"All diese neuen Medikamente sind extrem kostspielig, und die Frage ist, wie sich das in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem ausgehen wird", sagt der Hämatologe Ulrich Jäger über die neuen Möglichkeiten der Krebstherapie.

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Die neuen Immuntherapie mit CAR-T-Zellen forciert körpereigene Mechanismen bei der Bekämpfung von Krebs. Nicht die Krebszelle selbst wird angegriffen (wie bei der Chemotherapie), sondern das Immunsystem wird gestärkt.

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STANDARD: Ärzte, die Bluterkrankungen behandeln, treffen einander jährlich, um sich über die international neuen Studienergebnisse auszutauschen. Warum ist der ASH-Kongress im Dezember immer ein Fixpunkt für Sie?

Jäger: Es stimmt, es ist jedes Jahr ein Riesenaufmarsch. Heuer waren es 26.000 Teilnehmer. In unserem Fachbereich werden gerade riesige Fortschritte gemacht. Sowohl klinisch, was die Behandlung von Patienten betrifft, als auch in der Grundlagenforschung. Zudem ist ein Kongress ein wichtiger Treffpunkt, um bei internationalen Projekten dabei zu sein.

STANDARD: Was war für Sie bemerkenswert?

Jäger: Heuer gab es wirklich viel Bemerkenswertes. Neue, zielgerichtete Medikamente wie Small Molecules und Tyrosinkinasehemmer, aber auch neue Verfahren wie die CAR-T-Zellen (siehe Kasten) sind das große Thema. Bei Erkrankungen wie dem multiplen Myelom, der chronischen lymphatischen Leukämie, bei einigen Lymphomen, dem Morbus Hodgkin und der akuten lymphatischen Leukämie zeichnen sich neue Optionen ab. Bei sämtlichen Medikamentenstudien ist Österreich ganz vorn dabei. Niemand muss für die neuesten Medikamente in die USA fahren. Das ist das Ergebnis der internationalen Vernetzung, die auf solchen Kongressen passiert.

STANDARD: In welche Richtung geht es?

Jäger: Zum ersten Mal kann ich mir vorstellen, dass die Chemotherapie in ein paar Jahren obsolet sein könnte, wir stehen da erst am Anfang, aber es gibt Hinweise, dass die Medikamente tatsächlich die verwundbaren Stellen von Krebszellen angreifen.

STANDARD: Wie meinen Sie das genau?

Jäger: Einstweilen werden die Medikamente an Patienten ausgetestet, bei denen jede Therapie davor versagt hat. Sie bekommen biomolekular wirksame Medikamente. Small Molecules oder Tyrosinkinasehemmer zum Beispiel, die ganz gezielt in Signalwege der Krebszellen oder ins Immunsystem eingreifen und das Krankheitsgeschehen stoppen können.

STANDARD: Über personalisierte Medizin redet man seit gut zehn Jahren.

Jäger: Aber jetzt sehen wir erstmals Medikamente, die das Überleben von Patienten, die sonst austherapiert sind, also sterben würden, für substanziell lange Zeit verlängern. Wenn sich das auch langfristig bewahrheitet, dann könnte es für größere Patientenkollektive eine Option werden.

STANDARD: Bisher hat die Wirkung immer nur eine sehr begrenzte Zeit angehalten.

Jäger: Diesmal scheint die Wirkung tiefergehender zu sein. Auch das neue Verfahren mit CAR-T-Zellen ist hochinteressant. Da gab es beeindruckende Ergebnisse für Patienten mit einem ganz bestimmten, seltenen, diffusen B-Zell-Lymphom (DLBCL) beziehungsweise einer Form von akuter lymphoblastischer Leukämie (ALL), die auf ihren Abwehrzellen einen bestimmten Marker haben. Für diese noch kleine Gruppe ist eine CAR-T-Zellen-Therapie wirkungsvoller als alles, was in der Medizin bisher zur Verfügung stand.

STANDARD: Und das jeder bekommen wird?

Jäger: Ein großes Problem ist die Finanzierung. All diese neuen Medikamente sind extrem kostspielig, und die Frage ist, wie sich das in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem ausgehen wird. Wir haben beim multiplen Myelom, einer anderen Form der Bluterkrankung, ein einziges Medikament, das mittlerweile die Hälfte unseres Budgets ausmacht. Aber es ist medizinisch hochwirksam.

STANDARD: Neue Medikamente: Das bedeutet auch andere Nebenwirkungen, oder?

Jäger: Bei den CAR-T-Zellen lassen sich die Nebenwirkungen beherrschen, aber ja, es muss eine Intensivstation als Back-up geben. Bei den neuen Medikamenten wie den Small Molecules oder den Tyrosinkinasehemmern stellen wir uns auch auf andere Situationen ein. Allgemein, das zeigen die Studienergebnisse, scheinen die neuen Therapien relativ gut verträglich zu sein. Wir wissen, wie man mit den unerwünschten Wirkungen umgeht, könnte man sagen.

STANDARD: Ersetzen neue Therapien alte?

