Facebook und Twitter verbreiten Informationen vollkommen grenzenlos, ungefiltert und in Echtzeit über den gesamten industrialisierten Globus.

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Fake News, Lügenpresse, Social Bots. Galten Journalisten über Jahrhunderte hinweg als wichtigste Kontrolleure demokratischer Staatsstrukturen, werden sie in jüngster Zeit vor allem auch aufgrund der Entwicklungen im digitalen Bereich zunehmend und existenziell infrage gestellt. Wenn jeder alles kommentieren kann und darf, warum braucht es dann noch einen offiziellen "Kommentator"?

"Die Demontage etablierter Mediensysteme in ihrer Rolle als vierte Macht im Staat: Wie wird die zunehmende Weltunordnung unsere Lebensrealität verändern und welche Auswirkungen wird sie für Politik, Medien und Gesellschaft mit sich bringen?" Diese und ähnliche Fragen standen im Mittelpunkt des bereits elften Europäischen Mediengipfels, welcher traditionsgemäß Anfang Dezember in Lech am Arlberg stattgefunden hat. Führende deutschsprachige Medienvertreter trafen sich dort zum Meinungs- und Gedankenaustausch und zogen Bilanz über die immer rasanter stattfindenden Umbrüche in einer Branche, welche noch vor wenigen Jahren das unangefochtene Monopol zur Kontrolle staatlicher "Eliten" innehatte.

Digitale Informationsrevolution

Dabei waren und sind es vor allem die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre, welche das Internet wahrlich erwachen ließen. Ursprünglich als reiner Träger von Information konzipiert und für die noch recht überschaubare Anzahl an Teilnehmenden lediglich passiv konsumierbar, wurde es binnen weniger Jahre zur wohl inklusivsten Diskursplattform der Menschheitsgeschichte. Facebook und Twitter etwa ist es gelungen, Informationen vollkommen grenzenlos, ungefiltert und in Echtzeit über den gesamten industrialisierten Globus zu verbreiten. Fast schon lächerlich klein im Vergleich mit dem "Web 2.0" erscheinen in diesem Zusammenhang Johannes Gutenbergs bewegliche Lettern (1450), Peter Mitterhofers Schreibmaschine (1864) oder Graham Bells Telefon (1876).

Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Informations- und Medienrevolution werden uns jedoch nur sehr langsam und lediglich anhand konkreter Anlassfälle bewusst: Der Arabische Frühling, welcher erst durch die spontane länderübergreifende Vernetzung junger Protestierender über soziale Medien zumindest einige Zeit funktionieren konnte bis hin zu Donald Trumps "Twitter-Diplomacy". In diesen, sowie mittlerweile unzähligen anderen Fallbeispielen der vergangenen Jahre, waren es erstmals nicht mehr die klassischen Medien, welche als intermediäre Strukturen innerhalb eines sozialen Gefüges vermittelten. Vielmehr ergab sich die Gruppen- oder sogar Volksmeinung aus der Summe und damit Verstärkung der Meinungen zigtausender oder sogar -millionen Einzelner. Die Einen mögen in diesem Zusammenhang vielleicht mit dem Begriff der "Schwarmintelligenz" argumentieren, also dem Gedanken, dass die Gesellschaft basierend auf der Summe ihrer Bestandteile letztendlich durchaus positive, konsensuale Ergebnisse hervorzubringen imstande sei. Den anderen hingegen – und diese Sichtweise scheint mit Blick auf die gerade stattfindende digitale Revolution viel einleuchtender – drängt sich hierbei dann doch eher das Bild der Lemminge auf, die gemeinsam von der Klippe springen.

Warum braucht es Journalisten?

Dass das Web 2.0 professionelle Journalisten keineswegs obsolet, sondern sogar noch wichtiger gemacht hat, erschließt sich jedoch erst dann, wenn man sich den Logiken beziehungsweise Algorithmen der Zuckerberg‘schen Informationswelt gewahr geworden ist. War die "Information" früher ein knappes und dementsprechend wertvolles Gut einiger privilegierter Weniger, so ist an diese Stelle heute die "relevante Information" getreten.

Die Möglichkeit der allumfassenden, aktiven Teilnahme am Informationsfluss hat in einem ersten Schritt dazu geführt, dass die wenigen wirklich wichtigen News immer mehr im Morast des Unwichtigen beziehungsweise Irrelevanten versinken. Darüber hinaus sind es nicht mehr die wichtigen, fundiert recherchierten und angemessen präsentierten Inhalte, welche die meiste Aufmerksamkeit generieren. Die Algorithmen von Facebook, Twitter und Co. wurden (leider) dergestalt kalibriert, dass einfach nur der lauteste Schrei nach Aufmerksamkeit am öftesten geliked, geshared oder retweetet wird und damit – und das ist der springende Punkt – am Ende als einzig richtig und wichtig wahrgenommen wird. Es ist im Grunde die gleiche Logik wie in der Werbung, nur dass sie im Rahmen sozialer Medien nicht mehr als solche gekennzeichnet ist.

Das letzte Bollwerk

Der klassische Journalismus scheint hingegen das letzte Bollwerk gegen vollkommene Meinungs- und Informationsanarchie geworden zu sein. Wenngleich – und das darf hier keinesfalls missverstanden werden – es grundsätzlich sehr begrüßenswert erscheint, dass sich heutzutage auch der "einfache Bürger" an den so wichtigen gesellschaftsrelevanten Diskursen zu Wort melden kann und seine eigene Meinung (ob fundiert oder auch nicht) einbringen darf, so sollte die finale Selektion, Formulierung und Prioritätensetzung von Information letztendlich unbedingt von jenen erfolgen, die ganz konkret dafür ausgebildet wurden.

Zwar haben leider nicht alle Journalisten eine hervorragende Ausbildung hinter sich und was den (unabhängigen) Medienpluralismus gerade auch in Österreich betrifft, so bedarf es dringend breiterer Angebote, damit der Wettstreit der Argumente eben nicht nur von wenigen Medieneliten geführt wird. Dass es allerdings grundsätzlich ein Filterinstrument geben muss, das nur der professionelle Journalismus bereitstellen und bedienen kann, scheint das absolute Gebot der Stunde zu sein. (Michael C. Wolf, 18.12.2017)