1 semel, gwürz und gibt zu einem gelben scharfen süppel an die visch, 7 maß wein, 1 löffel ymber, 1 leffel pfeffer / wilt du es peßer haben , so reib ein leczelten dazu (53r-54r)

So viel gibt man in die Küche für 40 Personen:
Für die Fischsuppe
3 Maß Wein, 1 Weißbrot, Gewürz und zu einer gelben scharfen Suppe [= dünne Sauce] zu den Fischen gibt man [an die Küche] 7 Maß Wein, 1 Löffel Ingwer, 1 Löffel Pfeffer; wenn du es besser haben willst, so reib einen Lebzelten hinein

Das zeigt uns eine Kombination von Ingredienzien, die man so nicht erwarten würde: Fisch und Wein kombinieren wir auch heute durchaus gerne, aber dann: Ingwer, Pfeffer und Lebzelten? Da kommt ein Hinweis auf das mittelalterliche Grundverständnis von Gottes Schöpfung und den unauflöslichen und für den mittelalterlichen Menschen selbstverständlichen Zusammenhang zwischen Essen und Gesunderhaltung des Körpers zu Tage: Der nach der Säftelehre feucht-kalte Fisch muss mit heiß-trockenen Gewürzen "temperiert" werden, damit insgesamt eine verträgliche, ausgewogene Speise entsteht.

Vor allem die gehobene Küche der "Herren", deren Köche angehalten waren zu zeigen, was sie konnten, zumal wenn Gäste da waren, die es zu beeindrucken galt, stellt sich uns in den überlieferten spätmittelalterlichen Rezepten für Fastentage erstaunlich kreativ dar. Vor allem sogenannte Scheingerichte, also Ersatzspeisen an Fastentagen, sind vielfach überliefert. Diese Gerichte werden im deutschen Südwesten nicht umsonst "Herrgottb’scheißerle" genannt. Es galt, an einem Fastentag ein Gericht auf den Tisch zu bringen, das wie eine "verbotene" Speise anmutete und dann – bei näherer Betrachtung beziehungsweise Verkostung – doch keine war. Der Esser sollte damit überrascht und unterhalten werden.

Die Mandel spielt dabei als Ausgangsingredienz eine zentrale Rolle und weist gleichzeitig – als teures Importgut – darauf hin, dass alle diese Scheingerichte Bestandteil der Elitenküche waren. Da gibt es die Mandelmilch, den "Käse", der aber aus Mandelmasse hergestellt wurde, oder auch "Eier in der Fasten" – ebenfalls aus Mandelmasse geformt.

Mohn- und Mandelkäse als Substitut für das Milchprodukt Käse an Fastentagen.
Foto: Helmut W. Klug

Die mittelalterliche Mentalität als Spiegel

Ohne das Mittelalter verklären zu wollen und über die Beschränkungen und aus heutiger Sicht negativen Seiten hinwegzugehen, gibt uns diese Epoche durchaus Bedenkenswertes mit auf den Weg: An den Fastentagen muten die mittelalterlichen Speisenzusammenstellungen fast "mediterran-leicht" an – mit Öl, viel Gemüse und Fisch. Darüber hinaus war der Wechsel von Fleischkost und fleischloser Kost nach heutiger Kenntnis physiologisch richtig und durchaus gesund.

Wir leben heute in einer Zeit, die uns alles bietet. Uns stehen Nahrungsmittel immer und überall zur Verfügung. Und dennoch: Dieser Überfluss führt oft zum Überdruss. Mit fortschreitender Zivilisation ist uns unser natürlicher Lebensrhythmus abhandengekommen: Schlafen und Wachen, Arbeiten und Ausruhen, Essen und Fasten sind oft nicht mehr in einem gesunden Gleichgewicht. Wir wachen, arbeiten und essen zu viel und bemühen uns so lange nicht um den notwendigen Ausgleich, bis uns unser Körper auf unangenehme Weise durch Krankheit oder Erschöpfung dazu zwingt.

In der Fülle laufen wir Gefahr, dass uns die Wertschätzung des Essens abhandenkommt, oft haben wir die "goldene Mitte", die mittelalterliche Tugend der mâze, verloren. Hildegard von Bingen sagt im 12. Jahrhundert dazu: "Die Seele liebt in allen Dingen das rechte Maß … Genauso wie es dem Magen schaden würde, immer voll zu sein, so der Seele, wenn der Leib immer im Vergnügen lebte. (Discretio)" (Karin Kranich, Helmut W. Klug, 21.12.2017)

Literaturhinweise 

  • Aichholzer, Doris: “Wildu machen ayn guet essen.” Drei mittelhochdeutsche Kochbücher: Ersteditionen, Übersetzung, Kommentar. Wien [u.a.]: Lang 1999. (= Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie. 35.)

  • [Kochbuch des Dorotheenklosters] Wien, Österreichische Nationalbibliothek.

  • Kranich, Karin: Das Tegernseer Wirtschaftsbuch: Benediktinische Kulinarik in Fasten- und Nichtfastenzeiten. In: Der Koch ist der bessere Arzt. Zum Verhältnis von historischer Diätetik und Kulinarik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Fachtagung im Rahmen des Tages der Geisteswissenschaften 2013 an der Karl-Franzens-Universität Graz, 20.6.-22.6.2013. Hrsg. v. Andrea Hofmeister-Winter, Helmut W. Klug, Karin Kranich. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 2014. (= Mediävistik zwischen Forschung, Lehre und Öffentlichkeit. 8.) S. 177-88.

  • Pregenzer, Schmidle: Hildegard von Bingen – Einfach fasten. Tyrolia 2004.

  • Strauchenbruch, Elke: Luthers Küchengeheimnisse. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2015.

  • [Tegernseer Wirtschaftsbuch] München, BSB, cgm 8137, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00076122-5.

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