Luka Cindric führt Kroatien in Richtung Halbfinale.

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Handballlegende Abas Arslanagic kritisiert Kroatiens Tormannleistungen.

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Sein Buch "The Key Performance Link" ist die Bibel für Handballtormänner.

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Ob der angeschlagene Kapitän Domagoj Duvnjak noch einmal ins Turnier eingreifen kann, ist fraglich.

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Porec – Stellt man Kroaten, die im Winter durch den angenehm ruhigen Hafenort Porec schlendern, die Frage aller Fragen, gibt es nur eine Antwort: "Wir werden Europameister." In Kroatien herrscht Ausnahmezustand, der Erwartungsdruck bei der Handball-Europameisterschaft im eigenen Land ist enorm. Das Volk fordert den Titel. Abas Arslanagic schüttelt darüber nur den Kopf. "Die Leute hier erwarten immer den Sieg. Das liegt an der Mentalität. Ich glaube, es wird für Kroatien nicht zu Gold reichen", sagt Arslanagic zum STANDARD.

Abas Arslanagic ist 78 Jahre alt und am Balkan eine Legende. Als Torwart gewann er das erste olympische Gold im Handball 1972 in München mit Jugoslawien, als Trainer wurde er 1986 Weltmeister. Er ist der Begründer der jugoslawischen Torwartschule und reiste nach Ende seiner Spielerkarriere als Handballprofessor und Trainer durch die ganze Welt. "Ohne starke Tormänner gibt es keine Medaillen. Wenn sie 15 oder 16 Bälle halten, dann können wir über einen Titel reden."

Kroatische Handballschule

Kroatien gilt als Handballmacht, die größten Erfolge waren zwei olympische Goldmedaillen (1996 und 2004) und der WM-Titel 2003. In den letzten sieben Jahren wurde aber kein Finale bei einem Großereignis erreicht, Europameister war Kroatien noch nie. "Welche Argumente haben wir, um als Topfavorit zu gelten? Ich sehe nur den Heimvorteil", sagt Teamchef Lino Cervar, der ob seiner Heldentaten auf der Bank Anfang der Nullerjahre im Volksmund ehrfürchtig "Mago di Umago" genannt wird, der Magier von Umag.

Der gebürtige Bosnier Arslanagic verbringt seinen Lebensabend in Porec und sieht, dass "junge Handballer in Kroatien gut ausgebildet werden. Dieses Land hat viele tolle Handballlehrer auf lokaler Ebene, es wird viel Wert auf Technik und Taktik gelegt, der Fokus auf Krafttraining kommt später." Eines dieser Talente, das 2013 zum Welthandballer des Jahres reifte, sorgte auch bislang für das Drama der EM: Domagoj Duvnjak, Rückraumspieler und Kapitän, Gehirn und unangefochtener Anführer des Teams, hat sich bereits im Auftaktspiel einen Muskelfaserriss in der Wade zugezogen.

Steigerung Richtung Halbfinale

"Die Kroaten haben Duvnjak kaputt gemacht", sagte Alfred Gislason, Trainer des Kroaten beim THW Kiel, wo auch Österreichs Toptalent Nikola Bylik unter Vertrag steht. Der Isländer warf dem kroatischen Handballverband vor, Duvnjak bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro und speziell bei der WM 2017 in Frankreich trotz Knieproblemen verheizt zu haben. Erst im Dezember spielte er nach einer OP und monatelanger Pause wieder für Kiel, nun folgte der nächste Rückschlag.

Nach einer durchwachsenen Gruppenphase steigerten sich die Kroaten aber auch ohne Duvnjak, mit Erfolgen gegen Weißrussland (25:23) und Norwegen (32:28) gelang bereits vor dem abschließenden Zwischenrundenmatch gegen Frankreich (Mittwoch, 20.30 Uhr) ein großer Schritt Richtung Halbfinale.

"Der Gigant mit sieben Armen" wurde Abas Arslanagic genannt, oder auch "Oktopus-Torwart". "Ich war meiner meiner Zeit wohl voraus, habe einen Spielstil erfunden, der damals undenkbar war." Arslanagic hat mehrere Bücher über das Torwartspiel geschrieben, eines davon hat er dem STANDARD geschenkt, mit einer persönlichen Widmung: "Handball ist Geometrie, es geht um Winkel und Räumlichkeit." Arslanagic war einer der ersten Tormänner, die Arme und Beine in die Höhe brachten, durch die im damaligen Jugoslawien gespielte offensive 3:2:1-Formation kam es öfter zu Duellen Mann gegen Mann, weshalb die Tormänner vom Balkan besonders aggressiv auf die Werfer zustürzten.

Torwartproblem

Aktuell hat Kroatien ein Torwartproblem, die Abwehrquote lag in der Gruppenphase gerade einmal bei 26 Prozent. Einer der schlechtesten Werte unter allen EM-Teilnehmern. Und das vor dem Hintergrund, dass Teamchef Cervar Routinier Mirko Alilovic, 32, vom ungarischen Spitzenklub Veszprem nach nur zwei Partien aus dem dem Kader gestrichen hat. Nach heftiger Kritik soll der Tormann mit dem Teamchef aneinandergeraten sein.

Was Abas Arslanagic im heutigen Handball vermisst, ist Innovation. "Seit meiner aktiven Zeit hat sich das Torwartspiel nicht verändert, die heutigen Tormänner zeigen gute Reaktionen, aber man muss die Angreifer immer wieder aufs Neue ärgern."

Arslanagic machte in seiner langen Trainerkarriere auch in Österreich Station, coachte West Wien in der Handballliga. Was damals bei West Wien als Coup gefeiert wurde, endete nach nur einem halben Jahr im Februar 2002 in einem Rücktritt aus persönlichen Gründen. Konrad Wilczynski, Ex-Teamspieler und heute Manager bei West Wien, erinnert sich an "einen Toptrainer mit viel Know-how, aber auch an Sprachprobleme".

In Porec trainiert Arslanagic im lokalen Klub noch immer Nachwuchstalente. "Ich könnte den ganzen Tag über Handball reden, aber ich würde mich nie wieder auf eine Trainerbank setzen. Das ist zu viel Stress für mein Alter." (Florian Vetter, 22.1.2018)