Vor einigen Jahren wurde im ostdeutschen Plauen ein Karl-Marx-Musical inszeniert, bei dem eine Büste des Philosophen die Zunge zeigte. Dieser Tage fragt man sich: Wem streckt sie Marx eigentlich heraus?

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Jetzt ist die Katze aus dem Sack! Also doch eine neue Steuer! Nach vielen öffentlichen Diskussionen und der Entmachtung der neuen Sozialministerin hat sich die türkis-blaue Regierung darauf festgelegt, die Notstandshilfe abzuschaffen und anschließend an das Arbeitslosengeld die Mindestsicherung einzuführen – mit der Konsequenz, dass das "Vermögen" von Arbeitslosen schrittweise zur Finanzierung herangezogen wird.

Schall und Rauch

Das entspricht den Wirkungen einer Vermögenssteuer, und zwar bis zu 100 Prozent. Das alles wurde von der Partei für die Leistungsträger ("neue" ÖVP) und der sogenannten Partei des kleinen Mannes festgelegt. Ihre vollmundige Ankündigung, keine neuen Steuern einzuführen, ist Schall und Rauch.

Diese Maßnahme ist nur ein kleiner Baustein einer Strategie der neuen türkis-blauen Regierung: Klassenkampf von oben. Die bisher erkämpften Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen schrittweise reduziert werden, um einer wettbewerbsorientierten Strategie der österreichischen Kapitalisten Platz zu machen. Verwertung und Profite stehen im Vordergrund, die Arbeitnehmer sind nur mehr menschliche Produktionsmittel, deren Kosten und Rechte es zu reduzieren gilt.

Seit Jahrzehnten haben sich die Machtverhältnisse schrittweise in Richtung Arbeitgeber verschoben. Ein Indiz dafür ist die sinkende Lohnquote, seit 1975 ist sie um mehr als zwölf Prozentpunkte auf 63,2 Prozent gesunken. In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse der Lohnverhandlungen. Gemessen an der produktivitätsorientierten Lohnpolitik (auch bekannt als Benya-Formel) verloren die Arbeitnehmer seit 1975 mehr als 18 Punkte (gemessen am Tariflohnindex). Das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität als Teil der Formel kam selten den Arbeitnehmern zugute.

Verschärfung des Klassenkampfes

Ein weiterer Schritt in der Verschärfung des Klassenkampfes von oben wurde nun durch das neue Regierungsprogramm der türkis-blauen Regierung vollzogen. Die Chuzpe dabei ist, dass das Kapitel Arbeit von ÖVP-Seite von August Wöginger, dem neuen VP-Klubobmann führend verhandelt wurde. Herr Wöginger war im Zivilberuf beim Roten Kreuz in Oberösterreich tätig, er war lange Jahre auch Betriebsratsvorsitzender. Auch die sogenannten Freiheitlichen Arbeitnehmer haben sich offensichtlich bei der Formulierung des türkis-blauen Regierungsprogramms vornehm zurückgehalten – oder hatten sie überhaupt eine Meinung?

Es ist hier nicht Platz, alle Grauslichkeiten des türkis-blauen Programmes aufzuzählen, bezeichnend ist aber, dass sich auf den sechs Seiten des Kapitels Arbeit sechsmal der Begriff Missbrauch (Sozial-, Krankenstandmissbrauch) findet. Die türkis-blaue Regierung unterstellt damit Arbeitnehmern, sie seien prinzipiell nicht gewillt zu arbeiten, sondern sich Sozialleistungen missbräuchlich anzueignen.

Blickt man allein auf die Arbeitslosenstatistik, kann diese denunziatorische Sichtweise nicht aufrechterhalten werden. Im Durchschnitt waren 2017 laut Sozialministerium 412.074 Menschen (339.976 registrierte Arbeitslose plus 72.098 Personen in Schulung) arbeitslos. Die sogenannte Registerquote lag offiziell bei 8,5 Prozent (2016: 9,1 Prozent). Berücksichtigt man die Schulungsteilnehmer, ergibt das eine Quote von 10,3 Prozent (2016: 10,8 Prozent).

Die Anzahl der offenen Stellen hingegen betrug im Durchschnitt nur 56.854. Das bedeutet, dass auf eine offene Stelle 7,25 Arbeitssuchende kamen. Das Problem ist nicht, dass die Arbeitslosen nicht arbeiten wollen, sondern dass es einfach keine Jobs gibt!

Keine Vertretung

Eine weitere Verschlechterung für Arbeitnehmer ist die Anhebung der Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden. Die historische Acht-Stunden-Grenze fällt damit. Interessant sind die Reaktionen der SPÖ und der Grünen. Herr Kern sprach sich in seinem Plan A bereits für den Zwölf-Stunden-Tag aus. Selbst wenn er heute mit großer Verve dagegen argumentiert, Herr Kern ist nicht glaubwürdig, wenn er heute der türkis-blauen Regierung vorwirft, was er vor einem Jahr selbst vorgeschlagen hat. Zu den Grünen fällt mir nichts ein – außer Grabesstille.

Dass es die aktuelle Regierung mit der Demokratie nicht so ernst nimmt, zeigt die Abschaffung der Jugendvertrauensräte. Mit ihrer geplanten Abschaffung nimmt man einer speziellen, zugegebenermaßen kleinen, Gruppe die Möglichkeit, ihre eigenen Anliegen zu vertreten. Das konkrete Erlernen demokratischer Regeln, wie sie für Klassensprecher bzw. Schulsprecher gang und gäbe sind, wird dieser schon im Arbeitsprozess stehenden Gruppe genommen.

Kleiner Stein

Die Abschaffung der Jugendvertrauensräte ist nur ein kleiner Puzzlestein im großen Bild: Es geht darum, die bisher erkämpften Arbeitnehmerrechte zu beschneiden, zu reduzieren, zu marginalisieren. Die Unternehmerseite hat sich in diesem Regierungsprogramm durchgesetzt. Es bleibt nur, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Lande zu raten, erstens einen Betriebsrat zu wählen, zweitens der Gewerkschaft beizutreten und vor allem drittens sich selbst zu engagieren! (Fritz Schiller, 22.1.2018)