
Wer in Niederösterreich mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendelt, braucht oft viel Geduld. Viele fahren zumindest zum Teil mit dem Auto in die Arbeit – sie sollen eine neue Autobahn bekommen.
Tulln an der Donau – Die Sonne ist gerade erst aufgegangen in Tulln, und niemand wird gerne angesprochen. Die Salzstangerln, die grüne Wahlhelfer vor der Unterführung verteilen, werden meist wortlos entgegengenommen, bevor die Menschen in den kleinen Tunneln aus Pressspanplatten verschwinden, die sie vor dem Dreck und Lärm der Bauarbeiten am Bahnhof der Stadt an der Donau schützen sollen.
Marion G. ist rechtzeitig am Bahnsteig, ihr Auto steht am Park-&-Ride-Parkplatz. Aus ihrer Heimatgemeinde braucht die 56-Jährige gute 20 Minuten zum Bahnhof in Tulln. Von Tür zu Tür zu ihrem Job als Lohnverrechnerin in Wien brauche sie so eine Stunde und 15 Minuten, sagt sie. "Da kenne ich Leute, die innerhalb Wiens länger brauchen." Eine Zugverbindung zwischen Tulln und ihrer Heimatgemeinde gebe es zwar auch – doch gerade wenn G. länger arbeiten muss, ist die Verbindung oft schlecht.
Eine von 550.000
G. ist eine 3.800 Personen, die täglich in Tulln ein- oder umsteigen – und eine von mehr als 550.000 Pendlerinnen und Pendlern in Niederösterreich. Die meisten von ihnen fahren wie sie nach Wien. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren langsam, aber kontinuierlich gestiegen: 2010 pendelten noch etwas mehr als 530.000 Niederösterreicher. Mehr Pendler, das bedeutet in Niederösterreich: Mehr Autos. 100.000 zusätzliche PKW schafften sich die Landesbürger im gleichen Zeitraum an.
Wie man in Niederösterreich von A nach B kommt, ist im Flächenbundesland ein großes politisches Thema, immerhin betrifft allein der Pendelverkehr ein Drittel der Bevölkerung direkt. Und die Errichtung der Infrastruktur ist teuer im Land mit den vielen kleinen Gemeinden, zerstreut über vier Viertel.
Die Idee mit der Autobahn
Investitionsbedarf herrscht vor allem im Norden, jener strukturschwachen Region, die bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 an der "toten Grenze" lag. Geht es nach der ÖVP und FPÖ, soll dem mit einer neuen Autobahn Abhilfe geschaffen werden: Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) will im Mai eine Potenzialanalyse für das Großstraßenprojekt starten: "Das Ziel ist, alles zu tun, damit das Waldviertel besser erschlossen und angebunden ist", sagt er wenige Wochen nach seinem Amtsantritt – als Südburgenländer wisse er schließlich, wie wichtig gute Verkehrsanbindungen seien.
Straßenbaulandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) begrüßt die Idee jedenfalls. Ob und wo die Autobahn kommt, soll eine regionale Arbeitsgruppe klären. Unabhängig davon will das Land aber bis 2020 rund 280 Millionen Euro in den Straßenausbau im Waldviertel investieren.
Die Grünen laufen gegen die Idee Sturm und ernannten sie zum "Schildbürgerstreich des Jahres". "Ich verwehre mich dagegen, dass man eine Autobahn als Retterin des Waldviertels hinstellt", sagt Silvia Moser, grüne Kandidatin aus dem Waldviertel für die Landtagswahl am Sonntag zum STANDARD. "Es wird kein einziger Betrieb ins Waldviertel kommen, weil es eine Autobahn gibt. Ich weiß nicht, was damit erreicht werden soll."
Kein Geld, keine Trasse
Jürgen Maier, ÖVP-Bürgermeister der Waldviertler Stadt Horn, Landtagsabgeordneter und Obmann des Regionalverbands, moderiert den Entscheidungsfindungsprozess in der Arbeitsgruppe – und will sich deshalb weder pro noch contra Autobahn festlegen. Man werde sich das ganze Jahr Zeit nehmen. Selbst wenn es dann ein grundsätzliches Ja gibt, "wird man über die Finanzierung auch noch verhandeln müssen". Schnelle Lösung ist die Waldviertelautobahn also keinesfalls – zumal noch nicht einmal klar ist, wohin die neue Straße führen soll. Der Prozess sei völlig ergebnisoffen, sagt Maier.
Die Grüne Moser gibt sich "nicht der Illusion hin, dass wir alles mit öffentlichem Verkehr bewältigen können". Es brauche für den ländlichen Raum einen Mobilitätsmix. Das Problem der Verkehrspolitik im Land sei aber sehr wohl, dass zu viel Geld in den Straßenbau und zu wenig in den öffentlichen Verkehr gesteckt werde. Die Umsetzung des 365-Euro-Öffitickets, das die Grünen fordern, würde auch das Angebot zwangsläufig verbessern, weil immer mehr Menschen gute Verbindungen nachfragen würden.
Lange Reise von Gmünd
Diese vermissen die Grünen etwa auf den Buslinien, die die eingestellten Nebenbahnen ersetzen: 2010 übernahm das Land 28 Strecken von den ÖBB, seitdem fahren nur auf zwei davon regelmäßig Züge.
Der Regionalexpress, in den Marion G. in Tulln steigt, ist jedenfalls voll mit Menschen, die hier Zeitung lesen, schon arbeiten oder ein paar Minuten Schlaf nachholen – oder mehr. Denn wer schon in Gmünd an der tschechischen Grenze einsteigt, hat mehr als zwei Stunden Zeit dafür.
Ein im Landtag einstimmig beschlossenes Paket soll den Weg von Gmünd nach Wien auf 90 Minuten verkürzen – es harrt aber noch der Finanzierung, einen Beschluss dafür braucht es auch im Parlament im Bund. Gut möglich, dass die Autobahn ins Waldviertel früher fertig ist. (Sebastian Fellner, 23.1.2018)