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Augenhöhe ist ein Kunstbegriff, der neues Denken und Wertschätzung signalisieren und Distanz zum Bisherigen, Althergebrachten schaffen soll.

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"Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere, nur weil die Tiere groß sind und diese Bäume hoch sind, die süßesten Früchte schmecken dir und mir genauso, nur weil wir beide klein sind, erreichen wir sie nie." (Leila Negra, Peter Alexander)

Die Schlagertexte aus den 1950er-Jahren bilden ab und zu auch tiefe Wahrheiten ab: Hier sind wir, die kleinen Leute. Dort sind die großen, dort ist die Obrigkeit. Quasi Kirschkerne spuckend. Das ist nicht tragisch, sondern einfach faktisch. Nichts, wogegen irgendetwas zu tun wäre – man kann ein Liedchen darüber machen.

Das hat sich geändert. Radikal. Jetzt ist Augenhöhe "the name of the game". Die neue Regierung hat das zu ihrem Motto gemacht: Mit Wählerinnen und Bürgern will man unbedingt "auf Augenhöhe" sein. Mitreden, mitbestimmen lassen – mit einer dann doch nicht so kleinen "Hürde", aber immerhin. Miteinander natürlich auch: Augenhöhe statt Dauerstreit, das heißt dann "neu regieren".

Zwischen den süßesten Früchten und der Augenhöhe liegen Bildungsexpansion, Wohlstandszuwachs und die Möglichkeit der medialen Mitgestaltung für (fast) alle – und in Echtzeit.

"Join it if you can't beat it."

Das ist auch folgerichtig: Wenn der Blick von oben, quasi der Überblick, nicht mehr zur Orientierung taugt, wenn Autoritäten infrage gestellt werden, bleibt eigentlich nur noch diese eine Botschaft: Augenhöhe. "Join it if you can't beat it." Die süßesten Früchte werden bekanntlich von allen begehrt, das war schon immer so. Die Zeiten, in denen man meinte, sie stünden einem nicht zu, sind aber vorbei.

Logisch leitet sich davon das Begehr nach und das Versprechen, "mehr direkte Demokratie" einzuführen, ab. Man will nicht mehr nur mitentscheiden, man will entscheiden. Interessant, dass dieses Versprechen just am häufigsten von Heinz-Christian Strache kommt – jenem Politiker, der vielen als Antwort auf die große Sehnsucht nach "starker Leadership" gilt. Wie viel Haltbarkeit in diesem Versprechen wirklich steckt, das wird sich noch weisen.

Rückfall in alte Muster

Zunächst ist die direkte Demokratie ja einmal nach hinten verschoben. Was zwischenzeitlich geschah – etwa die Ermöglichung des Zwölf-Stunden-Arbeitstages, die bundesweit einheitliche Absenkung der Mindestsicherung oder das Kippen des Rauchverbots -, das geschah gänzlich ohne Plebiszit. Der althergebrachte Mechanismus griff schnell bei den neu Regierenden: Wozu das Volk fragen, wenn wir, die Koalitionspartner, sich ohne weiteres darauf einigen können. Strache hat nach diesen Alleingängen gleich viel Erklärungsbedarf bekommen – dafür habe man ihn nun wirklich nicht gewählt, beschwerte sich ein Teil der Facebook-Community erbost.

"Augenhöhe" kommt seither umso häufiger aus den Politikermündern. Was genau das also heißen soll, ist bestenfalls zu erraten. Tatsächlich steckt das Versprechen der Augenhöhe voller falscher Versprechen. Gleichheit wird suggeriert, Zugänglichkeit und Hierarchielosigkeit werden dazugemalt. Das kennen wir aus dem Wahlkampf: Da kommt einer von euch, der lebt wie ihr, denkt wie ihr, der genauso ist wie ihr.