Jäger: Ja schon, aber das ist ein langsamer Prozess. Die gute Nachricht: Die Antikörper, die vor 15 Jahren auf den Markt gekommen sind, werden gerade generisch, also als Biosimilars erzeugt und verlieren ihren hohen Preis. Rituximab zum Beispiel, ein Medikament, das ein Baustein in vielen Krebstherapien ist. Aber es geht auch um Eingriffe ins ganze System.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Jäger: CAR-T-Zellen, die mittlerweile von drei unterschiedlichen Pharmafirmen hergestellt werden, könnten eines Tages in Teilen die Knochenmarktransplantation ersetzen. Oft ist es auch so, dass durch die neuen Medikamente stationäre Aufenthalte reduziert werden. Ich denke, dass die Krebsbehandlung in Zukunft verstärkt ambulant gemacht werden wird. Schon jetzt kommen viele Patienten nur mehr zur tagesklinischen Behandlung. Auch auf diese Weise werden Kosten gespart.

STANDARD: Auf der Konferenz meinten aber auch viele amerikanische Ärzte, dass die Versicherungen die Kosten für diese extrem teuren Medikamente immer öfter verweigern.

Jäger: Es wird ein Balanceakt, das stimmt. Es werden aber auch neue Modelle diskutiert, etwa jenes, dass Medikamente nur dann bezahlt werden, wenn sie bei den Patienten anschlagen und wirken. Dort wo die Wirkung nicht einsetzt, übernehmen die Firmen die Kosten. Ich denke, dass darüber nachgedacht werden muss. Jeder Player im Gesundheitssystem wird beitragen müssen – zum Wohl der Gesellschaft und des einzelnen Patienten.

STANDARD: In Medikamentenstudien wird derzeit viel ausprobiert. Bei der chronischen lymphatischen Leukämie laufen verschiedene Studien, die Medikamente unterschiedlicher Hersteller kombinieren. Jedes Medikament wäre einzeln zu bezahlen. Wie soll das gehen?

Jäger: Schon, aber es sind Studien, deren Ergebnisse hinsichtlich einer optimalen Wirkung erst verglichen werden müssen. Die wirkungsvollste wird sich durchsetzen, nehme ich an. Oder die, die für einen bestimmten Patienten mit einem ganz bestimmten genetischen Profil passt. Es wäre die Aufgabe von unabhängiger akademischer Forschung, hier Vergleiche anzustellen. Ein Ziel ist, die wirksamen Therapien zeitlich zu begrenzen. Die Forschung an Medikamenten wurde ja so gut wie vollständig den Pharmafirmen überlassen, die staatlichen Förderungen für Medikamentenstudien wurden heruntergefahren. Ich hoffe aber auf Initiativen in der EU und in Österreich, die hier eine Art neues Gegengewicht herstellen. Die Ergebnisse sind ja für alle Länder interessant.

STANDARD: Denken Sie nicht auch, dass die Medikamentenkosten auch durch die Produktkonkurrenz fallen könnten?

Jäger: Ich denke schon. Die pharmazeutische Industrie ist aber ihren Aktionären verpflichtet. Da greifen herkömmliche Marktregeln nicht mehr. So wie es eigentlich sein sollte.

STANDARD: Ein Fortschritt war, Krebs durch die Dauergabe von Medikamenten chronisch zu machen. Auch das ist kostspielig, wenn wir an die Alterspyramide denken.

Jäger: Es hat eine Zeit gedauert, bis wir die Erkenntnisse aus der Entschlüsselung des Genoms auch nutzen konnten. Das scheint jetzt in unterschiedlichen Bereichen der Fall zu sein. Für uns als Ärzte ist es wichtig, Patienten mit schweren Erkrankungen eine Therapie anbieten zu können, die ihre Wirkung in Studien bewiesen haben.

STANDARD: Wie steht es um die hämatologische Forschung in Österreich?

Jäger: Da sind wir international ganz vorn mit dabei. Wir an der Med-Uni arbeiten, wenn es um die genetischen Komponenten geht, zum Beispiel intensiv mit dem CEMM und dem St.-Anna-Kinderspital zusammen. Philipp Staber von der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der Med-Uni Wien und Gregory Vladimer vom CEMM haben auf dem ASH in Atlanta eine Studie zu einer extrem aggressiven Form von T-Prolymphozyten-Leukämie mit großem Aufsehen präsentiert. Wir haben viele gute Leute.

STANDARD: Wie wichtig ist die Vernetzung mit anderen Kliniken?

Jäger: Essenziell, wir nutzen solche Kongresse, um Studien zu akquirieren. Österreich ist ein hervorragender Forschungsstandort. Ich würde mir wünschen, dass Patienten sich dessen auch bewusst sind. Bei uns gibt es in der Bevölkerung immer noch Vorbehalte, an Studien teilzunehmen. Dabei wäre das im Anbetracht der Tatsache, dass sich Krankheitsbilder in viele verschiedene Untergruppierungen aufspalten, wichtig. Die Teilnahme an Studien ist eine echte Chance. (Karin Pollack, 9.1.2018)