Geben sich zurückhaltend: ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel (links) und Generalsekretär Klaus Leistner.

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Peter Schröcksnadel ist um Distanz bemüht. Auf Anfrage ließ der ÖSV-Präsident ausrichten, er sei zu der Zeit "noch nicht im Skiverband aktiv gewesen", könne "dazu nichts sagen". Die Geschichte sei "nie ein Thema gewesen", er habe Toni Sailer erst "viele Jahre später kennengelernt" und außerdem "nicht oft getroffen".

Zu der Zeit? Damit ist 1974 gemeint. Die Geschichte? In ihrem Zentrum steht, dass Österreichs Jahrhundertsportler Sailer im Vorfeld eines Skirennens in Zakopane eine 28-jährige Polin verletzt haben soll, die ihn und zwei Jugoslawen aufs Zimmer begleitet hatte. Der erste Vorwurf lautete: "Notzucht". Zum Vorfall und seiner Planierung fand sich, wie der STANDARD berichtete, ein bisher unbekannter Akt des Justizministeriums, der in einer Recherchegemeinschaft mit Dossier und Ö1 ausgewertet wurde.

Durchaus verständlich

Der Akt zeigt erstmals, wie die Regierung Bruno Kreisky intervenierte, um den Star und damaligen ÖSV-Direktor (Alpin-Chef) vor den Folgen der beschriebenen Gewalttätigkeit zu bewahren. Darüber hinaus dokumentiert er die – durchaus verständliche – Dankbarkeit des ÖSV für die Hilfe der Diplomaten und Beamten.

Schröcksnadel ist seit 1978 im Verband tätig, seit 1990 steht er ihm vor. Sailer war von 1986 bis 2006, also bis drei Jahre vor seinem Tod, Rennleiter der Hahnenkammrennen in Kitzbühel. Laut Schröcksnadel ist man einander auch in dieser Zeit "nicht oft" über den Weg gelaufen.

1974 war Kurt Schlick ÖSV-Präsident, nicht zuletzt er könnte gemeint gewesen sein, als die österreichische Botschaft am 11. März 1974 das Außenministerium in Wien adressierte: "Es darf gemeldet werden, dass die Vertreter des Österreichischen Skiverbandes für die Hilfe, insbesondere für die persönliche Intervention des Herrn Bundesministers, mehrfach und herzlich gedankt haben" (Faksimile).

Außenminister war der spätere Bundespräsident Rudolf Kirchschläger. In die im Akt dokumentierte Korrespondenz sind er und Justizminister Christian Broda persönlich ebenso wenig miteingebunden wie Bundeskanzler Kreisky. Diesem hatte der Skifabrikant Josef Fischer am 24. April 1974 geschrieben: "Ich glaube, dass es sowohl für den Österreichischen Skiverband als auch für die Skination Österreich sehr wichtig wäre, wenn diese Angelegenheit in irgendeiner Form bereinigt werden könnte, und darf Sie nochmals bitten, sich dieser Sache anzunehmen."

Beamten und Diplomaten da wie dort machten ihren Job. Klar ist, dass Kreisky, der Polens Ministerpräsidenten Piotr Jaroszewicz Anfang Oktober 1974 wie berichtet zu Wirtschaftsgesprächen in Wien empfing, ebenso wenig wie sein Gast ein Interesse daran haben konnte, dass ein österreichisches Sportidol in Polen angeklagt wird.

Bereits Ende Oktober erklärte ÖSV-Präsident Schlick im Kurier, das Verfahren gegen Sailer in Polen sei eingestellt – obwohl die Staatsanwaltschaft in Polen diesen Beschluss erst im Dezember fassen und das Bezirksgericht Zakopane den Fall erst am 9. Juli 1975 "mit Rücksicht auf Mangel an gesellschaftlichem Interesse" zu den Akten legen sollte. Auch in Österreich hatten sich Ermittlungen gegen Sailer damit jedenfalls erledigt.

Leistner erinnert sich

Janina S., die bei den Recherchen in Polen nicht ausfindig gemacht werden konnte, wäre laut Gericht das Recht auf eine "Privatanklage" zugestanden. Von diesem Recht hat die Polin keinen Gebrauch gemacht.

"Das Ganze war im Grund keine ÖSV-Geschichte, sondern nur eine Geschichte des Toni Sailer." Das sagt ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner, der also wie Präsident Schröcksnadel auf Distanz zu Sailer geht, dem Standard. Im Gegensatz zu Schröcksnadel war Leistner 1974 schon für den Verband tätig, bereits 1971 war er zum Generalsekretär des frisch gegründeten Austria Ski Pool bestellt worden. Im März 1974 war Leistner "nicht in Polen. Ich war ja damals nicht für den Sport zuständig", sagt er. "Ich hab mich mit Ausrüstungsfragen und Finanzierungen zu beschäftigen gehabt."

Für Leistner war "der Toni als Person ein Ehrenmann". Der ÖSV-Generalsekretär hat "Notizen gefunden", wonach dem ÖSV-Präsidenten Schlick von Sailer versichert worden sei, "dass nichts vorgefallen wäre, was strafbar wäre". Am Ende, sagt Leistner, der Jurist ist, sei "das Fehlen eines strafbaren Tatbestands gegeben" gewesen. "Wäre das nicht so gewesen, hätte der ÖSV eine Disziplinarmaßnahme gesetzt", vor allem aber hätte "eine polizeiliche Erhebung zu einem Strafverfahren geführt". Laut Leistner waren "weder Pool noch ÖSV mit der Causa befasst", die "sicher einige Fragezeichen aufgeworfen" habe.

Leistner betont noch einmal, "die Sache", die den ÖSV-Direktor Sailer betraf, sei "keine ÖSV-Geschichte gewesen", außerdem liege sie fast 44 Jahre zurück. Die Erinnerung ist aber nicht allein deshalb verwässert. Im Archiv des ÖSV in Innsbruck habe man nämlich durchaus "alte Akten gehabt", die auch Sailer betroffen haben könnten. Leistner: "Wir haben aber leider vor einem Jahr durch einen Wasserrohrbruch einen Teil unseres Archivs verloren, und da dürfte das auch dabei gewesen sein." (17.1.2018)