Politikwissenschafterin Birgit Sauer sieht in der Diskussion über das Kopftuch eine "Instrumentalisierung des Körpers von Frauen".

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Wien – Dem "Kopftuch als Projektionsfläche" war am Dienstag eine Diskussionsveranstaltung in der Arbeiterkammer Wien gewidmet. Für Politikwissenschafterin Birgit Sauer sind die Debatte darüber sowie Verbote eine neue Form des Ausschlusses bzw. der Nichtzugehörigkeit. Auch Keynote-Speakerin Gabriele Dietze sieht darin eine Vorgangsweise des Westens, ein "Außen" zu definieren.

Das Kopftuch sei gemeinsam mit Migration 2017 ein zentrales Wahlkampfthema gewesen und habe "konservativer populistischer Politik" den Rücken gestärkt, erklärte Ingrid Moritz, Abteilungsleiterin Frauen und Familie in der AK Wien. Unbestritten erfolge das Tragen eines Kopftuchs bei vielen nicht freiwillig, diese Frauen bräuchten Unterstützung, forderte Moritz. Dies müsse aber auch für jene gelten, die es freiwillig tragen wollen. In der Diskussion sei "ungehemmt Hass geschürt worden" und negativer Höhepunkt seien jüngst die Internet-Hassbotschaften gegen das Wiener Neujahrsbaby Asel gewesen, so Moritz. Alle Frauen sollen selbstbestimmt leben können, das sei zentral.

Emotional geführte Debatte

Politikwissenschafterin Sauer erklärte, in der oft heftig emotional geführten Debatte um muslimische Körperverhüllungen sowie Verbote dafür gehe es um neue Formen des Ausschlusses bzw. die Nichtzugehörigkeit zu europäischen Gesellschaften. Die Debatte werde darüber geführt, wer zugehörig sein soll und generell, welche Rechte Staatsangehörige haben. Sie ortet weiters eine Veränderung hin zum Neoliberalismus, bei dem es um Ein- und Ausschluss zu einer Gesellschaft gehe.

Neoliberalismus habe immer auch eine starke Komponente der Re-Nationalisierung und der gezielten sozialen Ungleichheit. "Insgesamt sehe ich in der Diskussion eine Instrumentalisierung des Körpers von Frauen, gleichsam ein Schlachtfeld um Migration und Integration", stellte Sauer fest. Auch würde mit der Debatte oft das Ende von Gleichstellungspolitiken legitimiert, "weil ja unsere Frauen schon so gleichberechtigt sind".

Als Keynote-Speakerin war Kulturwissenschafterin Gabriele Dietze von der Humboldt Universität Berlin geladen, die unter anderem über die gängigen Argumente berichtete: "Das Kopftuch wird als Unterwerfung der muslimischen Frau und als Verzicht der sexuellen Selbstbestimmung interpretiert." Die Freiheit der westlichen Frau werde aber nicht durch die Sichtbarkeit des Kopftuchs mancher eingewanderten Frauen bedroht, die Fixierung auf das Kopftuch verhindere aber, dass Machtdifferenz und Ungleichheit aller Frauen von der Agenda verschwinden.

Kulturelle "Arroganz"

Welches Argument gerade das wichtigste sei, hänge dabei von der politischen Großwetterlage ab, stellte Dietze fest. Die Debatte über das Kopftuch werde immer wieder aufgegriffen. In Österreich gelte nun das Vermummungsverbot. "Das trifft im Moment nur Werbefiguren", – habe sie gehört -, meinte die deutsche Kulturwissenschafterin.

Die kulturelle "Arroganz" des Westens lebe davon, ein "Außen" zu definieren. Zentrales Mittel für die Definition des anderen sei die Sichtbarkeit – das Kopftuch ist damit ein Zeichen der Differenz, stellte Dietze fest. Sexualpolitik werde damit ein wirksames Mittel der Migrationsabwehr.

Dietze sprach auch über den bestehenden Gender Pay Gap – Österreich rangiert hier im Europavergleich am vorletzten Platz vor Estland. Die Forderung nach Gleichstellung nerve aber nicht nur Männer, sondern auch junge Karrierefrauen. Sie würden die Gleichheitsforderung als lästig empfinden, da sie davon ausgehen, die Ungleichheit aus eigener Kompetenz und Kraft überwinden zu können. Auch würden sie Männern mit dieser Forderung "nicht auf die Nerven gehen wollen", meinte die Kulturwissenschafterin. (APA, 16.1.2018)