Ljubiša Buha "Čume" ist der Boss des Clans von Surčin.

bearbeitung: christoph rainer / credit: sreten colic

Als der "Kennedy von Serbien" am 12. März 2003 erschossen wird, wacht das Land – leider nur kurz – aus dem Koma der letzten zehn Jahre auf. Noch am selben Abend ruft die Parlamentspräsidentin Nataša Mićić den Ausnahmezustand aus, ein internationaler Haftbefehl für die Hauptfiguren aus dem Clan von Zemun und der JSO-Einheit wird aktiviert, und die Operation Sablja (Säbel) wird eingeleitet, in deren Verlauf fast 12.000 Personen verhaftet werden. Der Clan wird zerschlagen, die JSO-Einheit aufgelöst, die wichtigsten JSO-Männer und viele bekannte (und unbekannte) Gangster sowie einige hochrangige Geheimdienstleute und "Geschäftsleute" werden vor Gericht gestellt und eingekerkert.

Doch lange bevor alle Arbeit getan ist, fällt Serbien wieder ins Koma. Diverse Seilschaften in Geheimdienst, Polizei und Verwaltung treten auf die Bremse, aus der Masse der Verhafteten kommen nur etwa 3.000 bis in den Kerker. Der Brunnen, aus dem Serbien trinkt, bleibt weiter vergiftet, die Politik kleinlich und nationalistisch, und die Demokratie wird noch immer als Selbstbedienungsladen begriffen und betrieben. Der Tod von Dr. Zoran Đinđić ist historisch und politisch gesehen die größte Verschwendung von Perspektive und begründeter Hoffnung aufs Bessere, die Serbien nach Milošević noch treffen kann.

Wie kommt es aber, dass die Regierung Đinđić so lange – vom 5. Oktober 2000 bis zum 12. März 2003 – stillhält und wegschaut, während der Clan von Zemun und die JSO-Einheit die beste Zeit ihres Lebens haben? Und die Bewohner Serbiens sich in "gangsters paradise" als Statisten und Kollateralschaden wiederfinden?

Eine Freundschaft fürs Leben – und für den Tod

Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des Clans von Zemun ist an dieser Stelle angebracht. Wie in einem Märchen für Gangsterkinder beginnt es mit zwei besten Freunden, die aus der tiefsten Provinz Serbiens in die Hauptstadt kommen und hier den Traum von dem, was jeder Italiener als "malavita" kennt, wahr werden lassen.

Dušan Spasojević "Duća" (1968–2003) und Milan Luković "Kum" (Pate) (1969–2003), beste Freunde aus dem Dorf Gajtan an der Grenze zum Kosovo, kommen erst Mitte der 90er-Jahre, als die erste Welle der Clankriege für eine morbide Flurbereinigung sorgt, nach Beograd und entdecken ihr Talent als Autoeinbrecher. Später wechseln sie das Geschäftsmodell und werden Autokidnapper, die gestohlene Autos gegen Lösegeld an ihre Besitzer zurückgeben. Rund um dieses Geschäft versammeln sie eine Gang, die arbeitsteilig vorgeht. Zu diesem Zeitpunkt erkennt der Boss des mächtigen Clans von Surčin, Ljubiša Buha "Čume" (1964–?) das Talent der Jungs aus der Provinz und nimmt sie als Partner. Ab diesem Moment, vermutlich im Jahr 1998, kann man von einem Clan von Zemun sprechen, einfach weil die Basis von Duća, Kum und ihrer Gang die frühere K.-u.-k.-Grenzstadt Semlin am Westufer der Sava ist.

Von Buha bekommen seine Schützlinge gegen Anteilzahlung auch alle Drogenkontakte (z. B. zum türkischen Karakafa-Clan) und übernehmen das operative Geschäft nicht nur in Serbien, sondern auf dem gesamten Südostbalkan. Dasselbe gilt für Buhas internationalen Handel mit gestohlenen Autos. Noch später (nach dem 5. Oktober 2000) beginnt der Clan von Zemun zusammen mit der JSO serbische Geschäftsleute, die noch unter Milošević "die erste Million machen", in Serie zu entführen. "Menschen sind auch nur Autos", lautet wohl die Devise, weil die Erfahrung aus den Autoentführungen kongruent auf das Entführen von Menschen angewendet wird.

Seinen anderen großen Trumpf bekommt der Clan von Zemun jedoch nicht von Buha geschenkt: die Verbindung zur JSO-Einheit. Hier haben die Jungs aus Zemun einfach nur Glück: Spasojević und Luković befreunden sich durch eine gemeinsame Freundin mit Milorad Ulemek Legija, werden Geschäftspartner und bleiben es, bis zum bitteren Ende.

