Peer Gynt (Jakob Feyferlik) erblickt das wahre Gesicht der von ihm geschwängerten Trollkönigstochter (Rebecca Horner).


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Wien – Die Titelfigur in Henrik Ibsens Peer Gynt von 1867 wirkt wie aus dem postmodernen Spiel mit frei flottierenden Identitäten geschnitten. Sehr schön zeigt das der vierte Akt. In Kairo bei der Sphinx begegnet Gynt dem Doktor Begriffenfeldt, dem er seinen Namen sagt. Worauf der von Ibsen so genannte "Vorsteher des Tollhauses" voll Bewunderung sinniert: "Peer Gynt? Das will sagen: Das Unbekannte / Das Kommende, des Kommen mir ward bekannt."

Auch im 2015 entstandenen Ballett Peer Gynt des rumänisch-slowenischen Choreografen Edward Clug, das am Sonntag in der Wiener Staatsoper seine Österreichpremiere hatte, taucht Begriffenfeldt auf. Wie bei Ibsen mit tiefgreifenden Folgen. Denn Gynt hat das für uns so aktuelle Problem, nicht zu wissen, wer er eigentlich ist, und noch dazu jemand anderer sein zu wollen. Das führt ihn in die Fänge eines haltlosen Narzissmus.

Schon als Jungspund will er ein "Kaiser" sein. Doch erst in späteren Jahren krönt ihn Begriffenfeldt – mit einem Strohkranz im Tollhaus. Bei Ibsen ruft der Doktor: "Es lebe hoch der Selbstheit Kaiser!" Im Ballett lassen ihn die Insassen der Irrenanstalt, allerdings ohne Worte, hochleben. Davor aber fesseln sie ihm die Hände auf den Kopf, von dem seine Finger dann wie Sprossen eines Geweihs abstehen. Ein gelungener Moment, denn Peer Gynts geisterhafter Schatten ist ein Hirsch mit Krücken, den Zsolt Török bei der Premiere perfekt verkörpert.

Manuel Legris' Compagnie ist ein Gewinn für dieses Stück. Jakob Feyferlik gibt dem Peer Gynt das Gehabe eines leichtfüßigen Hipsters, und Alice Firenze tanzt die kompromisslos liebende Solveig mit umwerfender Empathie. Aus dem Ibsen'schen Knopfgießer hat Edward Clug die Figur des Todes gemacht, aus der Andrey Kaydanovskiy einiges an Ironie filtert. Und Rebecca Horner tanzt großartig dämonisch als "januskörprige" Tochter eines Trollkönigs.

Ohne berühmte Zwiebelszene

Die Besetzung ist gelungen. Nur Gynts geplagte Mutter Åse wirkt zu jugendlich. Für diese Rolle wäre eine ältere Charaktertänzerin wohl geeigneter als die elegante Ballerina Franziska Wagner-Hollinek. Und mit der Figur des Begriffenfeldt hat sich Clug genausowenig leicht getan – András Lukács hat zwar die nötige Zackigkeit, hält aber mit dem Wahn, der den Doktor durchdringt, allzu sehr hinterm Berg.

Edward Clug weicht von Ibsens Handlung nur dort ab, wo sich der Inhalt mit Tanz nicht vermitteln lässt. Weniger klug ging der Hamburger Choreograf John Neumeier vor, als er sich 1989 ebenfalls des Peer Gynt annahm. Der große Deuter zerlegte den Ibsen und baute seine eigene Charakteranalyse zusammen. Die Musik dafür kam von Alfred Schnittke. Clug hat ebenfalls erkannt, dass Edvard Griegs Peer Gynt-Musik von 1876 nicht wirklich zu Ibsens Text passt. Daher zerlegt er den Grieg und arbeitet mit Teilen aus dessen Komposition (op. 23), die er mit anderen Werken des Norwegers untermischt.

Leider geht auch die berühmte Zwiebelszene – "Bis ins innerste Innre / Nichts als Schichten" – verloren. Aber das passt möglicherweise sogar besser in unsere Gegenwart: Dem postmodernen Hipstertum ist das "innerste Innre" ja ohnehin Powidl. (Helmut Ploebst, 23.1.2018)