Viel ist in den vergangenen Wochen spekuliert worden über die personelle Zusammensetzung der neuen Bundesregierung. Jetzt, wo das Kabinett steht, ist offensichtlich, dass Sebastian Kurz seiner Linie aus dem Wahlkampf treu geblieben ist: Expertise zählt mehr als politische Erfahrung.

Die Grafik unten zeigt den Anteil an Regierungsmitgliedern (auch Staatssekretäre werden – wiewohl nicht offiziell Teil der Regierung – mitgezählt), der bei Amtsantritt keine Erfahrung in Exekutive oder Legislative auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene hatte. Im Kabinett Kurz trifft das auf knapp die Hälfte aller Mitglieder zu – ein Rekordwert seit 2000 (davor dürfte das Quereinsteigen noch weniger verbreitet gewesen sein). In den Schüssel-Regierungen war Erfahrung in politischen Institutionen noch absolut die Regel, und auch in den großen Koalitionen danach lag der Anteil im Schnitt bei rund einem Viertel.

Nun kann man berechtigt einwenden, dass politische Erfahrung auch andernorts gesammelt werden kann – die Zählung berücksichtigt etwa Vorerfahrung in Kammern, Gewerkschaften und Sozialversicherungen (wie bei Alois Stöger) genauso wenig wie Ministerkabinette (siehe Josef Pröll) und Spitzenverwaltung (Pamela Rendi-Wagner, Josef Moser).

Aber selbst unter Berücksichtigung dieser politiknahen Karrierestationen würde sich der Trend nicht ändern: Das Kabinett Kurz wäre noch immer jenes mit der in Summe geringsten politischen Erfahrung. Dieser Rekordwert geht übrigens zum Großteil auf die Kappe der ÖVP. Die FPÖ hat fast durchwegs Personen nominiert, die schon lange hauptberuflich in der Politik tätig sind.

Der Trend zu mehr Politikneulingen in der Regierung mag angesichts der geringen Popularität von politischen Parteien wenig überraschen. Allerdings fungieren Parteien in parlamentarischen Regierungssystemen auch als permanentes Bindeglied zwischen Wählern, Abgeordneten und Regierung. Diese Verbindung wird schwächer, wenn die Verankerung der Regierungsmitglieder in den Parteien stark zurückgeht, weil sich unabhängige Expertenminister wohl weniger dem Programm der sie nominierenden Partei verpflichtet fühlen.

Zudem bedeuten mehr Quereinsteiger mit schwacher Parteibindung, dass es weniger Spitzenpersonal gibt, das dem Parteivorsitzenden die Position als Nummer eins streitig machen könnte. Anders gesagt: Sebastian Kurz muss kaum fürchten, dass ihn Heinz Faßmann oder Josef Moser dereinst als ÖVP-Vorsitzenden beerben möchte. Die Nominierung unabhängiger Experten bringt somit auch eine Absicherung der eigenen Position. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 19.12.2017)