Wie das anregende Buch des US-Historikers Peter Hayes (auf Deutsch bei Campus) über das "Warum?" – Warum noch ein Buch über den Holocaust – beweist, bleibt das Thema des Judenhasses auch nach mehr als 16.000 Büchern, trotz immer neuer Museen, Gedenkstätten, Filmen und Kursen höchst aktuell. Die furchtbare Geschichte des Mordes an sechs Millionen Juden zeigt, warnt Prof. Hayes, dass es unerlässlich sei, sich der Demagogie und der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu widersetzen und vor Diffamierungen Augen und Ohren nicht zu verschließen.

Kein Ereignis der Geschichte bestätige vielleicht besser die überaus schwierige Warnung des geflügelten Worts "Wehret den Anfängen!", schließt der langjährige Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des US-Holocaust Memorial Museum seine umfassende Untersuchung ab.

Als kürzlich rund 1200 propalästinensische Demonstranten vor dem Brandenburger Tor in Berlin als Reaktion auf Trumps Jerusalem-Entscheidung israelische Fahnen verbrannten, Flaggen der Terrororganisationen Hamas und Hisbollah in die Höhe hielten und "Tod den Juden!" brüllten, löste dies enorme Empörung bei der politischen Öffentlichkeit und Entsetzen in den Regierungskreisen in Deutschland aus. Die letzte Ausgabe des Spiegel berichtete auf sechs Seiten mit aufsehenerregenden Interviews darüber, "was muslimischer Hass auf Juden im Alltag bedeutet". Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn machte die Dimension klar: "300 Meter vom Reichstag entfernt brennt der Davidstern (...) Nicht jeder muslimische Flüchtling oder Migrant aus dem arabischen Raum ist ein Antisemit. Dass mit der Migration auch neuer Antisemitismus nach Westeuropa gekommen ist, ist Realität und keine Theorie." Auf den Einwand, dass es in Deutschland lange vor der muslimischen Einwanderung Antisemitismus gab, antwortete Spahn, das sei unbestritten. "Aber in Westeuropa ist Antisemitismus gesellschaftlich geächtet, in einer Reihe muslimischer Länder ist er omnipräsenter Teil des Alltags. Und in mancher Parallelgesellschaft in Deutschland auch."

Publizisten und Wissenschafter sprechen nach der jüngsten antisemitischen Welle nicht nur in Deutschland mehr oder weniger offen aus, es sind nicht nur (wie früher jahrzehntelang) die Neonazis, die eine Gefahr für die Juden darstellen, sondern auch und vielleicht vor allem arabisch- und türkischstämmige Migranten. In einem dramatischen Aufruf warnte am Sonntag die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, jüdische Menschen müssten um Leib und Leben fürchten.

Auf deutschen Straßen entlade sich ein offener, aggressiver Judenhass. Ein Mob aus meist arabischen Jugendlichen und türkischen Nationalisten tobe sich ungehindert aus. "Hier geht es nicht um Trump oder Jerusalem, sondern um blanken Antisemitismus, der durch nichts zu rechtfertigen ist und für den es in Deutschland keinen Raum geben darf." Ähnliche Alarmrufe hört man aus Schweden und Frankreich. Man muss nicht nur den Rassismus der Rechtsradikalen gegen die Juden und die Muslime, sondern auch den Rassismus in den Köpfen der Migranten bekämpfen. (Paul Lendvai, 18.12.2017)