Foto: "Getting Over it"
"Getting Over it"
"Getting Over it"
"Getting Over it"
"Getting Over it"

Die Ausgangssituation ist reichlich absurd: Aus einem schweren Eisenkessel reckt sich ein halbnackter Mann, in der Hand hält er einen langstieligen Hammer. Weil er bis zum Nabel in dem gusseisernen Ungetüm steckt, kann sich der Unglückliche nur durch dieses Werkzeug fortbewegen – sich vom Boden abstoßen, an Vorsprüngen einhaken und sich so mühsam fortbewegen. Die ersten Schritte von links nach rechts hat man bald gemeistert, doch dann türmt sich ein riesiger Berg vor den Spielerinnen und Spielern auf: Genau da muss man drüber.

"Getting Over It with Bennett Foddy" (Windows, Mac, 7,99 Euro, iOS 4,99 Euro) ist ein seltsames Spiel, keine Frage, und trotzdem – oder gerade deswegen – ein junger Spielehit des neuen Jahres. Das im Dezember erschienene Spiel hat sich seit Erscheinen fast 600.000 Mal verkauft, und aus den tausenden großteils positiven Kommentaren spricht eine besondere Hassliebe der Spielerschaft zu diesem Spiel, das kaum mehr ist als ein knochenharter Geschicklichkeits- und Koordinationstest.

Sisyphus im Eisenkessel

Der Clou der Spielmechanik liegt in der Steuerung, und die kommt nur mit den Bewegungen der Maus ohne einen einzigen Klick aus. Bis man gelernt hat, sich richtig abzustoßen, seinen Hammer blitzschnell als Haken oder Stütze zu verwenden und auch auf schmalen Simsen das Gleichgewicht zu bewahren, durchleidet man schweißtreibende Stunden – und hunderte Abstürze den Berghang hinab. "Fühle ganz neue Arten von Frustration, von denen du nicht einmal wusstest, dass du sie in dir hast", verspricht der Beschreibungstext.

Der Mann im Kessel ist ein virtueller Sisyphus – die Meisterschaft, den Berg ganz zu erklimmen und oben eine "magische Belohnung" abzuholen, werden sich wohl die wenigsten Spielerinnen und Spieler aneignen. Fünf Stunden hätte der durchschnittliche Gameplaytester für die Bezwingung des Berges gebraucht, so der Entwickler Bennett Foddy in der Spielebeschreibung – wer’s kann, erklimmt den Frustgipfel allerdings in etwa drei Minuten, wie zahlreiche YouTube-Speedrunner inzwischen bewiesen haben.

Bennett Foddy, Games-Philosoph

Bennett Foddy, der prominent im Titel seines ersten kommerziellen Spiels auftaucht und sich auch während "Getting Over It" immer wieder aus dem Off zu Wort meldet, um Rückschläge und Fortschritte mal bestärkend, mal philosophisch zu kommentieren, ist ein Spezialist für schwere, aber originelle Spielideen. In seinem Browserspiel "QWOP" aus dem Jahr 2008 ist man mit der Koordination der Beine eines Sprinters durch die vier titelgebenden Tasten beschäftigt, in "GIRP" galt es ebenso, einen Berg zu erklimmen. Zur Partyspielsammlung "Sports Friends" hat er das Minispiel "Super Pole Rider" beigesteuert.

Dass Foddy sich in "Getting Over It" wieder und wieder selbst aus dem Off zu Wort meldet, um den Spielfortschritt zu kommentieren, über seine Gamedesign-Vorbilder zu erzählen oder schlicht laut über die Sinnhaftigkeit der von ihm gestellten Aufgabe nachzudenken, ist kein Zufall: Der promovierte Philosoph Foddy unterrichtete Bioethik in Oxford und Princeton, inzwischen ist er Mitglied der Fakultät des Game Centers der New York University. "Getting Over It with Bennett Foddy" besteht bis auf die zeitgemäße grafische Präsentation eigentlich aus kaum mehr als seiner ultrasimplen Spielmechanik, doch aus genau dieser Reduktion und der Reaktion seiner Spielerinnen und Spieler darauf bezieht das Spiel seine Faszination.

Voraussetzung Masochismus

"Getting Over It with Bennett Foddy" sei ein Spiel, das er "für eine bestimmte Art von Person" gemacht habe, so der Games-Philosoph – "um ihr weh zu tun". Es ist ein Spiel, das mit Blut, Schweiß und Tränen niedergerungen werden will. "Getting Over It" macht keinen leicht konsumierbaren "Spaß", sondern ist schmerzhafter Widerstand, eine Aufgabe, die Ehrgeiz und Frustrationswillen voraussetzt – und nur damit belohnt, eine von vornherein absurde Aufgabe gemeistert zu haben.

Wahrscheinlich ist in Zeiten sinkender spielerischer Herausforderungen und maximaler Zugänglichkeit genau das der Grund für den jetzigen kommerziellen Erfolg von Spielen wie "Dark Souls", aber auch von Phänomenen wie "Flappy Bird". Wer nicht bereit ist, zu leiden, wird keine Freude an diesen Spielen haben – ein wenig Masochismus ist Voraussetzung. Das Hochgefühl, das scheinbar Unmögliche tatsächlich doch noch aus eigener Kraft geschafft zu haben, lässt sich allerdings mit einfacheren Spielen auch kaum erreichen.

Trailer zu "Getting Over It with Bennett Foddy".
Bennett Foddy

Fazit

Eine auf den ersten und auch zweiten Blick bizarre, fast unmöglich scheinende Prüfung zu bestehen, Rückschläge einzustecken, seinen Ehrgeiz und sein Durchhaltevermögen auf die Probe zu stellen – ist so etwas ein "gutes Spiel"? Die Antwort kann sich jede und jeder nur selbst geben. "Getting Over It with Bennett Foddy" ist ein Spiel für eine bestimmte Art von Person; dass ihr damit, wie von vornherein angekündigt, weh getan wird, ist Teil der Faszination schwerer Spiele.

Man mag das Masochismus nennen, oder Zeitverschwendung. Man kann aber darin auch die auf die absurde Spitze getriebene Essenz des Spielens selbst ausmachen. Dass "Getting Over It with Bennett Foddy" bislang schon über eine halbe Million Menschen erreicht hat, ist auf jeden Fall ein schöner Beweis dafür, dass auch Ideen abseits des Mainstreams ein Publikum finden. Möglicherweise müssen Spiele ja gar keinen Spaß machen. Nur langweilig dürfen sie nicht sein. (Rainer Sigl, 21.01.2018)