Sebastian Kurz und das einfache Volk im Wahlkampf: Nicht alle profitieren von den Steuersenkungen.

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Täuscht die Regierung Kurz die Öffentlichkeit, wenn sie die Entlastung kleiner Einkommen verspricht, und dann bloß Steuern und Abgaben senkt, die Kleinstverdiener gar nicht bezahlen müssen? Diesen Vorwurf erhebt die SPÖ und auch manche Kommentatoren. Und es war dieser Widerspruch, der den neuen Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal bei seinem ersten Interview in der ZiB2 gehörig ins Schwimmen brachte.

Wie kann – wurde er von Armin Wolf gefragt – Kanzler Sebastian Kurz behaupten, man würde kleinste Einkommen entlasten, indem die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden, wenn Millionen von Österreichern davon nichts haben – weil sie weniger als 1342 Euro brutto im Monat verdienen und deshalb schon jetzt trotz Versicherungsschutzes von der Prämienzahlung befreit sind, oder weil sie Pensionisten sind und daher logischerweise keine Arbeitslosenversicherung benötigen?

Soziale Treffsicherheit als wunder Punkt

Launsky-Tieffenthal war auf diese Frage einfach nicht vorbereitet, aber auch Kurz selbst reagierte im Wahlkampf immer wieder defensiv, wenn er nach der sozialen Treffsicherheit seiner Steuerpläne gefragt wurde. Denn auch der neue 1500-Euro-Steuerbonus für jedes Kind nützt nur denen, die Steuern bezahlen, ebenso wie alle anderen versprochenen Schritte zur Steuerentlastung. Das Problem daran: Rund 41 Prozent der Arbeitnehmer, die weniger als etwa 1200 Euro brutto im Monat verdienen, zahlen gar keine Einkommenssteuer. Das ist der wunde Punkt im Regierungsprogramm.

Eine sinnvolle Antwort darauf braucht einen kleinen gesellschaftsphilosophischen Diskurs, der eine tiefe ideologische Kluft offenlegt. Aus klassisch sozialdemokratischer Sicht ist es gleichgültig, woher ein Mensch sein Einkommen bezieht. Wenn er wenig hat, dann ist er bedürftig und verdient es mehr als die Besserverdiener, dass ihm geholfen wird.

Arbeitseinkommen ist anders

Die ÖVP sieht das anders: Es macht für sie einen Unterschied, ob man Geld selbst verdient oder durch Transferleistungen erhält. Und die Kleinstverdiener wurden ja bereits in der Vergangenheit entlastet, indem sie von der Lohnsteuer völlig befreit wurden. Nun sind jene dran, die relativ wenig verdienen und dennoch Steuern bezahlen müssen.

Wer heute keine Lohnsteuer bezahlt, arbeitet meist Teilzeit – und ist nicht immer bedürftig. Darunter sind viele Frauen, die das Einkommen des Partners ergänzen, oder Studierende, die wenig Geld aber gute Zukunftschancen haben. Die Steuerreformen der früheren Jahre hat ihnen geholfen, den Durchschnittsverdienern weniger. Und für sie steigt die Belastung von Jahr zu Jahr durch die Kalte Progression.

Und was ist mit den Sozialversicherungsabgaben?

Aber hier kommt sofort ein Einwand: Auch Kleinstverdiener müssen – ab der Geringfügigkeitsgrenze von 425 Euro im Monat – hohe Sozialversicherungsabgaben entrichten. Warum senkt die Regierung nicht diese Abgaben, wenn sie Kleinverdiener entlasten will?

Doch auch hier gibt es einen Haken: Der Großteil der Sozialversicherungsabgaben sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber (insgesamt 22,8 Prozent des Bruttolohns) fließen in die Pensionsversicherung. Dieser Anteil ist im internationalen Vergleich sehr hoch, was aber daran liegt, dass Österreich eines der großzügigsten Pensionssysteme der Welt hat. Die Ersatzrate liegt in Österreich – bis zur Höchstbemessungsgrundlage – zwischen 60 und 80 Prozent, in Deutschland unter 50 Prozent. Das verhindert Altersarmut, aber treibt Lohnnebenkosten und Abgabenbelastung in die Höhe.

Langsamer Abschied vom Versicherungsprinzip

Würde man diese Beiträge senken, dann müssten auch die zukünftigen Pensionsleistungen reduziert werden. Tut man das nicht, verabschiedet man sich noch weiter vom Versicherungsprinzip der Altersvorsorge, das durch die hohen Budgetzuschüsse zur Pensionsversicherung ohnehin schon abgeschwächt worden ist. Die Erhöhung der Mindestpensionen wird weiter dazu beitragen, dass durch die eigenen Beiträge ein immer geringerer Anteil der Altersvorsorge finanziert wird. Eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für Kleinverdiener wäre der endgültige Wechsel zu einem steuerfinanzierten System, wie es etwa in Dänemark existiert.

Nun lässt sich auch das rechtfertigen, aber es spricht auch viel dagegen, weil dann aus einer Versicherungsleistung eine Sozialleistung wird. Diese ist anfälliger für zukünftige Kürzungen. Und die Sozialpartner, die das Pensionssystem in Selbstverwaltung betreiben, würden sich heftig dagegen wehren.

Es geht diesmal nicht um Verteilungsgerechtigkeit

All das erklärt, warum es sehr wohl gerecht und sozial sein kann, wenn in dieser Legislaturperiode die Senkung der Steuerlast im Vordergrund steht – und weniger die allgemeine Verteilungsgerechtigkeit. Letztlich entspricht "mehr Netto vom Brutto" auch einer langjährigen Forderung der Arbeiterkammer.

Aber in Österreich, wo viele der Vorstellung anhängen, dass Einkommen vom Staat generiert wird und nicht von der Wirtschaft, fällt es sogar der ÖVP schwer, diese Position selbstbewusst zu artikulieren. Solange das nicht gelingt, hat Kurz mit kleinen Einkommen ein – zumindest kleines – Problem. (Eric Frey, 25.12.2017)