Früher selbst Betreuerin, heute Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser: Andrea Brem verspricht, auch in Zukunft "laut und lästig" zu sein. "Ein Backlash hinsichtlich scheinbar bereits erkämpfter Rechte für Frauen ist momentan wieder spürbar."

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Kann man überhaupt von Feiern sprechen, wenn es um Drohungen, Gewalt, Verfolgung und Leid geht? Sandra Frauenberger (SPÖ), Stadträtin für Frauen und Soziales, stellt die Frage selbst in den Raum, um sie gleich darauf zu bejahen: "Weil viele Frauen durch die wichtige Arbeit von Opfern zu Heldinnen gemacht wurden." In denselben Räumlichkeiten, in denen 1978 alles begann, wurde am Donnerstag Bilanz gezogen und eine Vorschau auf die Feierlichkeiten präsentiert.

Die Geschichte als Ausstellung

Das Highlight dabei: Ab 26. April zeigt das Volkskundemuseum Wien mit "Am Anfang war ich sehr verliebt ..." eine passende Ausstellung. Ziel des mit dem Verein der Wiener Frauenhäuser erarbeiteten Ausstellungsprojekts sei es, die Wahrnehmung und Sensibilisierung für das Thema "Gewalt gegen Frauen" zu verstärken und die professionelle und gesellschaftspolitische Arbeit der Frauenhäuser einem breiten Publikum vorzustellen, sagt der Direktor des Museums, Matthias Beitl. Die Ausstellung zeigt sowohl die Entstehung und Geschichte der Frauenhäuser als auch die Arbeit und persönlichen Geschichten gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder. Natürlich komme dabei auch der gesellschaftspolitische Kontext nicht zu kurz.

Gegen den Backlash

Die aktuelle politische Situation wird während der Pressekonferenz mehrmals angesprochen – dass die Frauenhäuser mit einem unbefristeten Vertrag von der Stadt Wien beinahe zu 100 Prozent abgesichert sind, sei wichtiger denn je, sagt Frauenberger. Mit Blick auf die Pläne der aktuellen Regierung kämpfe man auch weiterhin gegen Sozialabbau, weil man aus den 40 Jahren wisse, dass finanzielle Absicherung für von Gewalt betroffene Frauen enorm wichtig sei. "Und wenn es jetzt um einen Familienbonus geht, von dem Alleinerzieherinnen kaum etwas haben, dann werden wir als Frauenhäuser laut sein. Noch lauter als sonst", sagt die SP-Stadträtin.

Das sieht auch Geschäftsführerin Andrea Brem so. Denn: "Ein Backlash hinsichtlich scheinbar bereits erkämpfter Rechte für Frauen ist momentan wieder spürbar." Vor allem in puncto gemeinsame Obsorge käme es für von Gewalt betroffene Frauen häufig zu Nachteilen: "Das ist teilweise eine Katastrophe. Die letzte Strafrechtsreform hat die Situation noch verschlechtert, die Verfahren ziehen sich teilweise extrem in die Länge." Viele Frauen würden deswegen monatelang ihre Kinder nicht sehen können – wenn sie beispielsweise akut aus dem Heim fliehen mussten und keine Zeit war, das Kind mitzunehmen.

Sie habe, so Brem, außerdem das Gefühl, dass man sich in den Gerichten mittlerweile schon an die viele Gewalt gewöhnt habe. "Gerade bei sexueller Gewalt in der Ehe gibt es so gut wie keine Verurteilungen. Hier würde es schon helfen, wenn es zumindest zu einer Vernahme bei der Staatsanwaltschaft kommt." Es gelte deswegen die Devise: Nicht ausruhen, lästig bleiben – auch etwa bei der Zusammenarbeit mit der Wiener Polizei, die grundsätzlich gut laufe. "In letzter Zeit ist aber kein Budget mehr da für gemeinsame Schulungen, die für die Zusammenarbeit essenziell waren."

Wie viele Frauen betreut wurden

Vonseiten der Frauenhäuser kam es vor allem im letzten Jahrzehnt zu einem enormen Ausbau der Kontakte mit Frauen. Martina Ludwig-Faymann, SPÖ-Gemeinderätin und seit mehr als 20 Jahren Vorsitzende der Wiener Frauenhäuser, liefert diesbezüglich eine Bilanz: "Während 1997, also zur Halbzeit der Frauenhäuser, 2243 Kontakte mit Klienten stattfanden, waren es 2017 insgesamt 16.725 – das ist eine Steigerung von 745 Prozent."

Das sei natürlich einerseits dem Mail-Kontakt geschuldet, der mittlerweile fester Bestandteil der Beratungsarbeit sei. Allerdings würden auch die Zahlen der betreuten Frauen für eine Intensivierung der Arbeit sprechen. Letztes Jahr wurden 624 Frauen und 640 Kinder betreut. Vor 20 Jahren waren es 390 Frauen und 419 Kinder. Über alle 40 Jahre verteilt wurden 17.371 Frauen und 17.071 Kinder erreicht – 36,5 Prozent davon im letzten Jahrzehnt. Einen besonderen Dank gelte es deswegen den 100 Mitarbeitern auszusprechen, die im 24-Stunden-Betrieb für gute Betreuung sorgen würden, ergänzt Ludwig-Faymann.

Durchschnittlich gehen fünf Notrufe pro Tag ein – "und das Wichtigste dabei ist: Wir nehmen immer auf", sagt Brem, "auch wenn die Platzsituation manchmal nicht ganz einfach ist." Vier große Häuser gibt es heute in Wien, Platz ist prinzipiell für 175 Frauen und ihre Kinder. Außerdem stehen mittlerweile auch 54 Übergangswohnungen zur Verfügung, wo Frauen auf dem Weg zurück noch Betreuung in Anspruch nehmen können, und im zwölften Bezirk gibt es eine ambulante Beratungsstelle.

Die meisten Frauen kamen 2017 über Frauenberatungseinrichtungen und die Interventionsstelle zu den Wiener Frauenhäusern (24 Prozent). 13 Prozent wurden unmittelbar von der Polizei an die Frauenhäuser verwiesen und acht Prozent vom Jugendamt. 75 Prozent kamen zum ersten Mal, ein Viertel der Frauen kehrte wieder zum Gewalttäter zurück.

Mehr Sicherheit und Forderungen für die Zukunft

Im Laufe der Zeit habe sich vor allem beim Thema Sicherheit einiges getan, sagt Ludwig-Faymann: "In den letzten Jahren hat es keine gefährlichen Situationen in den Häusern gegeben. Das war in den Anfängen nicht immer so."

Dass die Frauenhäuser sich mit ihren Kampagnen und Forderungen "am Puls der Zeit" befänden, würde nicht zuletzt auch die #MeToo-Bewegung unterstreichen, sagte Frauenberger. "Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, dass Frauen zusammenrücken und untragbares Verhalten von Männern sichtbar machen." Die Frauenhäuser seien zwar ein Produkt der 1970er, hätten es aber immer wieder geschafft, die Gewaltschutzpolitik zu prägen – viele neue Gesetze seien entstanden. Auch hier gibt es offene Punkte für die Zukunft: Geschäftsführerin Andrea Brem fordert, dass psychologische Gewalt zum Strafdelikt werden soll. (lhag, 18.1.2018)