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Emir Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani, Herrscher über Katar, in der Al-Udeid-Basis, wo tausende US-Truppen stationiert sind. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben gehofft, dass Donald Trump ganz klar gegen Katar Position beziehen würde, sagt Andreas Krieg vom King's College. Aber vor allem das amerikanische Außen- und Verteidigungsministerium in Washington haben sich klar gegen das Embargo ausgesprochen.

Foto: QNA via AP

Seit sechs Monaten haben Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain zusammen mit Ägypten die diplomatischen Verbindungen zu Katar abgebrochen und ihre Grenzen geschlossen. Sie werfen dem ölreichen Staat Finanzierung von Terrororganisationen und zu enge Beziehungen zum schiitischen Iran vor, einem Erzrivalen des sunnitischen Saudi-Arabien. Katar wies die Vorwürfe mehrfach zurück und rief zu einem Dialog auf. Andreas Krieg, Experte am King's College in London, meint im STANDARD-Interview, dass es anfänglich sogar Überlegungen für eine militärische Intervention gegeben habe. An ein baldiges Ende des Embargos glaubt er nicht.

STANDARD: Vor mehr als einem halben Jahr haben mehrere Golfstaaten unter der Führung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate Katar mit Sanktionen belegt, erst kürzlich hat Saudi-Arabien angekündigt, die Landgrenze zwischen den beiden Ländern permanent zu schließen. Wie geht Katar damit um?

Andreas Krieg: Die Landgrenze und zum größten Teil die Wassergrenze und der Luftraum sind seit 5. Juni gesperrt. Der einzige Zugang, den die Katarer zum internationalen Luftraum haben, ist über einen ganz schmalen Korridor über den Iran. Ähnlich ist es auch bei den Wasserwegen, weil die Emirate und Bahrain keine Schiffe durchlassen. Die Katarer haben realisiert, dass sich am Status quo momentan nichts ändern wird, weil beide Seiten in ihren Positionen sehr festgefahren sind. Die Herausforderung ist, dass es ein relativ kleines Land ist, das fast alles importieren muss. Aber man hat entsprechende alternative Wege gefunden: Entweder über den Iran, die Türkei oder den Oman, wo die Katarer derzeit sehr viel investieren, um dort noch alternative Häfen zu bauen. Diese würden den katarischen Logistikunternehmen helfen, Ladungen auf kleinere Schiffe umzuladen, die dann nach Katar weiterfahren. Bis Juni 2017 ist das immer über Dubai gegangen.

In Katar, das bisher eine Halbinsel war, hat man sich gesagt: Wir sind ab jetzt eine Insel und müssen unsere nationale Strategie auch dementsprechend ausrichten, dass wir als Insel überleben müssen und nicht mehr als Halbinsel, weil wir uns auf die Saudis nicht mehr verlassen können und wollen. Der Status quo wird in Katar akzeptiert. Man hat genug Geld, um zu investieren. Die Logistikpreise werden steigen, aber ich glaube, je länger sich das hinzieht, werden die Preise wieder sinken. In den Anfangsmonaten der Sanktionen war es in Katar sehr teuer, weil man Güter, die vorher über den Schiffsweg gekommen sind, einfliegen lassen musste.

STANDARD: In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Konflikt oft als einer zwischen Saudi-Arabien und Katar wahrgenommen. Die Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate – und hier speziell Abu Dhabi – fällt dabei oft unter den Tisch.

Krieg: Saudi-Arabien hatte in dem Konflikt eigentlich immer nur eine Nebenrolle gespielt. Er geht eigentlich auf die Anfänge des Arabischen Frühlings zurück und wird seit 2011 zwischen Abu Dhabi und Doha ausgetragen. Es fing zunächst in Libyen an, wo sowohl die Emirate als auch Katar militärisch involviert waren. Katar unterstützte eine Konfliktpartei, die Emirate den anderen Teil. Das setzte sich dann in anderen Ländern wie zum Beispiel Ägypten fort.

Die Grundlage dieses ganzen Konflikts sind zwei verschiedene Ideologien. Auf der einen Seite Katar: ein liberales Land, wenn es um Politik geht. Sie haben sich auch im Arabischen Frühling für Pluralismus eingesetzt, und wenn man in der arabischen Welt über Pluralismus redet, dann muss man auch den Islamismus erwähnen, weil Islamisten oft die Akteure sind, die in der arabischen Welt in der Opposition sind. Katar hat mit den Oppositionellen während des Arabischen Frühlings zusammengearbeitet – in der Hoffnung, die alten Regime zu stürzen. Die Emirate auf der anderen Seite haben eine Aversion gegenüber nichtstaatlichen Akteuren jeglicher Form und vor allem gegenüber Dissidenten und Oppositionellen. Anders als im Westen oft dargestellt – in Dubai kann man Alkohol trinken und mit dem Bikini am Strand liegen – sind die Vereinigten Arabischen Emirate ein sehr repressives Land: Es gibt keine Medienfreiheit, es gibt keine Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Wenn man zum Beispiel den Human-Rights-Watch-Bericht liest, zeichnet sich darin klar das Bild eines Polizeistaates ab. Die Emirate glauben, dass ein sehr zentralisierter repressiver Staat mehr Stabilität bringt als ein pluralistischer Staat, in dem es mehrere Gruppierungen gibt, die versuchen, einen Konsens aufzubauen.

