Vielleicht auch nur ein gerupftes Huhn: Olga Wäscher betritt das "schlammland" des Deutschen Theaters.

Foto: Arno Declair

Am Deutschen Theater Berlin hat Ferdinand Schmalz inzwischen einen festen Platz, Jahr für Jahr gibt es dort ein Stück des jungen österreichischen Dramatikers. Nach "dosenfleisch", "der herzerlfresser" und "der thermale widerstand" nun die Uraufführung des Theatermonologs "schlammland gewalt", freilich diesmal lediglich als Limited Edition konzipiert, also mit explizit wenig Aufwand. Reduziert ist in der Berliner Inszenierung von Josua Rösing das Stück auf ein Konzert dreier Stimmen, wobei der Sprachfluss außerdem immer wieder durch einen Schlagzeuger akzentuiert wird. Die drei Schauspieler und der Musiker (Thorsten Hierse, Olga Wäscher, Caner Sunar und Sebastian Deufel) haben sich auf einer mit Plastikplanen abgedeckten Bühne (Bühnenbild: Mira König) aufgestellt. Sie sind Berichterstatter einer apokalyptischen Katastrophe: Eine Erdmoräne hat nicht nur die Dorfkirche, sondern auch das Festzelt mit all den Dörflern mitten in den Orgien des Fests im Schlamm begraben.

Vielleicht stellen die vier in ihren fleischfarbenen Ganzkörperanzügen aber auch gerupfte Hühner dar. Denn nur der "Backhendelbacker" hat gemeinsam mit der Frau des Dorfbüttels überlebt. Beide hatten sich zuvor in einem Kühlwagen zum Sex versteckt, gerade als die Naturkatastrophe losbrach. Nun sind sie unter inzwischen vergammelten Hühnerschenkeln Tage danach von einer Suchmannschaft im Schlamm entdeckt worden.

Vorangestellt wird der Inszenierung ein Prolog: eine finstere Ballade über eine "Nebelsuppe". Hinter diesem alles unsichtbar machenden Schleier ist für den Wanderer (Hierse), der sich immer mehr im Kreis dreht, das Dorf verschwunden. Er kann es nicht erreichen. Man denkt – zumal bei einer Vorweihnachtspremiere – an Adalbert Stifters im Schnee verirrte Kinder. Doch im Schlammland herrschen Brutalität und Unterdrückung.

Brummender Klangkörper

Als "Konzert der Stimmen" unterstreicht Rösings Inszenierung, wenn auch ein wenig monoton, die Musikalität von Schmalz' geradezu epischen Versen. So bestimmt auch die Musik einer Blaskapelle den Text: Das obszöne Dorffest wird als brummender Klangkörper zum Tönen gebracht. Doch die bilderreiche, theatralische Szenerie, die plastisch gezeichneten Figuren von Schmalz sind noch zu entdecken!

Doch "schlammland gewalt" ist mehr als ein akustisches Kunstwerk. Manchmal erinnert die Feier-, Fress- und Bierlaune sowie die plötzlich aufkommende Gewalttätigkeit – aber auch die Flucht einzelner aus dem "Körper der Feiernden" – an Ödön von Horvaths Jahrmarktszenerien: der jähzornige Chef, sein brutaler Helfer, dessen unterdrückte Ehefrau, das kurze Sichdavonstehlen zum Sex in Hinterräume. Im Festzelt dicht gedrängt das Oktoberfest aus "Kasimir und Karoline".

Doch auch Heinrich von Kleists Novelle "Das Erdbeben in Chili" habe Pate gestanden, bekannte Schmalz: die Naturkatastrophe, die die sozialen Konflikte und die alltägliche Brutalität letztlich überschwemmt. Schon zuvor war das Dorffest selbst in einen dumpfen, feuchtfröhlichen Aggregatzustand übergegangen, in dem abgebrochene Flaschen, abgenagte Hendlknochen und blutbefleckte Aufklappmesser umhergeschwemmt werden und wo Väter das eigene Fleisch und Blut gefährlich bedrohen. Faulige, dreckige "Ursuppe" überall. Die Zeltplanen halten die Sintflut des herunterprasselnden Regens nur noch notdürftig zurück. Schon tropft es an mehreren Stellen.

Dramatische Kräfte

Schmalz war zuletzt vor allem als Prosaautor erfolgreich. Nimmt er vom Theater langsam Abschied? Mit seinem Text "mein lieblingstier heißt winter", einer skurrilen Geschichte eines Tiefkühlgerichteausfahrers, der die Inszenierung eines Selbstmordes durchführen soll, hatte er 2017 seinen bisher größten Erfolg; Schmalz gewann beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Hauptpreis. Daraus soll ein Roman werden. Auch "schlammland gewalt" scheint nicht fürs Theater geschrieben, sondern ein durchlaufender Prosatext zu sein, nirgendwo auf einzelne Theaterfiguren aufgeteilt. Und doch wirkt er voll dramatischer Kraft, ja theatralisch effektvoller fast als seine frühen Volksstücke.

Denn der eindringliche Monolog eines Überlebenden, der ein zugeschüttetes Dorf und seine Leichen wieder lebendig werden lässt, scheint gleichzeitig auch überaus bühnenwirksam als Installation von Schlamm, Morast und Wasser. Auf baldige Nachinszenierungen des Stücks ist also zu hoffen. (Bernhard Doppler aus Berlin, 28.12.2017)