Bevor sich Pictotop wieder auf aktuelle Neuerscheinungen stürzt, wollen wir noch einmal jene Comics Revue passieren lassen, die im letzten Jahr einen besonderen Eindruck hinterlassen haben.

Nur damit's keine Missverständnisse gibt: Dies ist eine kleine, vollkommen subjektive Auswahl von Fundstücken, die hauptsächlich dem Graphic-Novel-Bereich zuzuordnen sind, von Biografien über Sachbücher bis hin zu Kurzgeschichten (und ein Cartoonband ist auch dabei). Heuer lege ich neben Highlights aus dem Bereich der Wissenschaftscomics einen Schwerpunkt auf österreichische Produktionen – natürlich ohne jeglichen Anspruch auf Ranking-Tauglichkeit und Vollständigkeit.

Bitte posten Sie Ihre persönlichen Comic-Bestenlisten!

(Karin Krichmayr, 3.1.2018)

Codeknacker und Computerpionier

Alan Turing war ein frühes Computergenie, heute ist er bekannt als Codeknacker der Nazi-Verschlüsselungsmaschine Enigma und Erfinder des Turing-Tests. Persönlich ging er daran zugrunde, dass er zu offen mit seiner Homosexualität umging. Bildgewaltig legt der deutsche Illustrator Robert Deutsch in seiner großartigen Comic-Biografie Schicht um Schicht das unkonventionelle Leben des Mathematikers mit dem Schneewittchen-Spleen frei.

Mehr über das Buch lesen Sie hier:

Turing-Comic: Der Codeknacker mit dem Schneewittchen-Spleen

Robert Deutsch, "Turing". € 30,80 / 192 Seiten. Avant-Verlag, Berlin 2017

Foto: Robert Deutsch/Avant

Das Leben, ein Strom

Was macht das Leben zu dem, was es ist? Die ehemalige Physikerin Gerda ist dement und lebt im Seniorenheim, Gedanken und Erinnerungen verschwimmen zu einem Strom aus Bildern und Einsichten. Die preisgekrönte Comiczeichnerin Barbara Yelin und der Schriftsteller Thomas von Steinaecker haben ein wunderschön stimmiges und kluges Buch über ein besonderes Leben und das Menschsein an sich komponiert.

Hier gibt es eine Leseprobe.

Barbara Yelin, Thomas von Steinaecker, "Der Sommer ihres Lebens". € 20,60 / 80 Seiten. Reprodukt, Berlin 2017

Foto: Reprodukt/Yelin

Kulturgeschichte der Sexualität

Warum finden Aliens eine Vulva anstößig? Und was hat bitte Onanie mit Krebs zu tun? Wenn die Kulturgeschichte der weiblichen Sexualität, die Liv Strömquist dokumentiert, nicht so unfassbar und schockierend wäre, müsste man sich zerkugeln aufgrund der irrwitzig-räudigen Zeichnungen.

Mehr über das Buch lesen Sie hier:

Comic-Aufklärung: Aliens, Sex und Missverständnisse

Liv Strömquist, "Der Ursprung der Welt". € 19,95 / 140 Seiten. Avant-Verlag, Berlin 2017

Foto: Strömquist/Avant Verlag

Fettnäpfchen in der Feldforschung

Wenn ein Archäologe unabsichtlich ein Fossil verschluckt oder eine Biologin im Dschungel statt auf einen Brüllaffen auf ein Drogenlager stößt, dann ist etwas schiefgegangen in der Feldforschung. Jim Jourdane versammelt 25 wissenschaftliche Fettnäpfchen in Cartoon-Form. Schadenfreude!

Jim Jourdane, "Fieldwork Fail. The Messy Side of Science". € 17 / 80 Seiten. Makisapa, Angoulême 2017

Foto: Jim Jourdane

Wunderbare Quantenwelt

Werner Heisenberg, Max Planck, Albert Einstein und Niels Bohr: Auch die Koryphäen der Quantenphysik waren mitunter ziemlich verwirrt ob ihrer Entdeckungen. Gemeinsam mit ihren Comic-Versionen taumeln wir durch eine absurd anmutende Quantenwelt, bis die Köpfe nur so rauchen.

