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Für das persönliche Gespräch rät die Verhaltensökonomin Iris Bohnet dazu, allen Bewerbern die gleichen Fragen zu stellen – die sich auf das Tätigkeitsfeld beziehen sollten. Für die Antworten gibt es – wie für Lebenslauf und Testaufgaben – Punkte, und wer am meisten sammeln konnte, bekommt den Job.

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Im Idealfall sind sie wirklich ein Geschenk für das Unternehmen: Jene Bewerber, die Gespräche, Tests und Arbeitsaufgaben meistern und den Job in der Tasche haben. Allzu oft ist das aber nicht der Fall, und die Auserwählten sind nicht die Richtigen. Die Gründe dafür laut mehreren wissenschaftlichen Studien: Zu sehr werde auf Dinge geachtet, die auf eine falsche Fährte führen können – Beziehungen, Sympathie oder eine lückenlose Laufbahn. "Ein Lebenslauf soll mehr als nur Verpackung sein", sagt deswegen Berufsberaterin Andrea Gutmann.

Wie wichtig es ist, dass Unternehmen in Bewerbungsverfahren auf neue Denkansätze setzen, wurde Gutmann und Geschäftspartnerin Elke Schrittesser in Beratungsgesprächen mit Kunden klar – in ihrem Beratungsunternehmen Plan A konzentrieren sie sich auf berufliche Umorientierung. In den Gesprächen hätten viele Kunden die Sorge geäußert, dass im Lebenslauf die Vielfältigkeit des eigenen Könnens zu kurz kommt. "Leute sind in ihrem Lebenslauf sehr oft gefangen", sagt Schrittesser, "vor allem wenn sie die Tätigkeit oder Branche wechseln möchten." Auch wenn das spezifische Know-how – etwa durch Hobbys oder besonderes Interesse – vorhanden ist, werde dies meist nicht berücksichtigt, "weil eben nicht unter Berufserfahrung verbuchbar". Die beiden plädieren deswegen dafür, wegzukommen von der starren Lebenslauforientierung. Das gelte sowohl für Unternehmen als auch für Bewerber.

Ein neuer Trend

In welche Richtung es stattdessen gehen könnte, zeigt ein Trend aus dem englischsprachigen Raum. Das Bewerberprofil: drei bis vier einleitende Sätze in den Bewerbungsunterlagen, die Aufschluss über Interessen, Stärken und Persönlichkeit der Bewerber geben. Diese Kurzbeschreibung kennt man bereits von Onlineplattformen wie Linkedin. In aller Kürze beschreibt man dort sich selbst und seinen Zugang zu Arbeit. "Wenn diese paar Sätze gut formuliert sind, dann bekomme ich ein gutes Gespür für den Bewerber", sagt Gutmann. Erfahrungen, Kompetenzen und Stärken würden sie dabei am meisten interessieren – sich hier etwas zu überlegen, sei ja generell für die persönliche Planung notwendig.

Beide sind optimistisch, dass sich solche Profile bald auch in Österreich durchsetzen werden: "Weil es sehr aussagekräftig ist. In den paar Sätzen wird im Idealfall deutlich, was Menschen ausmacht", sagt Gutmann. Das Beschriebene müsse sich natürlich auf den Onlineplattformen und vor allem im persönlichen Gespräch nicht nur wiederfinden, sondern auch näher beschrieben werden.

Wer bewirbt sich?

Klingt irgendwie nach dem, was ein Motivationsschreiben in den Bewerbungsunterlagen garantieren soll: den Mehrwert zu den Zahlen, Daten und Fakten im Lebenslauf. Allerdings: Motivationsschreiben hätten oft nur mangelnde Aussagekraft und selten einen Mehrwert, sagen Personalverantwortliche laut einer aktuellen Umfrage. Viele würden deswegen inzwischen auch Bewerbungen ohne Anschreiben berücksichtigen. Die Debatte darüber, wo in Bewerbungsunterlagen Platz ist für zusätzliche Infos, ist freilich Teil einer viel breiteren Auseinandersetzung, in der es um Vorurteile bzw. Fairness in Bewerbungsverfahren geht.

