Wien – Einem aufmerksamen Passanten ist es zu verdanken, dass der 6. September für Familie M. nicht mit einer Katastrophe endete. Der Mann hatte zu späterer Stunde beobachtet, wie ein Kleinkind in Wien-Brigittenau bei einem offenen Fenster im zweiten Stock herumturnte und alarmierte Polizei und Feuerwehr, die das Kind bergen konnten. Es war allein in der Wohnung, da Mutter, Tante und Nichte eine andere Abendunterhaltung geplant hatten. Zwei der Frauen müssen sich nun wegen Vernachlässigung vor Richterin Daniela Zwangsleitner verantworten.

Die 42-jährige Mutter des Buben bekennt sich unumwunden schuldig. "Ich habe meinen Sohn um 20 Uhr schlafen gelegt, um 21 Uhr bin ich mit meiner Schwester weggegangen und habe mit meiner Nichte gesprochen, ob sie auf das Kind aufpassen könne", sagt die Frau. "Wie lange hatten Sie vor wegzugehen?", fragt die Richterin. "So eineinhalb Stunden. Wir wollten uns am Schwedenplatz mit Freunden treffen." – "Und das Fenster in dem Zimmer war offen?" – "Ja, ich habe vergessen es zu schließen."

Nichte vergaß Wohnungsschlüssel

Was noch kein ganz so großes Problem gewesen wäre, hätte die 17-jährige Nichte ihre Aufgabe als Babysitterin ernst genommen. Die wird aber sogar von ihrer eigenen Mutter, der Schwester der Erstangeklagten, als "sorglos, unbekümmert und unzuverlässig" beschrieben. Der Teenager verließ nicht nur gegen 22 Uhr die Wohnung, um sich ebenfalls mit Freunden zu treffen, sondern ließ auch das Fenster offen und bemerkte am Gang, keinen Schlüssel dabei zu haben.

Sie bekennt sich teilweise schuldig. "Wozu?", fragt die Richterin. "Dass ich unbewusst das Fenster offen gelassen habe, ich hatte aber keine Hintergedanken." – "Das behauptet ja auch niemand, aber haben Sie sich gar nichts gedacht, was passieren könnte, als sie gingen?" – "Es stand nie zur Frage, dass ich eine Verantwortung für das Kind habe." – "Aber dass man einen Vierjährigen nicht alleine lässt, ist für eine 17-Jährige schon klar, oder?"

SMS geschrieben und nicht gewartet

Die Zweitangeklagte beruft sich darauf, ihrer Mutter ohnehin eine SMS geschrieben zu haben. Der Inhalt: Sie habe keinen Schlüssel dabei, und das Fenster stehe offen. "Aber warum haben Sie nicht vor der Tür gewartet, bis ihre Mutter und Tante zurückkommen?", will Zwangsleitner wissen. "Das ist ja nicht mehr mein Problem", lautet die schnippische Antwort. "Doch, das ist AUCH Ihr Problem. Wenn Sie die Einzige sind, die mit dem Kind in der Wohnung ist, haben Sie die Verantwortung." – "Ich habe sogar meine Freunde warten lassen", verteidigt sich die 17-Jährige.

Die SMS schrieb sie ihrer Mutter, die als Zeugin aussagt, jedenfalls um 21.58 Uhr, es muss aber einige Zeit vergangen sein, bis die die Nachricht bemerkte. Danach habe man sich sofort auf den Weg gemacht, beteuert die Zeugin, da sie aber von einem Taxifahrer hinausgeschmissen wurden, habe es länger gedauert. Tatsächlich müssen die beiden Damen erst nach Mitternacht in die aufgebrochene Wohnung gekommen sein, da da der Feuerwehreinsatz bereits beendet gewesen ist. "Waren Sie eigentlich der Meinung, Ihre Nichte ist geeignet, auf das Kind aufzupassen?", fragt Zwangsleitner die Erstangeklagte noch. "Nein", gibt die zu.

Die 42-Jährige erhält schließlich eine Strafe von drei Monaten bedingt, die sie dankend annimmt. Ihre Nichte muss innerhalb eines halben Jahres 90 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, dann kommt sie mit einer Diversion davon. (Michael Möseneder, 20.12.2017)