Robert Finley ist 64 und fast blind. Sein Album "Goin‘ Platinum!" könnte dem Bluesmusiker eine kleine Weltkarriere bescheren.

Nonsuch / Alysse Gafkjen

Wien – Glänzende Augen unter dem Weihnachtsbaum sind nicht nur Kindern vorbehalten. Auch große Kinder dürfen sich der Atmosphäre des Weihnachtsfests ergeben, dabei müssen die Augen oft nicht einmal mehr gut sehen können, um zu strahlen.

Robert Finleys Augen leuchten, wenn er spricht, obwohl sein Augenlicht fast erloschen ist. Auf einem ist der Blues-Musikers blind, das andere besitzt gerade noch 40 Prozent Sehleistung. Das ist die Folge eines zu spät behandelten Grünen Stars. Doch Finley nimmt diese Einschränkung demütig an: "Manche Dinge muss man verlieren, um etwas anderes zu gewinnen."

Finley fängt erst richtig an

Robert Finley aus dem US-Bundesstaat Louisiana hat eben sein zweites Album veröffentlicht, es heißt verheißungsvoll "Goin‘ Platinum!". Es ist sein persönliches Weihnachtswunder. Genaugenommen schon sein Zweites. Während in seinem Alter die meisten aufhören, fängt er erst richtig an. Finley ist 64. Im Vorjahr hat er sein Debütalbum veröffentlicht. Der Titel las sich wie ein Manifest: "Age Don’t Mean A Thing."

Genialer Pausenfüller

Das bezog sich nicht nur auf ihn als Spätberufenen, nein, mit seinen damals 63 Jahren war er der Jüngste im Studio. Seinen Erstling spielte er mit einer Band ein, deren Mitglieder früher bei Superstars wie Isaac Hayes, Aretha Franklin oder Al Green Dienst versahen. Die Mischung ergab Dynamit. "Age Don’t Mean A Thing" überzeugte mit seiner Soul-Eleganz und der alle Höllenfeuer durchleidenden Stimme Finleys.

Music Maker Relief Foundation

Aufgefallen war der amtlich als blind geltende Musiker bei einem Festival. Da fragte er, ob er in der Pause zwischen zwei Bands auf die Bühne dürfe, um ein paar Songs zu spielen. Das war’s. Er begeisterte das Publikum derart, dass es ihn nicht mehr runterlassen wollte. So entdeckte ihn die Hilfsorganisation Music Maker, die in Folge sein erstes Album finanzierte.

40 Jahre lang hatte er auf seine Chance gewartet, spät im Leben bot sie sich ihm, und er ließ sie sich nicht entgehen. "Age Don’t Mean A Thing" schlug ein. Seither spielt er auf Festivals nicht in, sondern nach der Pause und sein Publikum wird ständig größer. So wurde Dan Auerbach auf ihn aufmerksam. Der übernahm als kreativer Kopf der Band Black Keys die Rolle des Protegés und produzierte sein neues Album.

Eine Million Platten

Auerbachs Strahlkraft und sein Erfolg sind mit dem seines Lieblingsfeindes Jack White (The White Stripes …) vergleichbar. Nicht nur in den USA sind beide große Namen im Rock-Business. Ob Finleys Album tatsächlich Platin erhält, also eine Million Exemplare verkaufen wird, muss im Moment offenbleiben. Wenn es am Ende doch nur 999.990 sind – an der fehlenden Qualität des Hauptdarstellers wird es nicht gelegen haben: Robert Finley ist ein Naturereignis.

"Get It While You Can" eröffnet Robert Finleys zweites Album "Goin' Platinum".
Easy Eye Sound

Und es gibt ein geneigtes Publikum für Figuren wie ihn. Der heuer verstorbene Soulsänger Charles Bradley lebte sechs Jahre lang vor, wie man als ähnlich spät Berufener eine Weltkarriere hinlegen kann. Dasselbe galt für die 2016 gestorbene Sharon Jones.

Und seit über zwei Jahrzehnten leben Musikverlage wie Fat Possum oder Anti gut davon, Blues- und Soulveteranen einer neue Generation von Fans vorzustellen. Solomon Burke, Mavis Staples oder Betty Lavette gelangen so zweite Karrieren – mit der Musik, die sie bereits in den 1960ern und 1970ern gespielt hatten.

Gitarre oder Schuhe?

