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Carles Puigdemont könnte auch die nächste katalanische Regierung anführen, die separatistischen Parteien, zu denen seine JxCat gehört, haben bei der Wahl die absolute Mehrheit an Sitzen im Parlament erhalten. Vorerst spricht er allerdings aus dem Brüsseler Exil, bei einer Rückkehr nach Spanien droht ihm die Festnahme.

Foto: AP/Santi Palacios

STIMMVERTEILUNG

Die große Hoffnung des spanischen Premiers Mariano Rajoy und seines konservativen PP hat sich zerstreut. Unter Beschwörung der "stillen Mehrheit" der Unabhängigkeitsgegner hatte der Regierungschef im Oktober zur Neuwahl gerufen. Nun zeigt sich: Wenn es eine solche Mehrheit geben sollte, ist sie sehr still und nicht sehr groß. 82 Prozent der Wähler in Katalonien stimmten am Donnerstag ab, sie verhalfen zwar den unionistisch-liberalen Ciudadanos zum Sieg als Einzelpartei, gaben dem Block der klaren Unabhängigkeitsgegner aber nur 43 Prozent der Stimmen. Rajoys konservativer PP verlor besonders stark.

47,5 Prozent wählten dagegen eine der drei klar separatistischen Listen. Die konservative Junts per Catalunya (JxCat) von Ex-Regierungschef Carles Puigdemont, die linksrepublikanische ERC und die weiter links stehende CUP kommen damit wegen des spanischen Wahlsystems, das auch Katalonien anwenden muss, auf eine absolute Mandatsmehrheit. Im Vergleich zur letzten Wahl 2015 ist sie nur um einen Sitz geschmolzen. Auf eine absolute Mehrheit der Wähler können freilich auch sie sich nicht berufen, weil 7,5 Prozent der Katalanen der linken Catalunya en Comú-Podem ihre Stimme gaben – sie ist für eine Volksabstimmung, nicht aber unbedingt für die Loslösung.

PERSONAL

Kataloniens Parlament steht vor einer kuriosen Situation: Sieben der 70 gewählten separatistischen Abgeordneten sind entweder wegen Rebellionsvorwürfen im Gefängnis oder im Exil – darunter der in Brüssel befindliche Puigdemont und sein früherer Stellvertreter von der ERC, Oriol Junqueras, der in Einzelhaft sitzt. Sie alle können ihr Abgeordnetenmandat nur annehmen, wenn sie persönlich im Parlament erscheinen.

Nur unter diesen Umständen könnte Puigdemont, dessen Partei die Separatisten erneut anführt, auch wieder Regionalpräsident werden. Ob er das Risiko einer Verhaftung wirklich eingeht, gilt allerdings als ungewiss. Junqueras hingegen könnte aus der Haft entlassen werden, wenn er etwa beeidet, auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verzichten zu wollen. Gelingt all dies nicht, könnten auf die sieben Plätze andere Abgeordnete nachrücken. Wer in diesem Fall die Regierung führen würde, ist freilich nicht ganz klar. Die Wahlsiegerin Inés Arrimadas von den unionistisch-liberalen Ciudadanos wird es vermutlich nicht sein – ihr mangelt es an geeigneten Koalitionspartnern.

REGIERUNG

Koalitionsgespräche zur Regierungsbildung werden wohl nach den Feiertagen Anfang Jänner starten. Etwa einen Monat danach muss das Parlament über einen neuen Regierungschef abstimmen. Sollte keine absolute Mehrheit erreicht werden – etwa weil nicht alle separatistischen Abgeordneten teilnehmen können –, kommt es zu einer zweiten Abstimmung, in der eine einfache Mehrheit genügt. Gewinnt der Kandidat das Vertrauen der Abgeordneten nicht, sind zwei weitere Monate lang Gespräche möglich – dann gibt es Neuwahlen.

Inhaltlich werden sich die Separatisten im Streben nach Unabhängigkeit trotz der absoluten Mehrheit wohl etwas zurücknehmen. Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung blieb die internationale Unterstützung aus, die wirtschaftlichen Nachteile waren enorm. Einfordern werden sie aber wohl von Madrid mehr Autonomie und mehr finanzielle Selbstverwaltung für ihre Region, ähnlich wie das Baskenland. Ob Premier Rajoy dem zustimmen wird, ist aber fraglich. Einen erstes Angebot, sich mit Puigdemont "auf neutralem Boden" zu treffen, lehnte Rajoy am Freitag ab.

WIRTSCHAFT

Die Drohungen mögen übertrieben sein, einen wahren Kern haben sie aber: Spaniens Regierung warnt Katalonien im Fall weiterer Unabhängigkeitsbestrebungen vor einem Zusammenbruch der Wirtschaft. Bisher sind rund 3.000 Unternehmen aus Katalonien in andere Regionen abgewandert, darunter alle großen Banken. Für viele andere Firmen wäre eine Abwanderung freilich wesentlich schwieriger: Katalonien gilt noch immer als besonders stark industrialisiertes Gebiet, eine Abwanderung wäre kurzfristig so schwierig wie teuer.

Problematisch ist allerdings, dass sich die politische Unsicherheit auch auf ein anderes Standbein der katalanischen Wirtschaft auszuwirken scheint, nämlich auf den Tourismus, der zuletzt um rund fünf Prozent zurückgegangen ist. Auffällig war in dieser Hinsicht auch eine Befragung des deutschen Marktforschungsinstituts GfK: Nur 49 Prozent der Deutschen gaben dort an, sich in Spanien uneingeschränkt sicher zu fühlen, als Grund nannte GfK neben dem Terroranschlag von Barcelona auch die politische Unsicherheit. Der niedrig erscheinende Wert ist allerdings vor dem Hintergrund des spanischen Rufs als besonders sicheres Reiseland zu sehen. Die 49 Prozent entsprechen immer noch Platz sechs weltweit. (Manuel Escher, Noura Maan, 22.12.2017)