Kingdom Come - Deliverance
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Es ist ein wenig überraschend, dass dieser Artikel so hohe Wellen geschlagen hat: Jan Heinemanns Recherche über fragwürdige Äußerungen des "Kingdom Come: Deliverance"-Entwicklers Daniel Vávra hat eigentlich nichts ans Licht gebracht, was nicht schon allgemein bekannt und öffentlich gewesen wäre. Der Tscheche Vávra hat sich seit dem Aufkommen der GamerGate-Kontroverse vor vier Jahren wiederholt auf Twitter und in Interviews zu Wort gemeldet und seine Ansichten öffentlich vorgetragen – auf Kotaku, aber auch auf GamerGate wohlgesonnenen Portalen wie Techraptor und The Escapist. Und auf Breitbart, der wohlbekannten Rechtsaußen-Publikation, der bis vor kurzem Steve Bannon vorstand.

Auch dass er bei einem Auftritt auf der Gamescom 2017 mit einem Shirt der Metal-Band Burzum posierte, deren Gründer, der norwegische Neonazi und verurteilte Mörder Varg Vikernes, eine Symbol- und Kultfigur des neonazistischen Flügels des Black Metal, des "National Socialist Black Metal" ist, wurde als nicht gerade subtiler Hinweis auf die ideologische Ausrichtung Vávras gedeutet, auf die auch der GameStandard erst vor kurzem hingewiesen hat.

No politics, please!

Die diese Fakten wiedergebende und penibel mit Quellen gespickte Recherche Heinemanns versammelte lediglich, was öffentlich zugänglich und bekannt ist – den allermeisten Spielerinnen und Spielern jedoch zuvor nicht. Und das, obwohl "Kingdom Come: Deliverance" eines der am heißesten erwarteten Rollenspiele des Jahres sein dürfte, das nicht nur in Fachpublikationen durch die vier Jahre seiner Entstehung mit überaus umfangreicher, teils hymnischer Vorabberichterstattung bedacht wurde.

Jene Vorfreude war wohl auch der Grund, warum bislang in den meisten Publikationen nur wenig über Vávras freimütige Bekenntnisse zu rechtem Gedankengut publiziert wurde: Politik kommt beim Publikum nicht gut an, das in Spielen nicht zuletzt Eskapismus von der realen, komplizierten Welt sucht. Überdies war die angebliche ideologische Unterwanderung der Spielepresse (Stichwort "Kulturmarxismus") nicht nur eines der Kernthemen von GamerGate, sondern in Folge auch ein gern wiederholtes Schlagwort neurechter Medienschelte. So gesehen kein Wunder, dass viele Fachmedien eher vor der heiklen Materie die Augen verschlossen und ihrer sich gern hypen lassenden Leserschaft nicht den Spaß verderben wollten. Nach wie vor gilt die stets bereite Ausrede "Es ist nur ein Spiel", wenn lästige Diskussionen den Spaß am digitalen Zeitvertreib zu trüben drohen Und überhaupt: Das Spiel sei unabhängig vom Macher zu bewerten.

Der Mythos vom "weißen Mittelalter"

Was "Kingdom Come: Deliverance" verspricht, lässt diese Trennung von Schöpfer und Werk allerdings kaum zu. Seit Beginn der Kickstarterkampagne waren "Realismus" und "Authentizität" die großen. oft betonten Alleinstellungsmerkmale des tschechischen Rollenspiels. Historische "Genauigkeit" und die Zusammenarbeit mit Geschichtswissenschaftlern sollte garantieren, dass "Kingdom Come" eben kein x-beliebiges Fantasy-Rollenspiel sein sollte, sondern ein "realistisches" Bild des böhmischen Mittelalters zeichnen würde – bis hinab zu den Kettengliedern der Ritterrüstung. "Kingdom Come", so das Versprechen, zeige das Mittelalter, "wie es wirklich war".

Dass dieses "realistische" europäische Mittelalter allerdings ausschließlich von weißen Menschen bevölkert sein sollte, ließ schon 2015 einige Kritiker hellhörig werden. "Nicht-weiße" Menschen hätte es in Nord-/Mitteleuropa zu dieser Epoche einfach nicht gegeben, so seine eindeutige Aussage in einer Twitterdiskussion. Die Vehemenz, mit der Vávra in zahlreichen Wortspenden sein "weißes Mittelalter" verteidigte, lässt sich aber trotz gegenteiliger Beteuerungen mit historischem Realismus nur bedingt erklären.