Mehr über das Buch lesen Sie hier:

Quantenphysiker als Comic-Helden: Tüfteln mit Einstein, Planck & Co

Thibault Damour, Mathieu Burniat, "Das Geheimnis der Quantenwelt". € 20,60 / 168 Seiten. Knesebeck, München 2017

Foto: Damour, Burniat/Knesebeck

Dokument des NS-Widerstands

Der Wiener Hermann Langbein kämpfte im spanischen Bürgerkrieg gegen Francos Truppen, wurde nach Deutschland ausgeliefert und über mehrere Stationen nach Auschwitz deportiert, wo er der Leitung der internationalen Widerstandsgruppe angehörte. Der Wiener Künstler Thomas Fatzinek hat Langbeins 1947 erschienenes Zeugnis "Die Stärkeren" in einem Linolschnitt-Comic verdichtet – eindringlich in seiner Nüchternheit der Erzählung, nahegehend in seiner Abstraktion des Grauen, einfach stark.

Mehr zu Thomas Fatzinek lesen Sie hier:

"Als die Nacht begann": Ein Comic über den Februar 1934

Thomas Fatzinek, "Die Stärkeren. Ein Bericht von Hermann Langbein", € 10 / 40 Seiten, Bahoe, Wien 2017

Foto: Bahoe/Fatzinek

Frau Goldgruber lebt!

Der Wiener Nicolas Mahler hat sich längst einen Namen als Thomas Bernhard der heimischen Comicszene erzeichnet. Das liegt auch daran, dass er unermüdlich seine minimalistischen Witzzeichnungen, bitterbösen Cartoons und auf den Punkt und Strich gebrachten Literaturadaptionen unters Volk bringt. Einen absolut überzeugenden Grund, einen Blick zurück in Mahlers Werk zu werfen, bieten die nun erschienenen "Goldgruber-Chroniken", die alle Erzählungen aus den drei köstlichen Büchern "Kunsttheorie vs. Frau Goldgruber", "Die Zumutungen der Moderne" und "Pornografie und Selbstmord" in einem Band versammeln. Eine Abrechnung mit dem Kunstbetrieb und dem österreichischen Weg an sich. Geballter Humor der trockensten Sorte ist garantiert, Frau Goldgruber sei Dank!

Nicolas Mahler, "Die Goldgruber-Chroniken", € 29,90 / 333 Seiten, Reprodukt, Berlin 2017


Foto: Reprodukt

Kurzgeschichten aus Kinderaugen

Mit den Augen des Kindes betrachtet ist die Welt der Erwachsenen zuweilen seltsam bis verstörend. Wie das aussieht, zeigt der Wiener Comickünstler Franz Suess in drei Kurzgeschichten, die berückend sind in ihrer schnörkellosen Direktheit und ihrer schön-schiefen Poesie, gezeichnet mit der ihm typischen Kratzoptik.

Mehr zu Franz Suess lesen Sie hier:

"Zu fallen und weiter": Lesekino diesseits der Extreme

Franz Suess, "Leck", € 6 / 32 Seiten, Glaskrähe-Produktion, Wien 2017

Foto: Franz Suess

Ménage à trois

Die aus Wien stammende Berlinerin Ulli Lust hat sich mit dem vielbeachteten autobiografischen Punk-Comicroman "Heute ist der letzte Tag meines Lebens" an die internationale Graphic-Novel-Spitze gezeichnet. Ihr neues Buch "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein" erzählt, ebenfalls autobiografisch, von unkonventionellen Lebensentwürfen im Wien der 90er-Jahre, utopischer Liebe zu dritt, sexuellen Obsessionen, Geschlechter- und Kulturkonflikten und Selbstbefreiung.

Ulli Lust, "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein", € 25,70 / 367 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2017

Foto: Suhrkamp/Lust

Koreanische Diaspora

In den 70er-Jahren war Österreich ein Mekka für junge Koreanerinnen, die sich zu Krankenschwestern ausbilden ließen, um im Westen ein neues Leben zu beginnen. Vina Yun, die Tochter einer solchen Exil-Koreanerin hat die weitgehend unbekannte Geschichte der koreanischen Migration mitsamt des unvermeidlichen Culture Clashs nachgezeichnet. In zwei Heften erzählt sie von verschiedenen Comiczeichnerinnen gestaltete "Homestories" zwischen Kimchi und Kreisky, Alltagsrassismus und Korea-Rap.

Vina Yun, Tine Fetz, Patu, Moshtari Hilal, "Homestories", € 10 pro Heft, Wien/Berlin 2017

Mehr Comics auf der Pictotop-Hauptseite.

Foto: Vina Yun/Tine Fetz