Kelela liefert mit "Take Me Apart" eines der Popalben des Jahres.

Foto: Warp Records

Wien – Kelela Mizanekristos wurde von der New York Times vor zwei Jahren als eine der, ist ja egal, fünfundzwanzig wichtigsten Zukunftshoffnungen der demnächstigen Monate und Jahre gefeiert. Die Zukunft ist im Kapitalismus bekanntlich sehr umfangreich und vielversprechend. Klatsch etwas an die Wand. Nur so zum Versuch. Irgendwas wird schon pickenbleiben.

Wer sich nicht ganz sicher ist: Zukunft findet grundsätzlich jetzt statt. Immer schon. Die junge US-Sängerin Kelela war dann ja auch Gaststar auf Solanges Album A Seat At The Table von 2016. Solange muss man sich als die leibhaftige und talentiertere Schwester von Beyoncé vorstellen.

Zu undergroundige Visitenkarte

Eigentlich wurde ursprünglich Beyoncé selbst auf Kelela wegen des Mixtapes Cut 4 Me von 2013 aufmerksam. Ein Mixtape ist im Genre zwischen Hip-Hop, Bluesfunkjazzgroovesuperleiwi, R 'n' B und Blingbling, aber mit Straßenglaubwürdigkeit so etwas Ähnliches wie eine Visitenkarte. Sie besteht aus einem Karaokeabend, während dem man Gesangseinlagen vielfach auch mit fremden Federn bestreitet.

Die Finanzberater von Beyoncé haben dann allerdings gemeint, Zukunftshoffnung gut und schön, aber ein wenig grenzwertig und undergroundig ist das schon, nehmen wir Kelela lieber nicht, sondern jemand anderen. Der andere tut niemandem etwas, und er ist bekannter und bringt eigene Hörer mit. Synergie vor Harmonie! Das kulminierte heuer im Duett von Beyoncé mit Ed Sheeran. Und es führte im Vorjahr zu einem Superalbum von Solange.

Langfristig gelangen wir so am Ende eines musikalischen Jahres 2017, das wieder einmal im Zeichen von So und La La steht, zum fantastischen, einnehmenden und besten radiotauglichen Popalbum, das aber nicht im Radio gespielt werden wird. Zumindest nicht im hiesigen. Radio jetzt im Sinne von Radio im Allgemeinen – und nicht Nische.

KelelaVEVO

Kelela und die Lieder auf Take Me Apart sind unter anderem unter Mitwirkung des venezolanischen Elektronikproduzenten Arca entstanden, der heuer auch schon Björk mit seinen bizarren Kirchenliedern aus dem Darkroom vor dem Altenteil retten durfte. Das bedeutet hochgradig zischende, arrangementmäßig digital gleißende und schneidende Synthetiktöne, die dafür sorgen, dass der scheinbar harmlos einlullende Gesang eine gewisse Schärfe behält, ohne mit Autotune zur Quietschente komprimiert zu werden.

Das wesentliche Kriterium dieser gern als State of the Art gehandelten Kunst bleiben natürlich die Bässe, trotz des im Jahreszeitenmodus wechselnden Klimbims mit gesangsunterstützendem Instrumentarium. Die Bässe werden als Feier des Körpers, der – Entschuldigung – Geilheit, der Selbstbestimmung, aber auch eines drohenden Weltuntergangs bei Tanzverweigerung in geheimen unterirdischen Labors gezogen. Wenn man zu Hause die Stereoanlage laut aufdreht und nicht, wie die Zielgruppe Kelelas, diese Musik aus dem Plärrtelefon konsumiert, kann es schon passieren, dass man hier Relevanz ortet.

Sprudelwasser und Dekadenz

Immerhin hat die US-Musikerin mit Wurzeln in Äthiopien und ihrem derzeitigen Standort Los Angeles zudem schon als Gast beim alten Britpop-Multikulti-Zausel Damon Albarn und seinen Gorillaz gewirkt. Und Kelela ist mit ihrem Debütalbum Take Me Apart und ihrem mindestens auf der Höhe der Zeit stehenden, radiotauglichen R 'n' B nicht etwa bei einem weltweit agierenden Mischkonzern gelandet, sondern bei dem für Techno für Maturanten und Jazzrock-Liebhaber wie Aphex Twin oder Squarepusher berühmten britischen Label Warp.

KelelaVEVO

Das sorgt für eine gewisse nostalgische Note während der in den generischen Programmierungen auftauchenden Drum-'n'-Bass-Sounds und gebrochenen Rhythmen. Mit denen wird ja einer im R 'n' B obligaten Geschmeidigkeit und von französischem Sprudelwasser und Nasenguti befeuerten Dekadenz und Sinnesfreude ein wenig mit Dreck und Rohheit gegengesteuert. Anders wäre diese Musik nur schwer zu ertragen. Man muss sie übrigens wirklich sehr, sehr laut hören. Kennt ihr Alexa von Amazon? Sie soll den Scheiß auf Anschlag drehen! (Christian Schachinger, 20.12.2017)