Europa ohne Multikulti – ein rechter Traum

Eine der umfassendsten – und differenziertesten – Widerlegungen dieses Mythos einer Vergangenheit ohne "Multikulturalismus" ist dabei zweifelsohne die inzwischen 40-teilige Essayserie des wissenschaftlichen Mediävisten-Blogs The Public Medievalist, in der nicht nur der These vom rein "weißen Mittelalter" mit Belegen widersprochen wird, sondern auch die neuen (und alten) Wurzeln dieses problematischen Mythos offengelegt werden: Die neofaschistische Silicon-Valley-Philosophie des "Dark Enlightenment", die weit in die moderne Alt-right-Bewegung ausstrahlt, ist der aktuelle Nährboden einer neurechten Mittelalterbegeisterung, die allerdings zuvor auch schon Nationalisten des 19. Jahrhunderts und in Folge die NSDAP kultivierten.

Somit ging es in der Diskussion um "Kingdom Come: Deliverance" nicht primär um die Frage, ob auf den 16 Quadratkilometern Böhmens, die im Spiel abgebildet werden, wohl "realistischerweise" Nicht-Weiße anzutreffen gewesen wären, sondern um eine – durch Vávras freiwillige Wortspenden ihm nahe erscheinende – Ideologie. Das "weiße Mittelalter", jene erstrebenswerte Vergangenheit, in der die einzelnen Völker oder Rassen ohne Durchmischung in den Grenzen ihrer Ethnostaaten lebten, ist eine politisch aufgeladene Fantasie, der der Massenmörder Anders Breivik ebenso huldigt wie die Identitären Bewegungen, die sich gern als "Retter des Abendlandes" stilisieren und der "Kreuzritter"-Ikonografie bedienen.

"Keep your politics out of my games"

Dass "Kingdom Come: Deliverance" diese rechte historische Utopie – ob in voller Absicht oder zufällig – abbildet, ist das eine; in seinem Spiel, so kann man argumentieren, darf schließlich jeder Entwickler zeigen, was er möchte. Dass dies mit dem Versprechen der absoluten historischen "Authentizität" geschieht, ist allerdings jener Punkt, an dem aus Fiktion Propaganda wird und die Ideologie durch die Hintertür hereinkommt.

Oh Ironie: Einer der Schlachtrufe all jener, die sich im Zuge von GamerGate, dem sich Vávra verbunden gezeigt hat, überall in Spielen und Fachpresse von linker politischer Propaganda umgeben wähnten, war ja bekanntlich "Keep your politics out of my games"."Kingdom Come: Deliverance" allerdings würde, im Licht der polemischen Ansagen Vávras betrachtet, die fast fotorealistische, detaillierte und interaktive Rollenspielversion einer neurechten, ideologisch höchst aufgeladenen Mittelaltervision sein.

Besonders unverständlich erscheint übrigens Vávras wiederholte und dokumentierte trotzige Leugnung der bloßen Existenz nicht-weißer Individuen in der dargestellten Epoche, wenn man sie den von einem anderen Mitarbeiter des Studios bereits 2014 (!) geäußerten Forenkommentar zur Anwesenheit von "Ausländern" in "Kingdom Come: Deliverance" gegenüberstellt: In dem ist vom möglichen Auftauchen von Juden, Arabern, Romani oder Türken im Spiel die Rede. Sogar die historische Existenz von Schwarzen oder Asiaten aus Fernost in Prag wird eingeräumt; dort spiele die Haupthandlung aber nicht. Warum sich Vávra später in seiner Verteidigung seines Spiels nicht auf diese Aussagen berufen hat, bleibt schleierhaft.

