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Thomas Dreßen zählt zu den besten Abfahrern.

Foto: reuters/balibouse

Kitzbühel – Es war bestimmt kein Urknall, aber doch ein bemerkenswertes Ereignis, als Thomas Dreßen in der Abfahrt von Beaver Creek 2017 als Dritter auf das Podest fuhr und somit für den ersten Stockerlplatz eines Deutschen in einem alpinen Speedbewerb seit 2010 (Stephan Keppler, Super-G) sorgte. Das bis dahin letzte Abfahrtspodium (Max Rauffer) lag gar schon 13 Jahre zurück.

Der 24-Jährige war aus deutscher Sicht schon die Entdeckung des vergangenen Skiwinters, machte nach guten Ergebnissen wie einem sechsten Platz in der Abfahrt in Kvitfjell nun den nächsten Schritt und bestätigte mit Platz fünf in Wengen sein Talent. "Dass ich konstant vorn dabei bin, überrascht mich ein bissl, die Konstanz an sich nicht", sagt der Bayer, der in seiner Kindheit einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen musste.

Verunglückter Vater

Im Herbst 2005 war er gerade elf Jahre alt und Schüler in der Tiroler Skihauptschule Neustift ("Von Missbrauchsfällen habe ich nichts mitgekriegt"), als sein Vater in Sölden ums Leben kam. Damals verlor ein Hubschrauber über einer Seilbahn einen 750 Kilo schweren Betonbehälter. Neun Menschen starben, darunter auch sein 43-jähriger Vater Dirk. "Im Vergleich dazu sind Weltcuprennen wie ein Kindergeburtstag", sagt der Wahlösterreicher. "Das Wichtigste ist, dass alle, meine Familie, meine Freunde und ich, gesund sind."

Auf Dreßens Helm prangt links und rechts die Nummer 44. Die Ziffern sollen an seinen Vater erinnern, stehen für die Initialen, zweimal für den vierten Buchstaben im Alphabet. "Mein Vater und ich waren Formel-1-Fans, und darum habe ich mir gedacht, dass eine Nummer am Helm cool ist. Mir ist wichtig, dass an ihn erinnert wird, er dabei ist." Dreßen denkt von Tag zu Tag. "Ich weiß aufgrund meiner Erlebnisse, wie schnell etwas passieren kann und dass man manches nicht in der Hand hat. Läuft es schlecht, denke ich nicht lange darüber nach, damit macht man sich kaputt."

Der von Sölden gesponserte Deutsche fährt erst seine dritte Weltcupsaison und beeindruckt nicht nur Mathias Berthold, seit 2014 Cheftrainer des deutschen Herrenteams. "Er ist sehr gut unterwegs." Der Vorarlberger ließ auch nach dem Sieg von Josef Ferstl im Super-G von Gröden keine Euphorie im Team aufkommen. "Wir waren auch nie am Boden, wenn es nicht nach Wunsch gelaufen ist." Man sei sich bewusst, dass ein geplanter Aufstieg nur in Wellenform verlaufen könne.

Strukturell Luft nach oben

Die Erfolge seien das Resultat konsequenter Arbeit, man sei aber noch nicht dort, wo man hinwolle. "Wir haben nicht den Support von den Skifirmen wie andere. Wir stehen mit drei Trainern auf der Strecke, andere mit zwölf. Und sie helfen auch beim Präparieren der Skier, weil 60 Paar für die Serviceleute praktisch nicht machbar sind."

Um den fehlenden Druck, wie er zum Beispiel im ÖSV-Lager zu spüren ist, zu kompensieren, hat man sich darauf verständigt, sehr kritisch miteinander umzugehen. "Wenn etwas nicht passt, dann kriegen sie von uns einiges zu hören, aber bei aller Kritik bleiben wir sachlich, es geht nie ins Persönliche." Bevor Berthold in Deutschland übernahm, hat man sich wegen chronischer Erfolglosigkeit sogar Gedanken über eine Auflösung des Speedteams gemacht. Gemeinsam mit dem von einigen Nationen begehrten Coach Christian Schwaiger hat man den Talenten langsam auf die Sprünge geholfen. "Ich habe Potenzial gesehen, und so haben wir uns vorgenommen, durchzustarten. Wir haben uns sukzessive verbessert, ohne im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen."

Dreßen ist erst das zweite Mal in Kitzbühel. "Auf der Streif muss man schon seine sieben Zwetschgen beisammenhaben." Man müsse sich Schritt für Schritt herantasten. "Ich stehe am Start und freue mich richtig, Kitzbühel ist eine große Herausforderung." Die größte Gaudi habe er, wenn ihm nichts wehtut. "Wenn dann noch ein gutes Ergebnis herausschaut, dann ist es umso geiler. Wenn es einmal nicht so läuft, dann geht die Welt auch nicht unter." Denn das nächste Rennen kommt bestimmt. (Thomas Hirner, 16.1. 2018)