Folklore im Ikea-Sack: Das Kulturverständnis der neuen Regierung wirkt nicht sehr kosmopolitisch.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Was hat ein Trachtenhut mit dem neuen Regierungsprogramm zu tun?

Österreich im Jahre 2015. Zwei jungen Frauen gefällt ein besonderer Trachtenhut in ihrer Heimat Kärnten. Sie hätten gerne diesen Bänderhut, den nur mehr zwei Frauen zu fertigen wissen, die bereit sind, dieses Wissen weiterzuvermitteln, in die Liste erinnerungswürdiger Traditionen der Unesco aufgenommen. Als der Antrag samt Zurückweisung eintraf, sie einen Hinweis bekamen, es gäbe im Land eine Initiative, dieser könnten sie sich anschließen, suchten sie den Weg dorthin.

Dabei stießen sie beim Land Kärnten auf die exotisch klingende Amtsbezeichnung "Brauchtumslandesrat". Der Brauchtumslandesrat fordert tatsächlich via Folder auf, Anträge zur "traditionellen Tracht" einzusenden, damit diese gesammelt eingereicht werden können. Und weil in Kärnten das Geld unter der Trachtenkittelschürze wächst, lobt er gleich auch eine finanzielle Unterstützung aus. In der Tat kommt harmlos daher, was doch eine politische Anbindung hat.

Da ist es nun wieder, das Phänomen politischer "Veramtung" von Tracht, das ohne Punkt und Beistrich von der "Mittelstelle deutsche Tracht" aus der Vergangenheit zu uns führt. Diese unheilvolle Wiederholung tradiert nationale, regionale und kostümhistorische Fakes zum Zwecke innenpolitischer Erhöhung. Hinter derlei Plänen verbirgt sich ein Obskurantismus, der sich im Regierungsprogramm 2017/22 unter "Kunst und Kultur" wiederfindet.

Die schwarz-blaue Tinte offeriert uns "Österreich-Häuser[n]" und Kultur nach "klar definierte[n] Qualitätskriterien", die "Stärkung und Bündelung des Auftritts der österreichischen Kultur im Ausland". Dies alles und mehr, stets verbunden mit der Forderung nach "Qualität und Planbarkeit".

Phrasen, oder doch Diktat?

Erfolg wird jenen Kunstschaffenden versprochen, die sich dem Korsett der "klar definierten Qualitätskriterien" unterwerfen. Die unter diesen Bedingungen erlangten Förderungen müssen – ja, es steht "muss" – als "Sprungbrett in die wirtschaftliche Unabhängigkeit gesehen werden". Sind es bloß Phrasen, oder ist es doch ein Diktat?

Spätestens an dieser Stelle wünschte man sich, alle Kulturwelt wäre mit dem durchdringenden Zorn eines Thomas Bern- hard ausgestattet, während man wiederum die Literaturerei bitten möchte nachzufragen, was uns denn die Regierung mit dem Satz: "Verstärkte Berücksichtigung von Literatur im öffentlichen Raum zur größeren öffentlichen Präsenz bei Mittelvergaben" (S. 94) sagen möchte.

Dieses Regierungsprogramm ist eine giftige Gabe. Es führt das Land in ein temporales Paradoxon, aber nicht in die Zukunft. Der erklärte Marsch ins Jubiläums-jahr 2018 strotzt nur so von dysfunktional-historischen Befindlichkeiten. Im bevorstehenden Gedenkjahr sich ausdrücklich der "Geschichte von Altösterreichern (z. B. Südtirol) und Vertriebenen" (S. 95) zu verschreiben, beweist einmal mehr, dass hier einem sanguinischen Pangermanismus Tribut gezollt wird.

Der Unterschied zwischen Vertriebenen und Flüchtlingen ist einer deutsch-revanchistischen Identitätsfindung, einem in manchen Köpfen nie untergegangenen pangermanischen Reich geschuldet. Diese Einteilung unterliegt reiner politischer Willkür, sät nichts als Zwist und Satisfaktion (ein burschenschafterisches Ehrdelikt). Da nützt kein phrasenhaftes Bekenntnis zur EU im Dazwischen. Derlei hat in einem vereinigten Europa nichts zu suchen. Die neue ÖVP macht sich zum Erfüllungsgehilfen übelsten rassistischen Kulturverständnisses. Lassen Sie es mich in Anlehnung an ein deutsches Sprichwort sagen: Wer derart dient, macht sich zu Teufels Knecht.

Das Geschwurbel von "Heimatschutz", "Heimatstolz", "Heimatpartei" ist eine offene Drohung an die friedliche europäische Ordnung. Bei dieser Heimat stehen nicht Grazien noch Musen an der Wiege. Kamerad Gesinnung trägt hier das Kind zur Taufe.

Lob des Echten

Die leider völlig ironiefreie Erfindung eines "Brauchtumslandesrates" spottet jedem Verständnis pluralistischer Volkskulturen in einem vielgestaltigen Europa. Es gab schon einmal eine zentrale Vergabestelle. Diese bestimmte, was Kunst, Tracht und was Dirndl, was Kultur sei, wer es anziehen oder sich selbst nähen dürfe. Unter Vermeidung des Wortes Dirndl (es galt als jüdisch) und nicht in slowenischer Sprache, ruft man in Kärnten zum Lob des Echten im Eigenen auf.

Dabei merken die verblendeten Toren nicht einmal, wie künstlich oder, sagen wir, folkloristisch sie teilweise gekleidet sind. Dass der Begründer der ersten und bis jetzt einzigen seriösen österreichischen Trachtengeschichte ein Jude war, kümmert weder die Trachtler noch deren Erforscher. Als dem zu früh verstorbenen – im Ausseerischen "Konradl" gerufenen – Konrad Mautner im Gössl der Zwischenkriegszeit ein Gedenkstein errichtet wurde, war eine der ersten Taten der neuen Reichsdeutschen 1938, diesen zu zerstören. Seine Forschungen passten einfach nicht in die "klar definierten Qualitätskriterien".

Ach ja! Solches hat der Trachtenhut mit dem Regierungsprogramm zu tun. (Elsbeth Wallnöfer, 19.12.2017)