Vávra entschuldigt sich für "Missverständnisse"

Die ihm in den letzten Tagen massiv unterstellte Nähe zu neurechten Ideologien zwang nun Daniel Vávra und Executive Producer Martin Klima zu umfangreichen Stellungnahmen für die deutsche Gamestar. "In der Vergangenheit habe ich Dinge schlecht kommuniziert oder nicht sorgfältig genug über meine Äußerungen nachgedacht", so der zerknirschte Vávra darin. "Ich entschuldige mich für meinen Mangel an Sorgfalt und meine Gedankenlosigkeit in meiner persönlichen Kommunikation, der in der Vergangenheit zu Missverständnissen geführt hat. Sollte ich damit Gefühle verletzt oder den Eindruck erweckt haben, eine wie auch immer geartete Ideologie zu propagieren, bitte ich dafür um Verzeihung." Er habe eine antifaschistische Grundhaltung – sein Eintreten für GamerGate sei dem Wunsch nach "Redefreiheit und die Freiheit der Meinung und Gedanken" geschuldet gewesen, und den Erfahrungen von Zensur unter der kommunistischen Herrschaft in seiner Heimat. Und auch das Tragen des Burzum-T-Shirts habe keinen politischen Hintergrund gehabt: "Das war dumm."

Executive Producer Martin Klima sekundiert: "Daniel ist immer schnell mit Worten, manchmal zu schnell und ich weiß, manchmal wünscht er sich selbst, er würde über Dinge mehr nachdenken, bevor er sie ausspricht. Er scheut nie davor zurück, seine Ansichten zu kommunizieren, egal, wie unpopulär diese sein mögen." Natürlich solle "Kingdom Come: Deliverance" kein Spiel über "blonde Super-Arier" werden. " Im Spiel gibt es sehr wohl Personen verschiedener ethnischer Hintergründe, so treten neben Menschen aus der heutigen Tschechischen Republik, Deutschlands, Ungarns und jüdischer Abstammung auch die Kumanen, ein nomadisch lebendes Volk aus den Steppen Asiens innerhalb der Handlung auf."

Warhorse Studios

Viel Lärm um Nichts?

Abgesehen davon, dass ein Studio so kurz vor dem Release eines großen Projekts um PR-Schadensbegrenzung bemüht sein muss, sind diese Richtigstellungen ebenso erfreulich wie nötig. Nötig deshalb, weil durch die Vielzahl der Aussagen, Tweets, Interviews und sonstige Signale Vávras die Interpretation nahe liegen musste, "Kingdom Come: Deliverance" befördere unter der Behauptung des "Realismus" eine rechtsextreme Fantasie. Die Optik, die durch diese Signale entstanden war, war nun einmal tatsächlich kaum mehr zweideutig zu nennen.

Also viel Lärm um nichts? Im Gegenteil: Wer sich wie Vávra positioniert, oder, in der wohlwollendsten Auslegung, sich einfach wiederholt missverständlich äußert, muss damit rechnen, dafür beurteilt zu werden, und das umfasst auch das Werk, das nicht unabhängig davon "unpolitisch" sein kann. Dass sich Kreative wie Daniel Vávra nicht nur anhand ihrer Werke, sondern auch anhand ihrer Aussagen und Taten messen lassen müssen, ist keine radikale Forderung einer tugendterroristischen "Jagdgesellschaft", sondern schlicht die Konsequenz freimütig zur Schau gestellter Ideologie. Kein Werk entsteht unabhängig von seinem Schöpfer, dessen Ansichten, Meinungen und politischer Überzeugung – auch und besonders dann nicht, wenn es behauptet, "die Realität" zeigen zu wollen.

Die zerknirschte Entschuldigung Vávras und Distanzierung von der ihm vorgeworfenen Ideologie verhindert nun, dass "Kingdom Come: Deliverance" von jenen vereinnahmt wird, die tatsächlich dieser Ideologie anhängen. Dass die durch den Artikel Heinemanns ausgelöste Diskussion also nun geführt wurde, ist aber noch aus zwei weiteren Gründen erfreulich: Zum einen, weil Vávra, mit seinen früheren eindeutig zweideutigen Signalen und Provokationen konfrontiert, sich dazu durchringen konnte, sich davon doch noch ausdrücklich zu distanzieren; und zum anderen, weil dadurch auch die Vorfreude auf ein heiß erwartetes Spiel dadurch nicht mehr getrübt wird. (Rainer Sigl, 19.01.2018)