Seit in Saudi-Arabien der neue Kronprinz Mohammed bin Salman an der Macht ist, hat er realisiert, dass das Land unwahrscheinlich große Probleme hat. Um das Land zu reformieren, gibt es für ihn zwei Modelle: das Modell Katar – das Modell der Harmonie, das versucht, alle Leute an einen Tisch zu bringen. Oder man versucht das Modell der Emirate, die ebenfalls wirtschaftlich erfolgreich sind, nachzuahmen. Letzteres ist sehr repressiv, eine Form von autoritärer Liberalisierung – keine politische Liberalisierung, sondern nur eine auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene. Der saudische Kronprinz hat in den vergangenen Jahren eine sehr intime Beziehung zu Mohammed bin Zayed, dem Kronprinzen von Abu Dhabi, aufgebaut. Diese ganze Ideologie in den Emiraten ist von Mohammed bin Zayed auf Mohammed bin Salman übertragen worden, und der saudische Kronprinz hat das verinnerlicht. Er hat auch eins zu eins die Paranoia der Emirate übernommen, nämlich die Aversion gegen nichtstaatliche Akteure und jede Form von politischem Islam.

STANDARD: Ziel der Sanktionen war es, Katar in die Knie zu zwingen. Das scheint – vor allem aufgrund des Reichtums Katars – gescheitert zu sein. Dass Katar viele Ressourcen hat, wusste man aber schon vor dem Embargo. Warum hat man es dann dennoch durchgezogen – Naivität, Übermut, Fehleinschätzung?

Krieg: Ein bisschen von allem. Es war eine ganz klare strategische Fehleinschätzung aufseiten Mohammed bin Salmans und Mohammed bin Zayeds. Wenn man die Außenpolitik Saudi-Arabiens seit 2015 betrachtet, sieht man, dass immer sehr impulsiv und überengagiert gehandelt wurde – egal ob das unlängst im Libanon war oder man sich in den Jemen-Krieg gestürzt hat. Alles, das Mohammed bin Salman angefasst hat, ist im Endeffekt nach hinten losgegangen oder hat nicht das Ziel erreicht. Eines der Probleme war, dass man vor allem die Position der Vereinigten Staaten unterschätzt hat. Es gibt schon lange eine Beziehung von Mohammed bin Salman und Mohammed Zayed zur Trump-Regierung, und man hatte sich schon 2016 verständigt, eine gemeinsame Position gegenüber Terrorismus zu entwickeln – was natürlich von saudischer Seite etwas heuchlerisch ist, wenn man bedenkt, wie Saudi-Arabien Terrorismus finanziell, aber vor allem auch ideologisch unterstützt. Man hat gehofft, dass Donald Trump ganz klar gegen Katar Position beziehen würde. Aber vor allem Außen- und Verteidigungsministerium in Washington haben sich klar gegen das Embargo ausgesprochen. Außerdem hat man die Resilienz der Katarer unterschätzt. Man hat gedacht, dass sie sehr schnell einknicken würden – auch weil Katar so sehr vom Außenhandel und von offenen Grenzen abhängig war. Man hat nicht gedacht, dass sie so schnell Alternativen für den Import von Baumaterial und Nahrungsmitteln finden würden.

STANDARD: Ist eine Eskalation des Konflikts noch vorstellbar?

Krieg: Auf der Seite der Emirate gab es natürlich Überlegungen und Szenarien, dass man militärisch gegen Katar vorgeht. Ich glaube, das war auch anfänglich – im Mai 2017 – auf dem Tisch. Dagegen haben sich die Katarer in den letzten Jahren auch vorbereitet. Trump hat sich aber diesbezüglich sehr still verhalten; hätte er da sein Okay gegeben, hätten Saudi-Arabien und die Emirate auch eine militärische Aktion in Betracht gezogen. Vor allem das US-Außen- und Verteidigungsministerium waren ganz klar dagegen. Man darf nicht vergessen: Trump wusste Anfang 2017 nicht, dass der amerikanische Stützpunkt der Amerikaner in Katar liegt. Er hat gedacht, er liegt in Saudi-Arabien oder in den Emiraten. Ganz praktisch gesehen kann es keinen Krieg mit Katar geben, solange es dort einen Stützpunkt mit 10.000 amerikanischen Soldaten gibt. Mittlerweile ist die militärische Option auch nicht mehr auf dem Tisch, auch weil die Katarer sehr viele Rüstungsdeals abgeschlossen haben.

STANDARD: Und wie sieht ein möglicher Ausweg aus?

Krieg: Ich glaube nicht, dass es kurzfristig eine Lösung gibt. Selbst wenn es vielleicht durch internationale Mediation oder Verhandlungen zu einer Lösung kommt, bei der man das Embargo zumindest teilweise abschafft, würde es zu keiner Lösung des Konflikts kommen. Die ideologischen Differenzen werden nämlich bleiben. Derzeit können beide Seiten mit dem Status quo leben. Die Kosten dafür sind zwar hoch, aber wenn man überlegt, wie viel Geld diese Staaten generieren können, sind das relativ geringe Kosten. Auch die Katarer haben kein Interesse daran, einen ersten Schritt zu machen, nachdem so viel geschehen ist. In Doha ist man wirklich gekränkt von der Art und Weise, wie das passiert ist. Die Katarer werden einem sagen, dass man es für Generationen nicht vergessen wird, dass das während des Fastenmonats Ramadan passiert ist. Ich glaube nicht, dass es da wirklich zu einer Resolution des Konflikts kommt. (Stefan Binder, 13.1.2018)