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Tayyip Erdoğan bei einer Pressekonferenz während seines Staatsbesuchs in Paris.

Foto: Ludovic Marin, Pool via AP

Am 11. Jänner ist es wieder so weit: Journalistenprozess in der Türkei. Da wird zur Abwechslung das türkische Verfassungsgericht über das Schicksal von drei türkischen Journalisten entscheiden. Manche reden von einer gefinkelten Auswahl der Fälle: Şahin Alpay von der Zeitung "Zaman" ist 1944 geboren, Turhan Günay, vor langer Zeit Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuryiet", ist Jahrgang 1946, Ahmet Altan, unabhängiger Schriftsteller und Journalist, wird Anfang März 68 Jahre alt.

Angesichts der extrem hohen Zahl der willkürlich des Terrors beschuldigten Journalisten will das Gericht exemplarische Urteile fällen, auf die sich dann Richter in anderen Fällen berufen können. Zu hoffen ist, dass nicht das fortgeschrittene Alter der drei Journalisten primär als Entlastungs- und Enthaftungsgrund genannt wird. Das wäre fatal für alle anderen. Anderseits: Nach dem Urteil eines Verfassungsgerichts können Klagen auch beim EU-Menschenrechtsgericht eingereicht werden.

Notstandsdekrete erneuert

Entschärft ist die Situation in der Türkei beileibe nicht. Im Gegenteil: Ein demokratischer Rechtsstaat sieht anders aus. Am 24. Dezember wurden neuerlich 2.700 Beamte entlassen und die Notstandsdekrete erneuert. In deren Namen ist nach wie vor diktatorische Willkür angesagt. Geplant sind zudem für angebliche "Terroristen", also auch für Journalisten, Gefangenenanzüge à la Guantanamo. Statt Grellorange sind derzeit die Farben Braun und Grau im Gespräch. Solche Erniedrigungen von Menschen sind farbunabhängig, die willigen Vollstrecker hingegen sind stets farblose Diener ihrer Herren beziehungsweise Regime.

Wirtschaftlich wirken sich all diese menschenverachtenden Repressalien und "bad news" für die Türkei negativ aus. Deshalb auch die scheinbare "Hab mich lieb"- Reise des türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan nach Paris. Dort wurde er nicht nur von seinem Amtskollegen, sondern auch von lautstarken Demonstrationen empfangen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte beim Gespräch mit Erdoğan diesen auf, Menschenrechte zu respektieren und rechtsstaatliche Grundprinzipien einzuhalten – auch gegenüber jenen inhaftierten Journalisten, deren Namen er von der NGO Reporter ohne Grenzen erhalten hatte. Erdoğan lässt die Namen notieren, doch Kreideschlucken liegt ihm fern. In der anschließenden Pressekonferenz fällt er wieder in die ihm altvertraute Kampfrhetorik zurück.

"Sei vorsichtig"

"Sei vorsichtig", kanzelt er während der Pressekonferenz in Paris einen französischen Journalisten ab, der ihn zu türkischen Waffenlieferungen an den IS befragt. Die unabhängige türkische Tageszeitung "Cumhuriyet" hatte darüber berichtet. Deshalb begann auch nach dem Putschversuch im Juli 2016 die Hexenjagd auf deren Herausgeber und Journalisten. Seitdem wurden 18 Redaktionsmitglieder und der Herausgeber des Terrorismus beschuldigt.

Noch immer sitzen drei in Untersuchungshaft. Doch auch jene, die auf freiem Fuß sind, warten bis heute auf das Ende ihrer Prozesse, wissen nicht, ob sie schließlich doch zu Haftstrafen verurteilt werden. Can Dündar, der frühere Chefredakteur von "Cumhuriyet", lebt inzwischen im Exil in Berlin. Insgesamt wurden seit dem Sommer 2016 rund 150 Medien geschlossen oder enteignet, 700 Presseausweise annulliert und über hundert Journalisten inhaftiert beziehungsweise amtlich des Terrors beschuldigt.

Für Erdoğan sind Journalisten "Gärtner des Terrorismus", wie er in Paris betonte. Man kann gespannt sein, ob und wann dieses Denken samt entsprechender Diktion auch in europäischen Rechtsrutsch-Regierungen Gefallen und Eingang in deren Rhetorik findet.

Tags darauf, am diesjährigen Dreikönigstag, trifft der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu seinen befreundeten deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel in dessen Geburtsstadt Goslar. Auch hier ging es um die EU, ums teure Geld und Rüstungslieferungen und zugleich um die Freilassung des in Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der dort seit zehn Monaten ohne Anklage inhaftiert ist. Dessen Freilassung könnte teuer werden.

