"Unser Held" steht auf dem Plakat für den verurteilten Kriegsverbrecher Slobodan Praljak in der herzegowinischen Stadt Čapljina.

Foto: Adelheid Wölfl

"Unser Held" steht auf den Plakaten, die an den Masten in der herzegowinischen Stadt Capljina hängen. Darüber ist das Bild jenes Mannes zu sehen, der sich Ende November vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal selbst vergiftete und dabei sagte: "Slobodan Praljak ist kein Kriegsverbrecher!"

In seiner Heimat sind praktisch alle der Meinung, dass Praljak ein verdienter General ist, einer, "der für uns gekämpft hat", "einer aus unserem Volk", wie die Männer in dem Café in der Nähe der Kirche von Čapljina beteuern. "Wir sind eben Katholiken", erklären die älteren Herren die Grundlage ihrer Meinungsbildung. Čapljina unterscheidet sich dabei nicht von anderen Orten in Kroatien, Bosnien-Herzegowina oder Serbien. Religion und Nationalität werden gleichgesetzt. Das Kollektiv bestimmt, das Individuum kann sich nicht selbst definieren. Besonders junge Leute kennen die Zeit nicht mehr, in der man Gemeinsamkeiten statt Unterschiede hervorhob.

"Politisiertes Gericht"

Auch wenn es um den Krieg geht, ist die Reaktion überall gleich: Wird jemand verurteilt, der zu einer anderen "Volksgruppe" gehört, wird dies als "gerecht" angesehen. Wird jemand verurteilt, der zur eigenen "Volksgruppe" gehört, gilt das Gericht sofort als "fremdgesteuert", "politisiert", die Urteile als "ungerecht", "eine Schande", "ein Verbrechen", "ein Verrat am Volk".

Unterstützung gibt es dafür von Religionsvertretern. So hielten Franziskaner aus Čapljina – die übrigens wegen Ungehorsams längst aus dem Orden ausgeschlossen wurden – eine Messe für Praljak ab. Die Diözese von Rottenburg-Stuttgart verbot hingegen den kroatischen katholischen Gemeinden, dies zu tun, und drohte den Pfarrern Strafen nach dem kanonischen Recht an. Unter der Diaspora aus Ex-Jugoslawien – auch in Österreich – gibt es zahlreiche völkische Nationalisten.

Das Urteil gegen Praljak und fünf weitere Kroaten war das letzte, bevor das Haager Tribunal im Dezember nach 24 Jahren offiziell geschlossen wurde. Einige Prozesse sind allerdings noch am Laufen – wie etwa jener gegen Vojislav Šešelj. Andere werden neu aufgerollt. Insgesamt wurden 161 Personen angeklagt, 90 Personen verurteilt, 56 haben ihre Strafe abgesessen, 19 Personen wurden freigesprochen. Insgesamt wurden 4.650 Zeugen gehört. Das ehemalige serbische Regime wurde als solches – anders als das kroatische – nicht zur Verantwortung gezogen, was angesichts der Geschichte vielen unangemessen erscheint.

Fakten statt Mythen

Das Verdienst des Tribunals ist es, dass Fakten gesammelt wurden, die den herrschenden Mythen entgegengestellt werden können. Betrachtet man die bisher geringe gesellschaftliche Auswirkung, so wird klar, dass nicht die Prozesse oder die Zeit, die seit den Kriegen verging, Veränderung oder Aufklärung bringen, sondern der dominante politische Diskurs entscheidend ist. Und dieser ist nach wie vor vielerorts so chauvinistisch wie revanchistisch.

Die Politiker in der Region würden das Ende des Tribunals mit großer Erleichterung sehen, meint die Menschenrechtsaktivistin Nataša Kandić. Es mangle an Politikern, die sich dessen bewusst seien, dass es an einer zivilisierten Perspektive auf den Krieg und die Verbrechen fehle. "Und dass wir unanständige und abgestumpfte Gesellschaften ohne Mitgefühl und Solidarität wurden", so Kandić.

Solidarität mit den Opfern

Kandić hat deshalb die "Regionale Kommission für die Feststellung von Fakten über Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsvergehen im ehemaligen Jugoslawien" (Recom) bereits vor mehr als zehn Jahre ins Leben gerufen. Es geht darum, Informationen über Kriegsverbrechen, über Vermisste und über Getötete zu sammeln, aber auch "die politischen und gesellschaftlichen Umstände zu untersuchen, die entscheidend zum Ausbruch der Kriege geführt haben".

Kandić will die Perspektive der Opfer zeigen. Recom soll Teil des Berlin-Prozesses werden, der die Zusammenarbeit in der Region fördert. Die Präsidenten von Serbien, Montenegro, Mazedonien, dem Kosovo und das bosniakische Mitglied im bosnischen Staatspräsidium unterstützen Recom. Das serbische und das kroatische Mitglied verweigern hingegen bisher die Kooperation. Das Bekenntnis zu Recom soll beim Gipfel des Berlin-Prozesses – im Juli in London – vorgestellt werden. (Adelheid Wölfl aus Čapljina, 10.1.2018)