Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn sieht "nationalistische Tendenzen".

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Wien – Dass Europa nach 70 Jahren des Aufeinanderzugehens nun wieder auseinanderstrebt, "ist furchtbar kurzsichtig": Diese Warnung hat der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn laut Kathpress im Interview mit dem "Don Bosco magazin" geäußert. Eine der größten Gefahren sei derzeit, dass in vielen Ländern Europas "nationalistische Tendenzen stark werden und rechte Parteien die Oberhand gewinnen".

Dass die EU "teilweise brüchig geworden" sei, zeige sich unter anderem am Brexit und an separatistischen Bestrebungen wie in Katalonien. Dabei sei die Europäische Union ein "beispielloses Friedensprojekt", sie gründe auf Werten wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte, wies der Wiener Erzbischof hin. "Deshalb müssen wir ein deutliches Zeichen der hoffnungsvollen Solidarität mit der Europäischen Union setzen."Schönborn, Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz, nannte es eine Aufgabe der Kirche, "Europa mit aufzubauen".

Flüchtlingspolitik "beschämend"

"Beschämend" nannte es Schönborn, dass es in der wichtigen Frage des Umgangs mit Flüchtlingen keinen Konsens gibt. Hier vermisse er eine gemeinsame europäische Lösung. Gleichzeitig äußerte der Kardinal "Verständnis für unterschiedliche Herangehensweisen" in den einzelnen Staaten. Denn jedes Land habe seine eigene Geschichte und andere Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht.

Österreich habe gute Erfahrungen mit Flüchtlingen aus Ungarn, der Tschechoslowakei und Ex-Jugoslawien gemacht, erinnerte Schönborn. "Wir haben mit sehr viel Großzügigkeit auf die Flüchtlingsnot reagiert, sind aber diesmal wohl überfordert gewesen, weil so viele Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland wollten und eben nicht nach Ungarn oder Tschechien oder nach Polen." Doch nach "dramatisch hohen" Flüchtlingszahlen im Herbst 2015 sei die Lage inzwischen "sehr viel ruhiger geworden". Die entscheidende Frage ist nach der Überzeugung Schönborns nunmehr die Integration der Flüchtlinge.

Der Wiener Erzbischof appellierte, das europäische Friedens- und Integrationsprojekt dürfe nicht am Flucht- und Migrationsthema scheitern. "Denn das europäische Miteinander ist unvergleichlich besser als das europäische Gegeneinander, unter dem wir jahrhundertelang gelitten haben." (APA, 4.1.2018)