Bei Robert Finley hat es vor 54 Jahren begonnen. Damals verdiente sich Klein-Robert bei seinem Vater 20 Dollar. Der gab ihm den Rat, er möge sich damit etwas Nützliches kaufen, es nicht für Süßigkeiten ausgeben, nein, Schuhe sollten es werden. Bobby ging also wegen neuer Schuhe in die Stadt. Doch da sah er in der Auslage eines anderen Geschäfts eine Gitarre hängen. "$19.95" stand am Preisschild, Roberts Schicksal war besiegelt.

Fliehendes Publikum

Sein Vater war nicht erfreut, doch der Vorstand eines Gospelquartetts wollte die Ambitionen seines Sohnes unterstützen, solange dieser keinen gottlosen Blues singen würde. Natürlich tat er genau das, mit allen Anfängerproblemen: In einem Youtube-Video erzählt Finley, wie ihm das Publikum davonlief, wenn er auf den Plätzen seiner Heimatstadt Bernice in die Saiten griff. Also meldete er sich für das Freizeitprogramm einer Jugendstrafanstalt an: "Die konnten ja nicht weglaufen."

Finger statt Nagel

Später musizierte er in der Army – er war in Deutschland stationiert – und moderierte, wieder zu Hause, mit seinen Schwestern eine Gospelshow bei einem lokalen Radiosender. Im Brotberuf wurde er Tischler. Das ging so lange gut, bis der groß gewachsene Mann öfter seinen Finger, als den Nagel traf.

Licht statt Dunkel

Doch anstatt im Ruhestand in die Dunkelheit abzugleiten, lernte er das Scheinwerferlicht der Bühne kennen. "Das Gute daran ist, es blendet mich nicht!" In diesem Licht trägt er mitreißende Dreiminüter vor. Seine Songs heißen "Get It While You Can" oder "Complications" oder "Real Love Is Like Hard Time". Es sind mit Augenzwinkern dargebotene Zweideutigkeiten, die einen anhaltenden Lebenshunger vermittelt.

"Medicine Woman" – von Robert Finleys Album "Goin' Platinum!"
Easy Eye Sound

Auerbach entwarf dafür eine mehrheitsfähige Produktion, die einen gewissen Popappeal besitzt, ohne Finleys natürliche Autorität zu untergraben. Gut, auf die Damenchöre hätte Auerbach ein, zwei Mal verzichten können, und anstatt einiger gar lieblichen Gitarrenspielereien hätte er Finley lieber selbst ans Gerät lassen sollen.

Geschnitten Brot

Denn im Unterschied zu "Age Don‘t Mean A Thing" spielt Finley auf seinem neuen Album nicht mehr selbst Gitarre, Auerbach hat das übernommen. Deshalb erinnert ein Lied wie "If You Forget My Love" ein wenig an den sonnigen Sound seines Soloalbums "Waiting On A Song". Nachdem das aber wie geschnitten Brot über die Ladentische ging, ist es wohl kein Fehler.

Mehr Blues!

Aber etwas vernachlässigt er. Finley ist ein Blues-Sänger. Gut, die Grenzen zum Gospel und zum Soul sind fließend, doch der Blues taucht auf "Goin‘ Platinum!" kaum auf. Ein Lied wie "Three Jumpers" lässt erahnen, welche Macht Finley in dem Fach besitzt.

"Three Jumpers" kommt am ehesten in die Nähe des Genres. Da hört man im Hintergrund die Bandmitglieder ekstatisch jauchzen, das Keyboard streut sexy Funk ein, die Gitarre Auerbachs klingt endlich richtig dreckig, kein Chorgesang überzieht diesen aus dem Sumpf gezogenen Song mit unnötigem Süßstoff.

"Three Jumpers" – Yeah!
Easy Eye Sound

Aber Finley steht da drüber. Ihm merkt man an, dass er sich pudelwohl fühlt. Er braucht nicht den verrückten alten Lumpi spielen wie ein Andre Williams, er ist ganz bei sich. Finley ist naturlässig. Das bescheinigt ihm auch Auerbach.

In einem Interview erzählte er, wie Finley instinktsicher auf alle Ideen im Studio reagierte, aus allem das Beste machte. 40 Jahre lang hat er das bei kleinen Gigs am Wochenende geübt. Heute ist der darin ein Meister: Eine schöne Bescherung. (Karl Fluch, 23.12.2017)