Die schweizerische Verhaltensökonomin Iris Bohnet, die als Professorin in Harvard lehrt, hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit der Objektivität in Besetzungsverfahren beschäftigt und setzt ihre Erkenntnisse auch um: Dass sie bei der Suche nach einer persönlichen Assistenz nicht den Kandidaten nahm, der ihr im Bewerbungsgespräch am sympathischsten war, habe für große Verwunderung gesorgt, schildert sie in ihrem Buch.

Was die Ökonomin stattdessen vorschlägt: Zunächst, wenn möglich, die Stellenanzeige durch einen Algorithmus laufen lassen – da werde auf einer breiten Datengrundlage ausgewertet, ob bestimmte Gruppen besonders angesprochen werden und sich in der Folge dann auch hauptsächlich diese Menschen bewerben (Geschlecht, Alter, Herkunft etc.).

Objektive Besetzungen

Schritt zwei ist es dann, die – zuvor anonymisierten – Lebensläufe zu bewerten. Bohnet streicht nicht nur Name, Geschlecht und Adresse (Alter und Foto sind in den USA ohnehin unüblich), sondern auch die Uni, an der Bewerber studierten. "Weil beim Namen eines Colleges sofort ein Bild im Kopf entsteht", sagte sie dem Stern dazu.

Nach aktuellem Stand der Forschung seien Probearbeiten ein weiteres zentrales Instrument.

Und last but not least das persönliche Treffen. Das sei dann tatsächlich komisch gewesen, weil sie sechs Leuten gegenübersaß, von denen sie nicht wusste, zu welchem Lebenslauf sie gehören. Für das persönliche Gespräch rät Bohnet dazu, allen Bewerbern die gleichen Fragen zu stellen – die sich auf das Tätigkeitsfeld beziehen sollten. Für die Antworten gibt es – wie für Lebenslauf und Testaufgaben – Punkte, und wer am meisten sammeln konnte, bekommt den Job.

Das anonymisierte Bewerbungsverfahren hat es bis auf wenige Ausnahmen aber noch nicht nach Österreich geschafft. Gründe dafür gäbe es allerdings, wie zuletzt eine Studie der Ökonomin Doris Weichselbaumer (Uni Linz) aufzeigte. 1500 fiktive Bewerbungen wurden an Unternehmen verschickt und die Rückmeldungen analysiert. Einmal hieß die Bewerberin Bauer, einmal Öztürk. Die Lebensläufe und Fotos waren identisch, einmal trug Öztürk Kopftuch, einmal nicht. Fazit: Die Ergebnisse weisen eindeutig auf die – bewusste oder unbewusste – Diskriminierung von Bewerberinnen mit Kopftuch und Migrationshintergrund hin.

Das Mini-Me-Syndrom

Technologisch ließen sich Bewerbungen eigentlich schnell und unkompliziert anonymisieren. Im persönlichen Gespräch nicht nach Sympathie oder Vorurteilen zu entscheiden, ist weit schwieriger. Eine Studie der Northwestern University kam beispielsweise zum Schluss, dass Menschen häufig nach Menschen suchen, die ihnen ähnlich sehen. Das Mini-Me-Syndrom beschreibt hingegen, wenn Bewerber bevorzugt werden, die einem ähnlich sind (Herkunft, Geschlecht, Alter), aber weniger auf dem Kasten haben. So können sie nicht irgendwann am eigenen Stuhl sägen.

Diese Entscheidungen werden meist unbewusst so getroffen – deswegen ist im Englischen auch von unconscious bias die Rede. Wie lange es bis zur objektiven Besetzung noch dauert, zeigt unter anderem, dass selbst Algorithmen Vorurteile von Menschen übernehmen, wenn die Filter nicht sorgfältig im Auge behalten werden. Die ständige Auseinandersetzung mit Einstellungen und Vorurteilen ist Bohnet zufolge ein wichtiger erster Schritt. (Lara Hagen, 3.1.2018)