Gegenstück zur Führungskultur

Der Kunstbegriff Augenhöhe erfüllt in den Reden der Politiker eine bestimmte Funktion: Er soll das Gegenstück bilden zur politischen Führungskultur, die sich in einem Stakkato von Glaubwürdigkeitskrisen selbst zerlegt hat. Ein Begriff als Legitimation der neuen Macht. Eine Verpackung. Ein Distinktionsgewinn gegenüber den Abgewählten. Jenen, die "abgehoben" agiert haben, in ihre Limousinen stiegen und den Chauffeuren Kommandos gaben. Angesagt ist jetzt eine Art Ikea-Politik auf Du und Du. Man soll sich wohlfühlen. Seine Möbel selbst zusammenbauen. Das haben wir ja auch irgendwann einmal gelernt, und das klappt mittlerweile ganz gut.

Aber: Wenn nun Augenhöhe in Permanenz versichert werden, wenn so viel darum herum inszeniert werden, wenn sie so laut beschworen werden muss – gibt es sie dann? Wo ist sie eigentlich? Was bedeutet dieses Wort überhaupt – seinem Sinn nach?

Richtungsfrage

Da nun einmal nicht alle gleich hoch, gleich groß, geschweige denn gleich reich und gleich mächtig sind – wie wird Augenhöhe dann hergestellt? Einer bückt sich, der andere steigt auf ein Stockerl? Und selbst, wenn alle auf gleicher Höhe wären: Das hieße längst nicht, dass alle in die gleiche Richtung schauen. Und alle kriegen, was sie wollen oder was sie meinen.

Zunächst ist "auf Augenhöhe" nur das Signal für: Du wirst gehört, beachtet, du bist ein aktiver Teil der Gestaltung. Mit diesem Signal operieren seit geraumer Zeit alle: Medienmanager finden neue Formate, um die Leserschaft interaktiv einzubeziehen. Es darf nicht mehr für jemanden Journalismus gemacht werden, er soll "mit den LeserInnen/UserInnen/SeherInnen/HörerInnen" geschehen. Kooperativ, kokreativ und kollaborativ. Keine Erhöhungen, keine Erniedrigungen, keine Monopole.

Maximal abgeflachte Hierarchien

Selbstverständlich geben auch Unternehmen beim Werben um neue Mitarbeiter an, "partizipativen Führungsstil auf Augenhöhe" zu pflegen und maximal abgeflachte Hierarchien zu leben. Chefs inszenieren sich als "Ermöglicher", nicht mehr als Vorgesetzte. Der Vorstandschef verdient zwar 30-mal so viel wie der Lehrling, aber Letzterer soll genau gleich wichtig sein. Auf Augenhöhe eben. Die tagtägliche Wirklichkeit in Firmen ist überwiegend eine andere.

Wie unstimmig das Augenhöheversprechen derzeit ist (nicht nur in der Politik), wird durchgängig von der Sprechkultur illustriert: Da heißt es nicht "wir", sondern da werden "die Menschen" adressiert. Das ist eine klare und implizite Distanzierung, und das klingt auch ohne viel linguistische Expertise eher paternalistisch: Wir wissen, was gut für "die Menschen" ist.

Platz machen

Aber dennoch: Aus der Sehnsucht nach Augenhöhe lässt sich etwas machen. Daraus soll etwas Neues entstehen. Das ist aber anstrengend für alle. Für jene, denen die mächtigen Plätze gehören, bedeutet es Macht- und Privilegienverlust, hieße es, Platz zu machen und auch einen Schritt zurück zu treten. Es hieße, die Funktion in Politik und Wirtschaft als Dienstleistung am Gemeinsamen, nicht an der Partei, nicht am Ego, nicht am eigenen Konto zu begreifen.

Für alle bedeutet es, sich den Mühen von Diskurs und Offenheit zu unterziehen, die eigene Verantwortung immer wieder zu prüfen und auch die eigene Position aufzuweichen und den eigenen Vorteil aus dem Fokus zu nehmen. Augenhöhe herstellen, das bedeutete einen ständigen Verhandlungsprozess. Nicht ich und die Menschen, nicht ich und die Mitarbeiter. Sondern ein dauerndes Bemühen um ein Wir. (Karin Bauer, 6.1.2018)