Alles, was Buha den Zemunci "schenkt", hat nicht bloß einen Preis, sondern auch einen Zweck: Buha ist mit seiner Straßenbaufirma Defence Road auf dem Sprung in die Legalität und lässt langsam alles hinter sich, das später im legalen Leben zurückkommen könnte, um ihn zu beißen. Dass diese Absicht schwieriger als gedacht in die Tat umzusetzen ist und dass Ausstiegsszenarien von Gangstern selten gelingen, ist eine Erfahrung, die Ljubiša Buha "Čume" erst noch machen wird und die ihn fast das Leben kostet, als die ganze Meute des Clans von Zemun beschließt, Buha totzubeißen, egal wie weit und wie schnell er läuft.

Der 5. Oktober 2000 oder die Umarmung der Bestien

Im Jargon der neuesten serbischen Geschichte wird der Tag, an dem zornige Bürger die Straßen von Beograd fluten und das Parlament (ein wenig) anzünden, als "die Veränderungen des 5. Oktober" (petooktobarske promene) bezeichnet. An diesem Tag geht die "Ära Milošević" zu Ende: Der Autokrat weigert sich, die Ergebnisse der letzten Wahlen anzuerkennen, das DOS-Bündnis rund um Zoran Đinđić und Vojislav Koštunica ruft zu einer Demonstration auf – und alle gehen hin. Auch die JSO-Einheit. Und auch die Gangster des Clans von Zemun und des Clans von Surčin.

Auf Fotos und in Filmaufnahmen aus dem Inneren des Parlaments sieht man an diesem Tag nicht nur Demonstranten, die Politiker des DOS-Bündnisses und die vermummten Waffenträger der JSO-Einheit, sondern auch Gestalten in Trainingsanzügen mit viel zu viel Gold um ihre viel zu dicken Hälse. Man freut sich zusammen, man posiert gemeinsam für Fotos in fast schon revolutionär zu nennender Siegerlaune. Doch warum ballert die JSO-Einheit nicht auf die Demonstranten, und warum lassen sich DOS-Politiker mit Männern fotografieren, deren Broterwerb sogar aus einem Flugzeug erkennbar ist?

Die Ereignisse des 5. Oktober sind eine Eruption mit Vorlaufzeit und Ankündigung. Und bis zur sprichwörtlichen letzten Sekunde ist keineswegs klar, ob dieser 5. Oktober überhaupt stattfinden wird. Das größte Bedenken der DOS ist die Frage, wie die JSO-Einheit sich bei der geplanten Demonstration verhalten wird. Oder kurz: Werden die Vermummten aus ihren gepanzerten Hummer-Jeeps auf die Menschen feuern – oder nicht? Man ist sich einig, dass ein Blutbad niemandem nützt, allen auf der Seele liegen wird und nicht wert ist, einen Autokraten loszuwerden, der ohnehin bald Geschichte sein wird. Doch der Weg in eine Zukunft nach Milošević kann viel schneller beginnen, wenn er aus der politischen Gleichung verschwindet. Und der Weg zu erfahren, wie die JSO am 5. Oktober reagieren wird, ist simpel: Man fragt die JSO.

Zu diesem Zweck wirken erst vorfühlende Emissäre der DOS, deren wichtigster Čedomir Jovanović (1971–?) ist. Wegen seiner Augenringe und seines steten "Halbmastblickes" nennt ihn ganz Serbien "Čeda narkoman", doch er ist nur ein unausgeschlafener Yuppi-Typus-Politiker – weswegen er auch noch "Čeda butik" und "Čeda maneken" genannt wird – und eine der rechten Hände von Đinđić. Man ist sich mit der JSO-Einheit schnell einig, dass nicht geschossen werden wird und dass also der 5. Oktober wie geplant stattfinden kann.

Was der Preis für das Stillhalten der JSO ist, wird schon während der Demonstrationen am 5. Oktober deutlich, aber nicht öffentlich. Đinđić und seine Regierung schweigen sehr lange und sehr laut darüber, dass, während an diesem Tag die JSO nicht schießt, das Parlament noch raucht und die letzten Akten aus den Fenstern fliegen, Mitglieder des Clans, unterstützt von JSO-Männern, in die Polizeistation Stari grad in der Majke-Jevrosime-Straße eindringen und die Waffenkammer der größten Polizeistation der Stadt ausräumen. Die Ausbeute ist beachtlich: dutzende AK-47, einige Maschinengewehre, Scharfschützengewehre, Pistolen, Panzerfäuste und reichlich Munition für all das. Die Beute wird in weiße Säcke für Mehl gestopft und in diverse Verstecke gebracht. Viele dieser Waffen setzt der Clan von Zemun später für Morde ein. Und während diese Plünderung der Polizeistation zu Ende geht, lassen sich DOS-Politiker, JSO-Offiziere und Gangster von der Presse gemeinsam fotografieren.

Doch die Umarmung der Bestien erweist sich bald als tödlicher Würgegriff. Zoran Đinđić hat noch zwei Jahre und fünf Monate zu Leben. (Bogumil Balkansky, 20.12.2017)