Frau Bock im STANDARD-Interview, Dezember 2012

Foto: Regine Hendrich

Sie stand für ein "anderes" Österreich: eines, das Schutzsuchenden entgegenkommt, das ohne Misstrauen wegen "Asylmissbrauchs" und anderer angeblicher Risiken hilft: Ute Bock setzte sich fast bedingungslos für Flüchtlinge und Migranten ein.

Bei Ute Bock fanden Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf, Bildung und Beratung.
ORF

Tausende, die sonst als Obdachlose auf der Straße gelandet wären, fing sie in in ihren Wohnprojekten auf. Dabei setzte sie sich über politische, juristische und finanzielle Widerstände hinweg: in einem kraftraubenden 24-Stunden-Engagement, das wohl jede und jeden anderen binnen kurzem in den Burnout getrieben hätte. Nach einem Schlaganfall im Dezember 2013 war sie gezwungen, kürzerzutreten.

Im Kreise ihrer Schützlinge gestorben

"In tiefster Betroffenheit müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass uns Frau Bock heute verlassen hat. Nach kurzer schwerer Krankheit ist sie heute um 4.40 Uhr im Kreise ihrer Schützlinge im Ute-Bock-Haus verstorben", gab Katja Teichert, die Geschäftsführerin des Flüchtlingsprojekts Ute Bock, per Aussendung bekannt.

Ex-Bundespräsident Heinz Fischer gratulierte Ute Bock im Juni 2016 zum 74. Geburtstag.
Foto: APA/BUNDESHEER/CARINA KARLOVITS

"Bis zur letzten Sekunde drehte sich ihr ganzes Denken und Handeln um das Wohlergehen geflüchteter Menschen. Der Erfüllung ihres größten Wunsches, eines Tages überflüssig zu werden, sind wir gerade in Zeiten wie diesen ferner denn je. Tugenden wie Zivilcourage, Solidarität und Menschlichkeit hat uns Frau Bock zeit ihres Lebens gelehrt. Ohne viele Worte hat sie einfach gehandelt, sich selbst hat sie dabei nie geschont", heißt es in dem Schreiben weiter.

Häme und Hass von FPÖ und anderen Rechten

Als Helferin war Ute Bock höchst authentisch. Darin liegt wohl der Grund, dass die ausgebildete Erzieherin stark polarisierte, dass sie Häme und Hass von FPÖ sowie anderen Rechtspopulisten und Rechten auf sich zog: Die Frau, die 2012 von Bundespräsident Heinz Fischer das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen bekam, war eine moralische Instanz.

Geboren wurde Bock am 27. Juni 1942 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Linz. Ihrer Biografin Cornelia Krebs schilderte sie die Atmosphäre in ihrer Familie als wenig empathisch. Ihr Vater, der Sympathien für die Nationalsozialisten gehabt habe, sei seelisch ein "grausamer, selbstherrlicher Mensch" gewesen.

Erzieherin in Biedermannsdorf

Nach der Matura ließ sich Bock bei der Stadt Wien zur Erzieherin ausbilden; ihr Vater riet ihr zu einem abgesicherten Beruf. Sie wurde von der zuständigen MA 11 ins Heim für Sonderschüler im niederösterreichischen Biedermannsdorf geschickt. Die Buben dort, so erzählte sie, seien durch die "tristen Verhältnisse", aus denen sie stammten, zu Sonderschülern gemacht worden. Dumm seien sie keineswegs gewesen.

1969 wechselte die damals 27-Jährige, die zeit ihres Lebens unverheiratet blieb, als "Heimmutter" in das Gesellenheim der Stadt Wien in der Favoritner Zohmanngasse: in dasselbe Haus, in dem sie auch ihre letzten Lebensjahre verbringen sollte. Dass sie, den damals üblichen Erziehungsmethoden entsprechend, den Zohmanngassen-Zöglingen zuweilen Ohrfeigen verpasste, war in späteren Jahren für Polemik gut: Bock wurde als Prüglerin diskreditiert.

