Dass Niederösterreich aus Wald-, Wein-, Most- und Industrieviertel besteht, lernt man dort schon in der Volksschule.

grafik: der standard

Niederösterreich in Zahlen.

grafik: der standard

Die bisherigen Umfragen zeigen ein stabiles Bild. Die ÖVP wird demnach einen klaren Sieg einfahren, wenn auch die absolute Mehrheit wahrscheinlich außer Reichweite ist. Der SPÖ werden leichte Zugewinne prognostiziert. Die FPÖ dürfte stark zulegen. Neos und Grüne können auf den Einzug in den Landtag hoffen.

DAS LAND

333 der 573 Gemeinden in Niederösterreich zählen weniger als 2.000 Einwohner.

Leichter wird es für Alois nicht. Das Leben auf dem Land in Niederösterreich ist für viele attraktiv – allerdings hauptsächlich für wohlhabende Wiener, die sich ein Wochenendhäuschen im Wald- oder Weinviertel leisten. Sie kommen am Freitagabend, fahren am Sonntag wieder in die Stadt. Dafür ist der Ort unter der Woche wie ausgestorben. Die Gemeinde bekommt für Nebenwohnsitzer keinen Cent. Junge wandern ab, in die nächste Stadt oder nach Wien – und hinterlassen Ältere wie Alois.

Das alles bekommt auch Alois zu spüren: Weil der Supermarkt im Ort aus Mangel an Kundschaft zugesperrt hat, muss er nun mit dem Auto in den Nachbarort, um seine Einkäufe zu erledigen. Wie lange er das noch kann, weiß der betagte Herr nicht. Seine Gemeinde versucht gegenzusteuern und subventioniert ein Anrufsammeltaxi für Senioren – dafür nimmt der ohnehin schon hochverschuldete Ort viel Geld in die Hand.

333 der 573 Gemeinden in Niederösterreich zählen weniger als 2.000 Einwohner: Ein Viertel aller Niederösterreicher wohnt in einem solchen kleinen Ort.

Heuriger und Pfarrgemeinderat

Auch familiär ist Alois gut beschäftigt. Dreimal pro Woche hütet er seine beiden Enkel, die er zu Mittag aus Kindergarten und Volksschule abholt: Nachmittagsbetreuung gibt es keine – dass seine Tochter und ihr Lebensgefährte beide berufstätig sind, ist in der Gegend eher die Ausnahme. Die Direktorin war schon froh, überhaupt genug Kinder für eine eigene Schulklasse beisammen zu haben.

ORF

Bei der Landtagswahl am 28. Jänner wird Alois sein Kreuz bei der ÖVP machen. Wie immer. Im Gemeinderat sind nur Schwarze und ein Bürgerlistenkandidat vertreten. Mit SPÖ, Grünen oder gar Neos kommt Alois so gut wie nie in Berührung. Mit lokalen Funktionären der Volkspartei sitzt er dagegen beim Heurigen und im Pfarrgemeinderat.

DER SPECKGÜRTEL

Die hohe Nachfrage nach Wohnraum ließ die Preise im Speckgürtel in den letzten Jahren nach oben schnellen.

Hier möchte Daniela bleiben. Der Speckgürtel verbindet für sie die guten Seiten von Land und Stadt: Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten und Schulen in der Nähe, auch zum Facharzt braucht sie in der Gegend rund um die Bundeshauptstadt nicht lange. Dennoch lebt Daniela mit Frau und Kindern in einem Haus mit Garten, quasi auf dem Land – aber eben doch nicht ganz.

Als die Familienplanung nach dem Studium in Wien akut wurde, war klar, dass die Kinder nicht in der Großstadt aufwachsen sollten – schließlich ist Daniela selbst auf dem Land groß geworden. Doch auf die gute Infrastruktur wollte Daniela dann auch nicht verzichten. Günstig waren Haus und Grund schon damals nicht, die hohe Nachfrage ließ die Preise aber in den letzten Jahren nach oben schnellen – und den Speckgürtel immer breiter werden, dorthin, wo das Eigenheim in Großstadtnähe noch einigermaßen leistbar ist. Die Infrastruktur, die Daniela an ihrer Kleinstadt in der Nähe Wiens so schätzt, lässt dort aber auch schon nach.

Grün-pinkes Wahldilemma

Den Lebensstil hat Daniela bis zu einem gewissen Grad aus ihrer alten WG aus Wien-Ottakring mitgenommen: Den Einkauf erledigt sie mit dem Rad, der Kaffee ist fair gehandelt. Wochenendausflüge werden aber mit dem Stadtgeländewagen von Danielas Frau unternommen – mit ihm bringen die beiden ihr Kind auch in die Privatschule, die zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen ist. Zu ihrem gut bezahlten Job in einer Wiener Magistratsabteilung fährt Daniela mit Bus und S-Bahn.

Politisch schwankt Daniela zwischen den Grünen und Neos, bei der letzten Nationalratswahl wählte sie die Liste Pilz. Wem sie bei der kommenden Landtagswahl ihre Stimme geben wird, hat sie noch nicht entschieden.

DIE STADT

In Niederösterreich gibt es keine wirklich große Stadt.

Margarete lebt in einer niederösterreichischen Stadt – auch wenn ihre Wiener Freunde mit der Verleihung dieses Attributs an St. Pölten zögern würden.

Denn in Niederösterreich gibt es keine wirklich große Stadt: Die Landeshauptstadt zählt als größte gerade einmal 54.000 Einwohner, Wiener Neustadt folgt mit 44.000 – weitere Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern gibt es nicht im Flächenland. In den zehn größten Städten leben zusammen nur 16,5 Prozent der Niederösterreicher.

Wie viele Städter ist Margarete jung und berufstätig – aber auch Wechselwählerin, je nach politischer Ebene: Bei Gemeinderatswahlen wählt sie SPÖ – den roten Bürgermeister trifft sie oft auf dem Wochenmarkt. Bei Landtagswahlen gab sie bisher immer Erwin Pröll ihre Stimme. Schließlich hat die Volkspartei ordentlich Landesgelder in St. Pölten gesteckt, davon profitiert auch Margarete. Auch Städte wie Krems und Tulln profitieren von der Lust der Landesregierung an prestigeträchtigen Investitionen. Und seit Wiener Neustadt einen schwarzen Bürgermeister hat, fließt auch dorthin mehr Geld aus dem Landhaus.

Schwieriges Öffi-Netz

Ihr Auto will Margarete übrigens nicht aufgeben: Denn an Süd- oder Westbahn sind zwar fast alle größeren Städte Niederösterreichs angeschlossen – doch der Weg zum Bahnhof ist ohne Auto beschwerlich. Die geringe Bevölkerungsdichte macht es für die Städte schwierig, ein attraktives Öffi-Netz zu schaffen. Radwege werden nur langsam ausgebaut.

Margaretes Arbeitsweg beginnt deshalb im Auto – und endet in Wien, wo sie wie viele niederösterreichische Städter arbeitet. (Sebastian Fellner, 22.1.2018)