Foto: Lukas Hämmerle

Zersprungene Fenster, Löcher im Kamin, die aussehen wie Geister, Knistern und Knacken der Holzböden und mit Graffiti beschmierte Fassaden: Wenn leerstehende Häuser durch Kinderaugen betrachtet werden, kommt Leben in die verlassenen Räume: "Auf dem Schulweg komme ich an einem Geisterhaus vorbei. Schade, dass in diesen Gärten keine Kinder spielen dürfen. Viele schöne Häuser werden leider abgebrochen, und die Erwachsenen bauen dann Blöcke."

Das Fazit der neunjährigen Luzia Bösch teilt ihre Vorarlberger Heimatgemeinde Lustenau. Dort wird seit gut zwei Jahren dem Leerstand mit verschiedensten Projekten begegnet: unter anderem eben durch Besuche der "Geisterhäuser" von Schülerinnen und Schülern. "Wir nutzen den besonderen Blickwinkel und setzen Kinder als Vermittler ein, um ein wichtiges, aber schwieriges Thema der Siedlungsentwicklung aus Fachgremien und Ausschüssen herauszuholen", sagt Architektin Julia Kick, die das Projekt entwickelt hat und begleitet. Ob den Kindern zwischen viel Staub, alten Möbeln und Spinnweben tatsächlich Geister begegnet sind, kann nun in einem Buch nachgelesen werden.

Schülerinnen und Schüler machten sich auf Spurensuche in den "Geisterhäusern".

Seit die Kinder, ausgestattet mit Taschenlampen, Kameras und Skizzenblöcken, durch die Häuser gezogen sind, ist einiges passiert: Das ein oder andere Geisterhaus wird aktuell mit Leben gefüllt. Bernhard Kathrein, der das Lustenauer Bauamt leitet und dort auch für die eigens eingerichtete Leerstand-Servicestelle "Ein guter Rat" zuständig ist, freut sich über erste Erfolge: "Wir haben immer gesagt, dass wir schon mit einer Handvoll reaktivierter Gebäude zufrieden sind. Tatsächlich sind jetzt aber schon mehr als ein Dutzend in Bearbeitung. Die Initiative kommt irrsinnig gut an."

Je nach Objekt werden unterschiedliche Lösungen diskutiert – Renovierung, Umbau, Umnutzung oder Teilung –, je nachdem, was die Eigentümer anspricht. Das Bauamt steht als Ansprechpartner stets zur Verfügung, vermittelt nach einer ersten Begehung des Gebäudes gegebenenfalls an Architekten weiter.

Handlungsbedarf ist in Lustenau durchaus gegeben: Mehr als 70.000 Quadratmeter oder neun Prozent der Wohnnutzfläche der Marktgemeinde stehen laut einer Vorstudie leer. Der Versuch, die Thematik in Zahlen zu fassen, sei schwierig, sagt Kathrein, aber wichtig.

Eine gesellschaftliche Aufgabe

Das Erscheinungsbild des Ortes, aber auch das baukulturelle Erbe – viele der leerstehenden Häuser in Lustenau sind alte Stickereigebäude – und das prognostizierte Bevölkerungswachstum rufen Leerstand, aber auch die Mindernutzung von Raum und Grundstücken auf die Agenda. Freie Flächen innerorts sind rar und werden aufgrund der aktuellen Zinssituation teilweise gehortet. Eine Zersiedelung will man in der Gemeinde aber unbedingt verhindern. "Derzeit wird Leerstand oft noch als Problem des privaten Eigentümers angesehen und nicht als Aufgabe der Gesellschaft. Leerstand ist jedoch ein vielschichtiges, soziales, kulturelles und ökonomisches Problem, denn Grund und Boden sind begrenzt", sagt Kathrein.

Tatsächlich ist die Entwicklung der Kaufpreise häufig ein Grund dafür, weshalb Häuser oder Wohnungen leer bleiben: Eine Wertsteigerung passiert mittlerweile noch, ohne dass vermietet werden müsste. Die Gemeinde versucht deswegen mit Zahlenspielen Eigentümern ihren Leerstand schmackhaft zu machen: Die Nettogrundfläche der leerstehenden Gebäude beträgt laut den Daten der Vorstudie durchschnittlich 35.623 Quadratmeter. Wenn mit einem Mietzins von sieben Euro pro Quadratmeter (Richtpreise 2017 für Vorarlberg laut Hypo Vorarlberg) vermietet werden würde, verzichten die Eigentümer leerstehender Gebäude demnach auf 250.000 Euro Mieteinnahmen pro Jahr.

Zusätzlich errechnete die Gemeinde, wie viele Menschen in den leerstehenden Gebäuden wohnen könnten: Geht man von 43 Quadratmeter pro Person aus (durchschnittliche Wohnfläche pro Person in Vorarlberg laut Statistik Austria), ist demnach Platz für 828 Personen.

Viele Eigentümer würden sich vom heimischen Mietrecht außerdem ungenügend geschützt fühlen, sagt Kathrein. Manchmal gebe es aber auch innerfamiliäre Konflikte oder schlichtweg Kommunikationsprobleme.

Das Haus links wurde 1837 als Wohnhaus und Wirtschaftstrakt erbaut. Rechts sind die Schüler in einer alten Stickerei.

Roman Rabitsch hat sich getraut, er nimmt sich nun des an ihn vererbten Hauses seines Vaters an. "Ganz ehrlich: Ich wollte es abreißen lassen. Es ist relativ alt und in keinem guten Zustand", sagt der Lustenauer. Über Freunde wurde er auf die Servicestelle aufmerksam. Heute steckt er mitten in der Planung, das Haus bleibt stehen und wird revitalisiert. Vor allem über die Beratung und Begleitung ist Rabitsch glücklich. "Einen Umbau planen ist ja nicht wie einkaufen gehen. Man steht vor so vielen Fragezeichen." Ein Abriss hätte Rabitsch etwa 700.000 Euro gekostet, der Umbau werde auf 400.000 Euro geschätzt. In etwa zwei Jahren will Rabitsch mit seiner Familie in das Haus seines Vaters einziehen. Dann werden im Garten auch wieder Kinder spielen.

Foto: Lukas Hämmerle

Bauamtsleiter Kathrein hat ebenfalls Ziele vor Augen: So weitermachen wie bisher und die positiven Erfahrungen in andere Gemeinden tragen. "Ich kann es absolut weiterempfehlen. Wir haben keinen großen Aufwand, und sowohl die Gemeinde als auch die Eigentümer und die Bewohner von Lustenau profitieren." Im Frühjahr starte wieder die Reihe "Ein guter Rat vor Ort", wo Bauherren Interessenten in bereits umgesetzte Projekte laden und über ihre Erfahrungen berichten. So wurde eine 100 Jahre alte Stickereihalle beispielsweise zu sechs Lofts, die mittlerweile vermietet sind. (lhag, 13.1.2018)