Heimleiterin in der Zohmanngasse

Mit zunehmender Einwanderung nach Österreich in den 1990er-Jahren strandeten im Zohmanngassenheim immer mehr unbegleitete ausländische Jugendliche: erst Flüchtlinge aus den Kriegen in Ex-Jugoslawien, dann auch aus Afrika. Letztere standen während ihres Asylverfahrens oft ohne jede staatliche Unterstützung da. Bock, 1976 zur Heimleiterin avanciert, versuchte, ihnen Deutschkurse und Jobs zu vermitteln – und musste erkennen, dass sie auf schier unüberwindliche Barrieren stieß. Aus dieser Zeit stammte ihr ausgeprägtes asylpolitisches Engagement.

Im Herbst 1999 stürmten Polizisten das Gesellenheim. Dreißig afrikanische Jugendliche wurden wegen Verdachts des Drogenhandels festgenommen: eine Razzia im Zuge der später vielkritisierten "Operation Spring". Darüber, dass man auch gegen Bock ermittelte, wurde in der "Kronen Zeitung" und anderen Boulevardmedien breit berichtet – darüber, dass die Anklage gegen sie in der Folge fallengelassen wurde, nur am Rande.

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Eine glückliche Ute Bock vor dem Ute-Bock-Flüchtlingshaus im Juni 2012.
Foto: Ronald Zak/dapd

"Operation Spring" als Wendepunkt

Für die Sozialarbeiterin markierte diese Razzia einen Wendepunkt: Davor habe sie "gedacht, die Menschen seien grundsätzlich anständig. Danach war ich mir ganz und gar nicht mehr sicher", sagte sie.

Dementsprechend aufseiten von Asylwerbern und Flüchtlingen stehend, startete Bock denn auch ihr ehrenamtliches Engagement nach ihrer Pensionierung im Jahr 2000. 2002 gründete sie mit Michael Havel den "Verein Ute Bock – Wohn-und Integrationsprojekt". Der Immobilienunternehmer Hans Jörg Ulreich stellte ihr Übergangswohnungen zur Verfügung, darunter, ab 2005, ihren ersten Vereinssitz in Wien-Leopoldstadt.

Der Verein "Flüchtlingsprojekt Ute Bock" will seiner Gründerin mit einem Lichtermeer am Heldenplatz gedenken.

Dort initiierte sie ihren Post- und Meldeservice für obdachlose Asylwerber, die andernfalls keine Zustelladresse für Behördenschriftstücke hätten. Von ihnen und vielen anderen, die sie auch finanziell unterstützte, wurde sie respektvoll-zärtlich "Mama Bock" genannt.

Aufstieg zur "Marke Bock"

Für kritisch Gesinnte, die "anderen" Österreicherinnen und Österreicher, wurde sie wiederum zu einer zentralen Identifikationsfigur: Mit jeder Spendenaktion, jedem Film über ihr Wirken stieg ihre Popularität, entwickelte sich zur Marke "Frau Bock"

Im echten Leben stieß sie auf beträchtlichen Gegenwind. 2008 stand ihr Verein vor dem finanziellen Aus. Es war der Industrielle Hans Peter Haselsteiner, der sie rettete – und über die Sozialstiftung Concordia 2011 das Gebäude des früheren Zohmanngassenheims für sie kaufte.

Damit ermöglichte er der betagten Sozialarbeiterin eine Art Heimkehr. In der Zohmanngasse machte Bock weiter, solange es ging: "Da ich nicht annehme, dass sich die Asylpolitik in diesem Land so schnell ändern wird, werde ich diese Arbeit hier machen müssen, solange ich halbwegs gesund bin", sagte sie 2010. Am Freitagmorgen ist sie im 76. Lebensjahr im Wiener Ute-Bock-Haus gestorben. (Irene Brickner, 19. 1. 2018)