In Paris hingegen beginnt am Samstag vielleicht das Kabinett Macron darüber nachzudenken, wie die Ansprache des Präsidenten anlässlich des Neujahrempfangs für Medienmenschen medienfreundlicher umformuliert werden könnte. Macron hatte ja ein Gesetz gegen Fake-News angekündigt. Ob Fake-News seitens mancher illiberaler Medien oder Fake-News beziehungsweise "Alternative News" à la US-Präsident Trump, blieb dabei offen.

Femen-Aktion gegen Erdoğan

Ebenfalls in Paris freuten sich am vergangenen Samstag vier Femen-Frauen, von der Polizei wieder freigelassen worden zu sein. "Erdoğans Kannibalen-Lunch", diesen Namen hatten sie ihrer einzigartigen kulinarischen Kreation anlässlich des Paris-Besuchs des türkischen Präsidenten gegeben.

Barbusig, bekleidet nur mit schwarzen Röcken und weißen Servierschürzchen, in den Händen runde Serviertabletts und eine mit Kreide beschriftete Menütafel, skandierten sie am Freitag in der noblen Pariser Innenstadt: "Human Rights here, Erdoğan ..." Immer wieder, immer wieder. Die Polizei griff ein und führte sie ab.

Hier die von den Femen-Damen empfohlene Menüfolge im Detail: Frauen-Tatar, Kurden-Geschnetzeltes sowie Journalisten, geschmort im eigenen Saft, an zerdrückter Meinungsfreiheit und faschierten Menschenrechten. Als Nachspeise wird Schwulenpudding empfohlen. Bitterböse und zugleich zutiefst traurige Satire. Wohl bekomm's und Mahlzeit.

In Rangliste abgerutscht

In der Pressefreiheitsrangliste von Reporter ohne Grenzen ist die Türkei im vergangenen Jahr von Platz 151 auf 155 gerutscht. Insgesamt wurden 180 Länder analysiert. Noch 2005 lag die Türkei um 18 Punkte besser.

Unter dem damaligen Regierungschef Erdoğan hatte sich bis zu diesem Jahr einiges getan: Abschaffung der Todesstrafe, Kurden durften ihre Sprache wieder ungestraft sprechen, Generäle hatten keine uneingeschränkte Macht mehr über das Land. Generell hingegen wurde Meinungsfreiheit garantiert, Filme und Videos wurden nicht mehr zensuriert, Rundfunkstationen durften auch in Fremdsprachen senden. 70 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung waren für eine EU-Mitgliedschaft. Am 3. Oktober 2005 sollten die Beitrittsverhandlungen beginnen. Erdoğan galt als der gefeierte Modernisierer der Türkei.

Von Anfang an erschwert wurden diese Verhandlungen von Österreich und dessen damaliger Außenministerin Ursula Plassnik. Sie bestand darauf, dass die Ergebnisse der Verhandlungen offen, also nicht verbindlich bleiben sollten. Mit Erfolg. Mit Erfolg präferierte sie damals auch den Beitritt des mehrheitlich katholischen Kroatien, eines kleinen Nachbarlands der Republik. Die geopolitisch extrem wichtig gelegene Türkei, nebstbei Nato-Mitglied, wurde stattdessen düpiert, blieb außen vor.

Erdoğans Wandlung

Seitdem hatte sich Erdoğan Schritt für Schritt zu einem reaktionären, ultrareligiösen, autoritären Politiker gewandelt. Seine Frau tritt in der Öffentlichkeit nur noch mit Kopftuch auf. Die Re-Islamisierung des Landes wurde und wird extrem forciert. Der Rechtsstaat wurde weitgehend ausgehebelt. Erdoğan wurde zu einem demokratisch gewählten Diktator. Wir kennen das vergleichbare System Orbán in Ungarn, das vergleichbare historische Hitler-Vorbild im einstigen Nazi-Deutschland und für dessen Freunde.

Das 2005 schwarz-blau regierte Österreich hatte der Türkei Zugang zu und Verbleib in der damaligen westlichen Moderne verwehrt. Menschenrechte und damit demokratiepolitisch definierte Meinungs- und Medienfreiheit haben seitdem dort keinen Stellenwert mehr. Hoffen wir, dass dies eines Tages nicht auch in Österreich passiert. (Rubina Möhring, 8.1.2018)