Tanzquartier Wien mit neuer Intendanz: Unter anderem wird ab Ende Jänner 2018 auch Oswald de Andrades "Anthropophagie" von Choreografin Tamara Cubas aus Uruguay zu sehen sein.

Foto: Nacho Correa

Wien – "Im Anschluss heizt Therese Terror mit tanzbarem Sound zwischen House und Techno in den Studios ein": So ein Versprechen erinnert an die Ankündigung des gemütlichen Ausklangs einer queeren Krampusfeier für gefriergetrocknete Alt-Raver. Im speziellen Fall aber stellt es in Aussicht, dass es im Tanzquartier Wien (TQW) künftig unter der Leitung von Bettina Kogler viel ekstatischer hergehen wird als zuvor während der Intendanzperiode von Walter Heun.

Der neuen Heißluft zieht eine genderpolitisch gute Nachricht hinterher. Mit seiner Neueröffnung am 25. Jänner kommenden Jahres steht das TQW wieder komplett unter weiblicher Leitung. Neo-Intendantin Bettina Kogler hat zuvor das Imagetanz-Festival im Brut-Theater kuratiert, danach war sie für die Performances im Wuk und, kurzzeitig, beim Donaufestival unter Thomas Edlinger zuständig. Ihre Programmkuratorin Christa Spatt kommt von Impulstanz, wo sie das Nachwuchsformat [8:tension] gestaltet hat. Die neue Trainingsleiterin Olive Schellander hat zuvor ebenfalls bei Impulstanz gearbeitet.

Dreierkuratorium

Getrübt wird dieses Glück allerdings durch den Umstand, dass Kogler das entscheidende Alleinstellungsmerkmal des TQW im Vergleich mit anderen Tanzhäusern eliminiert. Sie hat die Stelle einer fix ans Haus gebundenen, spezialisierten Theoretikerin gestrichen – und durch ein beliebig austauschbares Dreierkuratorium so gar nicht adäquat "ersetzt". Die Leiterin der Theorieabteilung (bis Juni: Krassimira Kruschkova) war für die Diskurskoordination in allen Bereichen des Hauses zuständig: vom künstlerischen Programm über den Researchbereich und die Anbindung an Universitäten bis hin zu den Tanzquartier-Publikationen.

Mit dieser Amputation wurde der Institution ein lebenswichtiges Organ entnommen. Die Folgen werden jetzt, nachdem das Programm für die noch dazu um ganze vier Monate verkürzte Saison 2017/18 bekanntgegeben wurde, sichtbar. Für die Verstümmelung ist übrigens allein das Wiener Kulturamt verantwortlich. Das damit eingesparte Geld wurde in Umbauarbeiten gesteckt. Gegen diese Umwidmung auch von künstlerischem Budget hat die Wiener freie Szene im Herbst vehement Einspruch erhoben.

Popkultur und Queeres

Zurück zur Theorie. Bisher haben die drei neuen Gastdenker des TQW – Katrina Daschner, Thomas Edlinger und Janez Janša – lediglich zwei Vorträge "kuratiert". Damit hat man sich wirklich keinen Haxen ausgerissen. Und was die vor längerem im Brut beim dortigen Club Burlesque performativ brutale Künstlerin Daschner mit Theorie zu tun hat, kann die Zukunft sicherlich noch zeigen.

Festgehalten wird von der neuen Intendantin, dass das Haus nun "einem gesellschaftskritisch-popkulturellen und queer-feministischen Blickwinkel Rechnung" trägt. Das wäre wirklich fein, würde das TQW damit nicht, anstatt Trends zu setzen, einen bisher längst unter anderem von Brut, Donaufestival, Impulstanz, Wiener Festwochen, Wuk oder Kosmostheater vorgezeichneten Weg nachtanzen. Damit ist die internationale Vorreiterrolle, die das Haus seit seiner Gründung 2001 hatte, vorerst Geschichte.

Dass es aktuell noch keine einzige Bespielung der Museumsquartier-Halle E gibt, zählt ebenso zu den Wermutstropfen des Programms wie das Thema eines ersten Schwerpunkts mit Arbeiten von Marcela Levi mit Lucia Russo und Janez Jansa sowie einem Labor: Groteske Körperlichkeiten. Aber abwarten. Auch hinter einem populistischen Etikett kann sich Plausibles verbergen.

Vielversprechende Arbeiten

Damit wieder zu guten Nachrichten. Trotz der erwähnten Downer enthält das Programm bereits im Eröffnungsereignis (25. bis 27. Jänner) etliche vielversprechende Arbeiten. Zum Beispiel das Performanceprojekt Delicate Instruments of Engagement der Rumänin Alexandra Pirici, zu sehen in der Kunsthalle Wien. Oder Doris Uhlichs Every Body Electric mit Körpern, die auf Rädern rasen.

Und endlich kommt die Performance-Legende Franko B. wieder einmal nach Wien. Mark Tompkins, noch eine Legende, macht mit Stayin' Alive den Tod zum Thema. Passend dazu arbeitet sich die uruguayische Choreografin Tamara Cubas in Oswald de Andrades Anthropophagie ein. Außerdem gibt Philipp Gehmacher mit Marino Formenti ein stimmiges Konzert der Geste: Talk to me of Mendocino. (Helmut Ploebst, 19.12.2017)