Kritik an der neuen Regierung löst bei vielen den Reflex aus: "Jetzt lasst sie doch einmal arbeiten ..." Das ist nachvollziehbar, aber es kann kein Verbot für eine sachorientierte kritische Betrachtung von Minute eins an geben.

Die türkis-blaue Regierung kündigt an, dass sie sehr schnell und sehr tiefgreifend die Republik umbauen will. Das verlangt nach ebenso schneller, aber deswegen nicht oberflächlicher Beurteilung. Vieles in diesem Staat sollte reformiert werden, aber "Reform" ist kein Wert an sich, und etliche Errungenschaften dieses doch recht erfolgreichen Staatswesens sollten nicht so ohne weiteres ausgehebelt werden. Zumal, und da kommen wir schon zu einem ernsten Thema, der Koalitionspartner FPÖ schon früher Vorstellungen von einer anderen, weniger liberalen Demokratie geäußert hat und äußert.

Ein grundsätzlicheres Problem zeigt sich beim Vorhaben des Ministers für "Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz" (vormals: nur Justiz) Josef Moser. Er will den Korpus an Gesetzen "entrümpeln". Überholte, sinnlose Gesetze sollen außer Kraft gesetzt werden. Das brachte einen begeisterten Blattaufmacher in der Krone. Die Vorgehensweise ist aber bedenklich.

Zunächst wurde das so vom Ministerium kommuniziert, dass Minister Moser himself alle Gesetze vor dem Jahr 2000 außer Kraft setzen werde. Das kam so rüber, als würde die Gewaltentrennung zwischen Exekutive und Legislative aufgehoben. Selbstverständlich kann ein Minister vom Parlament beschlossene Gesetze nicht einfach aufheben, dazu bedarf es wieder eines Parlamentsbeschlusses. Die Ankündigung war schwer missverständlich und wurde auch von etlichen besorgten Lesern so missverstanden.

Dann schob das Ministerium eine Erklärung nach: Die Massenaufhebung aller Gesetze (durch einen Beschluss der türkis-blauen Parlamentsmehrheit) werde so erfolgen, dass man in einem Begutachtungsverfahren jene Gesetze feststellen lässt, die man noch braucht. Dann gibt es ein pauschales "Außerkraftsetzungsgesetz", an dem eine Liste mit den zu bleibenden Gesetze angehängt ist.

Und wer legt fest, welches Gesetz bleiben soll? Vor allem "die Ministerien", sagt die Regierung. Also hauptsächlich türkis-blaue Ministerien werden darüber befinden, welche Normen – etwa der Sozialgesetzgebung – noch gebraucht werden. Kein Wunder, dass da sofort Misstrauen bei den Arbeitnehmervertretern aufkommt.

Selbst wenn man nicht davon ausgeht, dass da hinterrücks missliebige Gesetzesbestimmungen entsorgt werden, hat das Ganze doch einen autoritären Hautgout: Alles, was bisher war, wird einmal pauschal gekillt und dann gnadenhalber in einen Anhang aufgenommen – mit Ausnahmen, die die Regierung vorgibt. Das riecht nach Orbanistan. Und wofür? Dafür, dass vielleicht hundert Gesetze gestrichen werden, von denen der Bürger nichts weiß und die ihm nicht schaden.

Das ist die demokratiepolitische Nonchalance, die Misstrauen erweckt. Und wenn man die "Regierung einmal arbeiten lässt", kann es schon zu spät sein. (Hans Rauscher, 9.1.2018)