Nacktsitzung beim Therapeuten: François Ozon kehrt mit seinem neuen Film in die Welt der Neurosen, verqueren Erotik und offenen Perversionen zurück.

Foto: thimfilm

Wien – Bei François Ozon muss man stets auf Kurswechsel gefasst sein. Das OEuvre des französischen Filmemachers scheint nämlich der Devise zu folgen, dass jeder neue Film den vorausgegangenen widerlegen muss. Wenn es überhaupt eine Konsistenz in seinem Werk gibt, dann liegt diese im Spiel mit stilistischen Zuspitzungen: Ozon hatte schon immer viel Spaß daran, exaltierte Genres und Erzählweisen inszenatorisch zu kapern und sie sich auf ungeniert oberflächliche Weise zu eigen zu machen.

L'amant double (Der andere Liebhaber) ist dafür ein besonders augenfälliges Beispiel, das mit der Innenansicht einer Vagina beginnt. Chloé (Marine Vacth), die Patientin, die an Unterleibsschmerzen laboriert, sitzt am Gynäkologenstuhl. Nach dem elegischen, schwarz-weißen Kriegsmelodram Frantz wirkt dieses Bild wie ein Ausrufezeichen, mit dem der Film in die Welt der Neurosen, verqueren Erotik und offenen Perversionen zurückkehrt, die Ozon als Überschreitung von Normativität seit jeher faszinieren.

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Die Probleme der zurückgezogen lebenden Chloé sind psychische. Sie leidet an Versagensängsten, lügt notorisch und stürzt sich gern in sexuelle Ausschweifungen. Bei ihrem neuen Therapeuten Paul (Jérémie Renier), dem sie davon erzählt, weiß man allerdings nie so genau, ob er ihren Worten viel Beachtung schenkt oder ob er sie nur aus sanften Augen gebannt anblickt. Sie wiederum träumt bald von ihm.

Labyrinth des Verbotenen im Begehren

Ozon verliert keine Zeit mit Geplänkel. Nur wenig später leben die beiden im 13. Stock eines Wohnhauses neben einer schrulligen Nachbarin mit ausgestopften Katzen. Die kolportagehafte Erzählung, die sich ausschließlich an Chloés Perspektive hält, gewinnt mit der Paarbildung erst an Fahrt. Denn der Frau fehlt es trotz der Hingabe des Mannes an Vertrauen, und so beginnt sie, auf eigene Faust seine familiären Hintergründe zu recherchieren. Auftritt Doppelgänger Louis, ebenfalls Therapeut und erneut von Jérémie Renier – diesmal ohne Brille – verkörpert: ein überheblicher Antipode zum braven Paul.

Weitere Plotentwicklungen von L'amant double kann man leicht so zusammenfassen: Ozon verliert zunehmend den Boden unter den Füßen. Das ist freilich eine Strategie, denn er will gar nicht mit schlüssigen psychoanalytischen Zuschreibungen punkten. Vielmehr entwirft Ozon seinen Film als Labyrinth, in dem er sich vor allem für das Verbotene im Begehren Chloés interessiert. Die Grenzen zwischen Wunsch, Traum und Realität werden durchlässig, und als ob das noch nicht genug wäre, setzt er auch jede Menge Spiegel ins Bild.

Stilistisch weckt L'amant double Erinnerungen an das überhitzte Frühwerk von Brian De Palma, vor allem der schrille Zwillingsschwesternthriller Sisters (1973) ergäbe eine gute "double bill". Ozon teilt mit dem US-Genremanieristen die Liebe zu Hitchcock und zu Schauplätzen, die gleichsam die Innenwelt der Charaktere nach außen stülpen. Äußerlich fein anzusehen, fehlt dem Film allerdings der Nachdruck, zu närrisch denkt er seine Ideen zu Ende. Zumindest für Freunde des Doppelgängertums mag es sich ja lohnen, das Motiv einmal als Vorlage für eine erotische Fantasie zu erleben. (Dominik Kamalzadeh, 20.1.2018)